Serie: Die Bregenzer Festspiele 2013, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Bregenz (Weltexpresso) – Es gehört zu den fabelhaften Erscheinungen der massenhaft besuchten Seebühnenproduktionen der Bregenzer Festspiele, daß sich diese im Festspielhaus in jedem Jahr eine musikalische Rarität gönnen – und damit uns! In diesem Jahr die Uraufführung der zwischen 1968 und 1982 geschaffenen Oper DER KAUFMANN VON VENEDIG von André Tschaikowski.

 

 

Ja, Sie lesen richtig: Tschaikowski, wie der russische Namensahn Pjotr Iljitsch Tschaikowski, der von 1840 bis 1893 in Rußland lebend der wohl bedeutendste russische Komponist des Jahrhunderts war und hinreißende Opern geschrieben hatte wie Eugen Onegin, Pique Dame, aber auch MAZEPPA, eine hierzulande wenig bekannte Oper, die mit großem Erfolg 1991 ebenfalls auf der Bühne des Festspielhauses, damals als Pendant zur CARMEN auf der Seebühne, Premiere hatte. In diesen Jahren gab es noch je vier Vorstellungen im Opernhaus für diese wahrlich ganz besonderen musikalischen Schmankerl für Hirn, Herz und Ohr, die inzwischen auf drei Aufführungen reduziert wurden. Aber der Aufwand lohnt nicht nur vom Ergebnis her, sondern in der Regel sind diese Festspielhausaufführungen auch Koproduktionen, so daß sich anderenorts die Vorstellungen fortsetzen, wie es uns beispielsweise damals mit Tschaikowskis MAZEPPA ging, die wir in Amsterdam wiedersahen.

 

Wie aber der polenstämmige, in England lebende Komponist eine Shakespeareoper auf Englisch komponierte, die bis 2013 nie aufgeführt wurde, ein uns völlig unbekannter Komponist, der sich noch dazu Tschaikowski nannte, gehört zu den vielen Fehlstellen des völkermordenden 20. Jahrhundert in Mitteleuropa, die wir heute immer noch beheben. Dieser André Tschaikowski kam nämlich am 1. November 1935 in Warschau unter dem Namen Robert Andrzej Krauthammer zur Welt. Daß wir nun mehr über ihn wissen, das dankt sich nicht nur der Aufführung dieser Oper in Bregenz, sondern auch einem gut zusammengestellten Programmheft, in dem Anastasia Belina-Johnson uns das kurze und schwierige Leben des Komponisten nahebringt.

 

Es war vor drei Jahren, als ebenfalls eine Uraufführung der Oper DIE PASSAGIERIN von Mieczyslav Weinberg auf der Bregenzer Festspielbühne nicht nur den ebenfalls polnischen Komponisten, sondern auch das Schicksal der von den Nazis Verfolgten und Ermordeten in den Mittelpunkt rückten. Damals war eine Novelle die Vorlage, diesmal ist es das Shakespearedrama, das John O'Brien durchaus mit Tendenz bearbeitet hat. Dazu gleich mehr. Jetzt geht es um Robert Andrzej Krauthammer. Das klingt absolut österreichisch, aber, ob er galizische Vorfahren hat, wissen wir nicht. Er wuchs in Warschau – nachdem sich die Eltern trennten – bei Mutter Felicja und Großmutter Celina auf. Es heißt, daß seine geistige Gewandtheit schon in den Babyjahren auffiel; auf jeden Fall soll er mit drei Jahren schon polnisch, deutsch und russisch gelesen haben können, wozu das Jiddische als Sprechen hinzukommt.

 

Seine Mutter lehrte ihn mit vier Jahren das Klavierspielen und auch seine Großmutter war überzeugt, den zukünftig bedeutendsten Pianisten des Jahrhunderts vor sich zu haben. Ohne den deutschen Überfall auf Polen, ohne die Auslöschung des Warschauer Ghettos, ohne den Zweiten Weltkrieg, hätte dies gut sein können. So aber wurden auch die Krauthammers umgesiedelt in das neu errichtete Sammellager mitten in der Stadt Warschau, das die deutsche nationalsozialistische Besatzung mit einer Mauer ringsherum errichtet hatte und in das polnische Juden, aber auch viele deutsche zwangsumgesiedelt wurden, die meisten nur auf kurze Dauer, denn das Ghetto mit bald 445 000 Eingesperrten war das Sammellager für die Todestransporte nach Treblinka. Im Warsschauer Ghetto feierte Robert einen guten Monat später, am 1. November 1939, seinen vierten Geburtstag. Seine Großmutter hatte sich das nicht gefallen gelassen und war in den 'arischen' Teil gezogen, versorgte von da aus die eingesperrte Familie und war die treibende Kraft beim Einsetzen der Deportationen zur Vergasung, im Sommer 1942, die Flucht für den kleinen Robert zu inszenieren.

