Serie: Die Bregenzer Festspiele 2013, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Bregenz (Weltexpresso) – Zum Ausklang der Bregenzer Ära des englischen Intendanten David Pountney, das dieser unter das Motto DEMLICHT ENTGEGEN stellte, hat dieser erneut ein völlig unbekanntes Werk dem Vergessen entrissen und es verdienstvoll durch die Uraufführung auf der Festspielbühne ans Licht und unsere Augen und Ohren geholt.

 

 

André Tschaikowskis – über den Komponisten mehr im vorherigen Artikel - Oper DER KAUFMANN VON VENEDIG ist von Keith Warner ästhetisch ansprechend auf die Bühne gebracht worden und unter der Leitung von Erik Nielsen musikalisch transparent von den Wiener Symphonikern dargeboten worden. Ein hervorragendes Ensemble und eine klare Formensprache auf der Bühne machten im Verein mit dem Libretto von John O'Brien nach dem Theaterstück von William Shakespeare DER KAUFMANN VON VENEDIG aus der dramatischen Erzählung von 1600, Komödie genannt, den tiefen Fall eines Bankers von heute, wobei die Stigmatisierung, die eigentlich dem Juden gilt, hier stärker als sonst auch dem Geld zukommt.

 

Da mußte sich O'Brien auch etwas einfallen lassen, denn Shylock, ein reicher Jude in Venedig, verkam spätestens seit den Aufführungen und im Film des Nationalsozialismus zu einer Karikatur des geld- und machtsüchtigen Juden, der dem armen Christen Antonio zwar den Kredit auszahlt, sich aber ausbedingt, bei dessen Nichtzurückzahlung „ein Pfund Fleisch“ aus dem Körper des Antonio herausschneiden zu dürfen. Das wurde per Vertrag besiegelt und Pacta sunt servanda heißt die Vertragstreue im öffentlichen und privaten Recht, weshalb dieser Jude Shylock zum Vorbild für die Judenphantasien wurde, die am Schluß auch noch Babys aufessen. Es gibt also gute Gründe dafür, daß dieser KAUFMANN derzeit kein Renner auf unseren Bühnen ist.

 

Daß es aber auch gute Gründe gibt, die Geschichte auf einer Opernbühne darzustellen und die Geschicke von dem betroffenen Menschen singen zu lassen, zeigt diese beklatschte Aufführung in Bregenz. Dabei taten wir uns bei den ersten beiden Akten durchaus schwer, denn die Musik, die im ersten und zweiten Akt nach der Art der Tonalitätsferne der Sechziger/Siebziger Jahre uns schwer im Ohr lag und auf der Bühne im Geschehen nur ästhetisch zufriedenstellte, von der Handlung her aber nicht fesselte, entwickelte im dritten Akt eine derartige Wucht, daß der gesamte Zuschauerraum wie gebannt auf die Bühne schaute, wo sich vor den eigenen Augen eine Gerichtsszene entwickelte, in der jedes Argument verständlich erschien, jedoch die Konsequenz daraus nicht lebbar ist.

 

Tritt sonst das Mitleid mit dem armen Antonio ein, dem ein Pfund seines Fleisches mit dem Messer durch Shylock herausgeschnitten werden soll, ertappen wir uns hier dabei, diesem christlichen Gesindel mit seinen Rechtsverdrehungen das Allerschlechteste zu wünschen - nein, nein, „Fleisch ab“ nun nicht, - und, wenn schon nicht das Antoniofleisch, dem hier gebeutelten Shylock doch zumindest eine Art Genugtuung zu gönnen. Er wird sie auch auf der Bregenzer Bühne nicht erhalten, aber er hat zum Verderb – sein Geld ist verloren – wenigstens nicht auch noch den Spott dazu, sondern unsere Überzeugung, daß man so mit Menschen nicht umgehen kann, Jude hin und her, Kapitalist hin und her.

 

Dieser inhaltlichen und musikalischen Wucht folgt ein Epilog, der eigentlich alles wieder zurücknimmt, was an Dramatik gerade geschehen ist und in eine andere Welt, eine Welt der Frauen und der Frauenmacht führt und sozusagen das Lesezeichen zum soeben Geschauten darstellt.

