Nachruf auf die letzte wirklich große Legende der Opernwelt
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Vergangenen Sonntag ist Mirella Freni gestorben, die letzte wirklich große Legende der Opernwelt. Die traurige Nachricht trifft mich mitten in meiner Arbeit an einer größeren-, eigentlich anlässlich ihres 85. Geburtstags geplanten, Sendung über sie. Von morgens bis abends befasste ich mich am Wochenende mit der Sopranistin, stöberte in Archiven und Aufnahmen, schwelgte in Erinnerungen und war wieder hin- und weg von allem, was ich hörte, ob nun ihre berühmten Puccini- und Verdi-Interpretationen, die Mimì in „La Boheme“, ihre absolute Glanzrolle, die Susanna im „Figaro“, Desdemona oder auch die Morgana in der Händel-Oper „Alcina“.
Das Jahr 2020 geht offenbar genauso weiter, wie es aufgehört hat, mit traurigen Abschieden von legendären Künstlern. Nach Franz Mazura und Kirk Douglas, der immerhin 103 (!) Jahre alt wurde, nun also die unvergleichliche Mirella Freni.
Sie war eine der letzten ganz, ganz Großen, deren aufblühende Stimme mit dem unverkennbar warmen, lieblichen, honigfarbenen Timbre man im Radio schon nach wenigen Minuten erkennen konnte. Die von so unvergleichlicher Schönheit gesegnete Stimme konnte nur der Freni gehören!
Ich kann ihren Tod kaum fassen, wiewohl er sich schon im November vergangenen Jahres anzukündigen schien, als mir ihre Tochter auf meine letzte Interview-Anfrage aus gesundheitlichen Gründen absagte.
Zum Glück habe ich sie wenigstens einmal persönlich kennengelernt, 2008 in Wörgl (Österreich) anlässlich einer Meisterklasse. Da konnte ich mich davon überzeugen, dass sie sehr genau und nicht minder streng als Elisabeth Schwarzkopf, der man ihre Strenge immer vorgehalten hat, mit den Studierenden arbeitete. So manche Tränen flossen da auch, aber am Ende waren doch alle dankbar und begeistert für die vielen wichtigen, teils auch fundamentalen Dinge, die Mirella Freni ihnen allen mitzugeben hatte. Bei der Gelegenheit lernte ich auch eine gute Freundin kennen, die damals zu den Teilnehmerinnen zählte, Lenka Möbius, eine international noch zu entdeckende wunderbare Sängerin im lyrisch-dramatischen Fach.
Das technische Rüstzeug wurde Mirella Freni, deren Talent schon im Alter von zehn Jahren bei einem Kinderwettbewerb in ihrer Heimat in Modena auffiel, wo sie bereits „Un bel di vedromo“ aus „Madame Butterfly“ sang (!), in die Wiege gelegt. Darum musste sie sich also nicht kümmern. Aber das barg natürlich ein Risiko, sagte Freni damals im Interview, weil sie sich sorgte, wie es ihr wohl ergehen würde, wenn sie doch einmal stimmliche Probleme bekommen- oder ihr Kehlkopf erkranken sollte. Deshalb machte sie sich ans Werk, im Studium mit ihrem Lehrer Ettore Campogalliani sich ihrer Technik bewusst zu werden.
Dank dessen konnte sie bei ihren Schülerinnen und Schülern auch alle Probleme bestens analysieren und ihnen genau sagen, was sie ändern mussten.
Letztlich blieb Freni eine der wenigen Ausnahmen, die nie eine Stimmkrise durchliefen. Noch dazu währte ihre Karriere 50 Jahre!
Meine Liebe zu der Italienerin mit der niedlichen Stupsnase und den großen Kulleraugen reicht in meine Kindheit zurück. Schon damals zählte sie für mich neben Elisabeth Schwarzkopf, Maria Callas und Gundula Janowitz zu meinen größten Lieblingen im Sopranfach.
Ich sehe sie noch als Elisabetta im „Don Carlos“ vor mir, in der prächtigen Karajan-Produktion in Salzburg 1976, majestätisch eingekleidet und ergreifend nicht nur in der großen Arie „Tu che vanita“ im letzten Akt, sondern schon davor in der Szene „Giustizia, giustizia, Sire“ mit König Filipp in Gestalt ihres Ehemannes Nicolai Ghiaurov. Waren das Sternstunden! Zum Glück habe ich die markante Stimme auch live im „Otello“ gehört, in der Deutschen Oper Berlin, wo Freni eine wahre Bilderbuch-Desdemona mit den denkbar schönsten Kopftönen im „Ave Maria“ verkörperte. Warm, liebreich und zärtlich legte sich ihre Stimme um diese unglückliche Figur und unterstrich deren regelrechte Inkarnation der Unschuld und der Treue.
