ratzke 8800Das Gesamtkunstwerk Sven Ratzke in der Steinauer Katharinenkirche

Hanswerner Kruse

Steinau (Weltexpresso) - Bratwurstdunst, Gedränge an Bierständen und Blasmusik. Feuchtfröhliches Markttreiben vor der gut besuchten Katharinenkirche in Steinau. Die wiederrum wurde vom Kuki-Kulturverein in einen Ort mit intimer Club-Atmosphäre verwandelt. Zwei Welten treffen hier aufeinander, da passt David Bowies Song, „Where are we now?“ („Wo stehen wir jetzt?“) hervorragend, der diesem Konzert Sven Ratzkes den Titel gab.

Der Abend ist David Bowie (1947 - 2016) gewidmet, der sich selbst eher als Künstler denn als Rockmusiker sah. Auch der Deutsch-Holländer Sven Ratzke ist nicht nur Sänger. Vielmehr kreiert der Entertainer ein Gesamtkunstwerk aus erzählten Geschichten, vokalen Interpretationen der Songs des Engländers, Slapsticks, Tanzeinlagen und Theaterspiel zu den kunstvollen Pianoklängen von Christian Pabst. Gott sei Dank (das darf man in der Kirche ja sagen) ist die Darbietung weder ein Bowie-Musical noch eine dröge Tribute-Show.

Das Konzert beginnt zwar gleich mit einigen sehr bekannten Songs, die Ratzke jedoch überraschend eigenwillig und höchst individuell interpretiert. „Let’s Dance“ wird eher ein tanzbares Swing-Stück und „Space Oddity“, das Lied vom verlorenen Major Tom, eine melancholische Ballade. Ratzkes verrückte Geschichten zwischen den Titeln nehmen viel Raum ein und changieren zwischen Realität und Fantasie. Als großartiger Poet führt er das Publikum durch die Lieder, flicht eigene Erinnerungen ein, wagt versponnene oder surreale Deutungen der Stücke:

Im legendären Song „Heroes“, den Bowie in Berlin nahe der Mauer am Potsdamer Platz über ein Liebespaar schrieb, küssen sich die Liebenden durch die Mauer hindurch bis die verschwindet. „Heroes“ beginnt er in Deutsch und klingt glaubwürdiger als Bowies eigene deutsche Version im Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Durch pathetische Tremoli und andere Mätzchen könnten manche Songs wie bei Tribute-Bands zum peinlichen Kitsch werden. Aber Ratzke covert nichts, bereits im Vorgespräch mit dem weltexpresso betonte er „Ich interessiere mich nicht für das Covern, das ist was für Amateure.“ Er zerlegt die Lieder, setzt sie neu zusammen, verändert Tempo, Rhythmen und Betonung.

Sanft oder wild, schwermütig oder rotzig, nachdenklich oder albern, androgyn oder zurückhaltend (so viele Adjektive müssen sein!) zelebriert der Mann den Abend und gibt dem Werk des Briten seinen eigenen Charakter. „Ein Mann wie Bowie verschwindet nie“, sagt er einmal im Konzert. Ratzke ist sehr empathisch, aber ahmt ihn nicht nach - stattdessen wird Bowie durch ihn lebendig. Er traut sich auch an das bewegende letzte Stück „Lazarus“ des Künstlers heran, in dem dieser sich mit seinem nahenden Tod auseinandersetzt: „Look up here, I'm in heaven / I've got scars that can't be seen“ („Schaut hoch, ich bin im Himmel / ich bekam Narben, die man nicht sehen kann!“

Durchgehend ist der Entertainer im authentischen Kontakt mit dem Publikum und fühlt sich offensichtlich in Steinau wohl. Obwohl er auf großen Bühnen der Welt in New York, Amsterdam oder Berlin auftritt, kommt er auch oft in Clubs: „Auf kleinen Bühnen bin ich gerne, weil ich den Leuten dann näher bin“, sagte er dem weltexpresso, „man riecht einander und spürt sich. Und außerdem kann ich mich nicht verstecken.“

Vor und nach den Zugaben Ovationen im Stehen des begeisterten Publikums, zum Schluss singt Ratzke das einzige fremde Lied im Konzert, Lou Reeds „Perfect Day“: „Oh, it's such a perfect day / I'm glad I spent it with you“ („Oh was für ein wunderbarer Tag / Ich bin froh ihn mit Euch verbracht zu haben.“ Loben muss man noch den Supersound in der Kirche, die fantastische Lichtschau und den Mut der Veranstalter, den hierzulande recht unbekannten Künstler einzuladen!

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Fotos:
Hanswerner Kruse