 

Fangen wir von vorne an. Wenn David Pountney DEM LICHT ENTGEGEN auch den Shakespeareschen KAUFMANN sehen will, fängt das mit dem klaren überschaubaren und sehr leicht veränderbaren Bühnenbild (Ashley Martin-Davis, auch für Kostüme zuständig) an. Da sind zwei, später drei klassische Mauern, die wie beim mexikanischen Ballspiel das Spielfeld markieren, dann aber auch ineinandergeschoben Ecken und andere Formationen möglich machen, wobei die typisch italienischen Renaissanceschmuckelemente der auskragenden Gesimse eine höhere Sphäre andeuten. Massiv und doch elegant.

 

Ebenfalls elegant, aber sehr grazil, kümmert der venezianische Kaufmann Antonio Kontratenor Christopher Ainslie – vor sich hin. Sein tief verehrter Freund Bassanio – Charles Workman - will heiraten und braucht Geld, um die reiche Portia heiraten zu können. Antonios Geld allerdings schwimmt auf dem Wasser, denn er hat als guter Kapitalist alles in die Fracht gesteckt, die sein Vermögen potenzieren wird. So lange kann Bassanio nicht warten, weshalb Antonio beim Juden Shylock – schmal und männlich Adrian Eröd - einen Kredit aufnimmt, den er, falls er ihn innerhalb von drei Monaten nicht zurückzahlen kann, mit seinem eigenen Fleisch bezahlen muß: mit einem Pfund davon.

 

Wir erleben den Oberflach dieser Geschäftsjüngelchen wie Salerio und Solanio, auch Gratiano – Adrian Clarke, Norman D. Patzke und David Stout, die aufsässige Jessica – Kathryn Lewek, Tochter des Shylock, die mit Lorenzo – Jason Bridges – durchbrennt und große Teile des väterlichen Vermögens mitgehen läßt. Im zweiten Akt in Oberitalien sehen wir der gelangweilten Portia – Magdalena Anna Hofmann - zu, die nur den Mann heiraten darf, der das väterliche Rätsel löst, obwohl der Vater schon längst gestorben ist. Doch die Vorsehung – bzw. Komödienkunst – läßt den attraktiven Bassanio das Richtige raten, schnell wird geheiratet und nach Venedig gedüst, um dem armen Antonio beizustehen, denn der hat seine gesamte Flotte und damit sein gesamtes Geld verloren. Das Herausschneiden des Pfundes Fleisch droht.

 

Das angesetzte Gerichtsverfahren unter dem Dogen von Venedig im dritten Akt bringt zwei junge Gerichtsgelehrte ins Verfahren, das erst sehr eindeutig auf dem Recht der Vertragstreue der beiden Vertragspartner verharrt, bis die beiden jungen Gelehrten – dahinter verstecken sich Portia und ihre Freundin Nerissa – Verena Gunz - eine spitzfindige juristische Variante ins Spiel bringen, die alles umkehrt. Ja, er habe Recht, der Jude Shylock, er bekomme das Pfund Antonio-Fleisch, wenn er beim Herausschneiden aus dem Körper des Antonio jedoch nur einen Blutstropfen vergieße, einen christlichen Blutstropfen, verwirke er sein Recht, verliere sein gesamtes Vermögen und müsse zum Christentum konvertieren.

 

Also ist der ausgeraubte und von der Tochter verratene Shylock der Dumme, der mit allem draufzahlt. Antonio kommt gut aus seinem gebrochenen Vertrag heraus, auch sein Geld ist auf einmal wieder da. Aber glücklich schaut er nicht aus. Kein Wunder. - Was wir hier niederschrieben, sind die Gedanken und Empfindungen, die sich beim Zuhören und Zuschauen einstellen, weil die Inszenierung sich sehr auf die Personenführung und auf die Dialoge verlassen kann. Die jeweilige musikalische Umsetzung ist auf die psychische Gegebenheit der jeweiligen Person zugeschnitten.

 

Im besagten dritten Akt tritt eine Kongruenz von Stimme, Inhalt und psychischer Verfassung der Personen ein, die zu großer Anteilnahme, genauem Zuhören und dem Übergehen von Musik in höhere Spähren führt. Dramaturgisch hat das stattgefunden, was seit den griechischen Dramen Katharsis heißt und hier das Gesicht des Shylock zeigt, dem seine christliche Umwelt übel mitgespielt hat, weshalb um so einsichtiger wird, warum er, der Rechtlose, auf seinem Recht beharren wollte.

 

Foto: links Antonio. Christopher Ainslie, rechts Shylock, Adrian Eröd

 

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