 

Sie verkleidete ihn als blondes Mädchen und hatte gefälschte Papiere auf den Namen Andrzej Jan Czaikowski, wie er weiterhin hieß, als er mit der Großmutter im polnischen Untergrund überlebte. Es heißt, daß er als Siebenjähriger schwierige Operationen zu erleiden hatte, die die Beschneidung rückgängig machen sollten. „In diesen schwierigen Jahren entwickelte Tschaikowsky einige Charakterzüge, die auch in seiner Persönlichkeit als Erwachsener präsent blieben.“ Diese führt seine Biographin auch aus: das Bedürfnis, um jeden Preis Aufsehen zu erregen, selbst wenn es ihn die Sympathie der Förderer kostete; ein pathologisches Bedürfnis nach Zustimmung und Liebe, was durchaus sein eigenes Verhalten eben leicht verhinderte und zu einer Bestrafung der Personen führte, von denen er sich nicht genug geachtet und geliebt fühlte.

 

Noch in Polen fiel seine ungewöhnliche, von der Großmutter immer unterstützte Musikalität auf, auf Grund derer er Stipendien erhielt. So kam er 1948, da war er 12 Jahre alt nach Paris, wo er auch seinen Vater kennenlernte, den er ablehnte, und wo er in der Polnischen Botschaft auftrat. Der Klavierabend war folgenreich, denn er bekam ein Stipendium für das Pariser Konservatorium, wo er mit 14 Jahren zweimal Goldmedaillen erspielte und der jüngste Absolvent mit den höchsten Ehren wurde. Er ging aufgrund der Unterstützung durch das polnische Kultusministerium nach Warschau zurück und teilte sein Arbeits- und Ausbildungsleben auf in das Komponieren und das Vorspielen am Klavier, propädeutisch für sein ganzes Leben.

 

1955 erhielt er im Chopin-Wettbewerb den achten Platz von 77 Teilnehmern aus 25 Ländern und einen Sonderpreis als jüngster polnischer Pianist mit seinen damals 19 Jahren.Dort lernte er den weltberühmten polnischen Pianisten Arthur Rubinstein kennen, der ihn 1956 zum Wettbewerb nach Brüssel holte, wo er nach Vladimir Ashkenazy und John Brown Dritter wurde. Er lehnte allerdings die Förderung durch Rubinstein, der ihn in Paris bei sich wohnen lassen wollte, ab. Zum einen wollte er - dünkelhaft - alles aus eigener Hilfe schaffen, zum anderen wollte er eben nicht nur öffentlich Klavierspielen, sondern vor allem komponieren. Da er aber Hilfe ablehnte, mußte er - quasi kontraproduktiv - zum Geldverdienen auftreten und gab allein zwischen 1957 und 1960 rund 500 Konzerte auf der ganzen Welt.

 

Künstlerisch waren die ein großer Erfolg, aber menschlich verhielt er sich so arrogant und undankbar, daß er immer wieder sein Renommee, das er erspielt hatte, durch Verhalten verspielte. Er ließ sich in England nieder, lebte bei Oxford, wo er komponierte und sich auf seine Konzerte vorbereitete, die seinen Lebensunterhalt sicherten. Völlig überraschend wurde er krank, seine Darmkrebserkrankung führte innerhalb weniger Monate zum Tod am 26. Juni 1982, mit 46 Jahren. Seine Oper war fast – die letzten 28 Takte der Orchestrierung fehlten - fertiggestellt, seinen Schädel hatte er schon zuvor der Royal Shakespeare Company „zum Gebrauch bei Theateraufführungen“ vermacht, was das beabsichtigte Aufsehen auslöste – original: „es „mir eine große Freude wäre, wenn ein jüdischer Schädel in Shakespeares Hamlet herumgeistert“, erst recht, falls Shakespeare ein Antisemit gewesen sei - , eine Aufmerksamkeit, die er doch eigentlich seinem Werk zugedacht hatte. Zwei Klavierkonzerte, zwei Streichquartette und Kompositionen für Stimme, Klavier und andere Instrumente konnte er aufführen, seine Oper allerdings ertönt in Bregenz zum ersten - aber sicherlich nicht zum letzten - Mal. Ein europäisches Schicksal. Fortsetzung folgt.

 

 

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