Danach sah ich sie noch einmal als Marguerite im Faust an der Wiener Staatsoper irgendwann Ende der 1970er- und zuletzt in den 90er-Jahren als Tatjana in „Eugen Onegin“, wieder in der Deutschen Oper Berlin.
Insbesondere der Salzburger „Don Carlos“, in dem 1976 als Eboli auch die fulminante Fiorenza Cossotto zu erleben war, hatte es mir so angetan, dass ich von Pontius zu Pilatus lief, um daraus Szenenfotos zu erstehen. Ein signiertes Rollenfoto mit Freni als Elisabetta bedeutete für meine Autogrammsammlung aus Kindertagen ein ganz besonderes Objekt, das ich bis heute hoch in Ehren halte.
Sehr dankbar war ich Mirella Freni später auch, als ich sie bat, für mein Buch über Elisabeth Schwarzkopf eine persönliche Erinnerung beizusteuern. Sie zögerte keinen Moment, verehrte sie doch die Kollegin ebenfalls sehr.
Warum sie eigentlich bei ihrer allerersten „Traviata“ an der Scala ausgebuht wurde, und es sich irgendwie gehalten hat, dass das nicht so ihre Rolle gewesen sein soll, verstehe ich bis heute nicht. Vermutlich verglich sie das Mailänder Publikum damals mit der Callas, die natürlich ein gänzlich anderer Typ war. Mirella Freni hatte nie Ambitionen, andere Primadonnen zu kopieren. Sie sagte mir auch, dass sie sich in ihren jungen Jahren absichtlich keine anderen Stimmen anhörte, weil sie ihre eigene Persönlichkeit ausprägen wollte, und das war natürlich goldrichtig.
Ich bin jedenfalls froh, dass ihre Violetta dann später doch noch in einem Film verewigt wurde. Und wie ich mir nun gerade wieder eine „Traviata“-Gesamtaufnahme mit ihr anhörte, dachte ich nur, dass ihre Violetta mich im Ausdruck noch stärker berührt als die schönsten heutigen Stimmen von Anna Netrebko und Sonya Yoncheva.
Ob ihre lange Krankheit, nach der sie nun gestorben ist, erklärt, warum sie an dem Film über ihren langjährigen Freund Pavarotti, der wie sie in Modena aufwuchs und ein Leben lang mit ihr in Freundschaft verbunden war, nicht vorkam, möchte ich jedoch nicht mit Sicherheit annehmen.
Ron Howard hätte auch Szenen und Töne in dem Dokumentarfilm finden können, den Marita Stocker 2010 Mirella Freni gewidmet hat. In diesem schönen Film erzählt Freni auch höchst selbst, wie sie und Luciano in denselben Hort gingen, von derselben Amme versorgt wurden, und ihre Mütter in der örtlichen Tabakfabrik arbeiteten, und wie sie lebenslange Freunde wurden. In jungen Jahren waren sie oft Partner auf der Bühne. Allerdings haben sich ihre Karrieren mit der Zeit doch in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Pavarotti trat zunehmend mit viel Publicity in großen Stadien auf, was in Ron Howards Doku im Zentrum steht, und davon hielt Freni, wie sie in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ einmal sagte, gar nichts. Sie verpflichtete sich eben doch der Oper in ihrer anspruchsvollen Kunst ganz alleine in den Opernhäusern.
Bei unserer sehr freundschaftlichen persönlichen Begegnung in Wörgl lernte ich übrigens ein sehr wichtiges Detail der italienischen Sprache kennen, als ich mich von ihr verabschieden wollte: Angelehnt ans Opernitalienisch sagte ich „addio“. Nein, sagte sie, nicht addio, addio sage man nur für den allerletzten Abschied auf Nimmerwiedersehen, deshalb kommt es in tragischen Opern auch oft in Sterbeszenen vor. Wenn man vorhat, sich wiederzusehen, sagt man eben doch „Arrivederci“.
Heute gilt es nun schweren Herzens addio zu sagen. Und: Danke, Mirella, für alles.
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© Starpostkarte
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Zuerst veröffentlicht am 10.2.2020 in klassik-begeistert.de