Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - In der Regel sind Frauen die großen Liebenden in den ganz großen Opern. Die männlichen Helden erscheinen mehrheitlich unzulänglicher und gemeiner, betrügen Frauen oder behandeln sie schlecht oder schmieden finstere Pläne.
Als ich 1976 erstmals die Meistersinger in der Deutschen Oper Berlin erlebte, wurden sie sofort zu einer meiner Lieblingsopern. An die fünf, sechs Mal war ich dabei und sollte lange davon zehren.
Regie führte damals der wunderbare Peter Beauvais mit stimmungsvollen Ansichten vom mittelalterlichen Nürnberg mit den heute ach so verachteten Butzenscheiben und einer zauberhaften Festwiese mit einem lichten Horizont dahinter, die entfernt an Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich erinnerte.
Unvergessen ist mir vor allem Dietrich Fischer- Dieskau als ein bis heute unübertroffener Hans Sachs. Ich war mir Jahre später mit dem Wagner-Connaisseur Peter Wapnewski einig, dass dies die absolute Glanzpartie von Dieskau war, dies nicht allein musikalisch, sondern auch in der Weise, wie er diese Figur als nobler Souverän und feinfühliger Liebender anlegte. Dazu fügte es sich gut, dass in der Wiederaufnahme ein Jahr später Julia Varady das Evchen sang, die gerade mit Dieskau frisch verheiratet war – die Konstellation brachte ein besonders spannungsvolles Knistern zwischen den beiden mit sich.
Jedenfalls waren das Sternstunden in der Aufführungsgeschichte dieses Werks, das drei Jahrzehnte später in dieser naturalistischen Ästhetik kaum noch denkbar erschien.
Zum Glück war dies nicht die einzige gute Produktion dieses Musikdramas, die mir in jungen Jahren vergönnt war. Theo Adam in dieser Rolle, der ebenfalls ein fantastischer Sachs gewesen sein muss, hörte ich zwar leider nur auf der Platte unter Herbert von Karajan. Aber noch die Nachfolge-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin von Götz Friedrich, in der Bernd Weikl einen weiteren hervorragenden Sachs gab, für den diese Partie ebenso zu einer Paraderolle wurde, wirkte sehr berührend ebenso wie die von August Everding inszenierte Produktion an der Bayerischen Staatsoper, die ich dort in den 1990er Jahren unter Wolfgang Sawallisch mehrfach erleben durfte, und nicht zu vergessen die ebenfalls noch ganz dem Stück verpflichteten Meistersinger von Daniel Barenboim und Harry Kupfer an der Berliner Staatsoper.
Meine ersten Meistersinger in Bayreuth erlebte ich 1999. Es war die letzte Inszenierung von Wolfgang Wagner, die im Premierenjahr noch Daniel Barenboim leitete, ein Jahr später dann Christian Thielemann, der damit sein fulminantes Debüt auf dem Grünen Hügel gab. Die Inszenierung setzte keine Maßstäbe, war aber handwerklich gut gemacht und diente der Erzählung der Geschichte mit allem was dazu gehört. Allerdings war es die letzte Produktion einer solchen szenischen Ausrichtung vor dem entscheidenden Einschnitt. Das hatte nicht unerheblich mit dem negativen Presse-Echo zu tun. Die überregionale Opernkritik störte sich daran, dass Wolfgangs Inszenierung zu wenig politisch gewesen sei. Schließlich handelte es sich doch um das „Kainsmal deutscher Geschichte“, wie einmal ein Journalist das Musikdrama bezeichnete.
Im Zuge dessen müssen sich Regisseure regelrecht aufgefordert gefühlt haben, die unrühmliche Rezeption dieses Werkes, dem die Nationalsozialisten ihre nationalistische Ideologie aufzwangen, zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierungen zu machen.
Man könne das Werk nicht mehr unbelastet aufführen, meinte beispielsweise Peter Konwitschny, der an der Hamburgischen Staatsoper 2002 mit seinen Meistersingern für einen Skandal sorgte: Nach den Worten Was deutsch und echt brach die Musik brüsk ab, dann sagte einer der Meister mit Sprechstimme „das kannst du doch nicht ernsthaft jetzt so bringen“, Hans Sachs verstummte, und es wurde lauthals mit einem frei erfundenen Text darüber disputiert. – Zum Missfallen eines durchaus streitlustigen Publikums, das sich das keienswegs gefallen ließ. Zumindest gab es allerhand verärgerte Zwischenrufe aus dem Parkett, und nachdem aus dem Rang jemand empört Konwitschny einen „Oberlehrer“ schimpfte, intervenierte der am Pult stehende Ingo Metzmacher mit dem Vorschlag, den Abend friedlich zu Ende zu bringen, nannte eine Taktzahl und gab den Einsatz.
Vielleicht hatte ein solches Experiment tatsächlich einmal seine Berechtigung, aber leider war das erst der Anfang einer sich ganz und gar auf die dunkle Rezeptionsgeschichte festlegenden Lesart. Christof Nel, dessen Inszenierung an der Oper Frankfurt für mich einen Tiefpunkt markierte, machte aus der Prügelfuge im zweiten Akt regelrecht einen Pogrom gegen den mit einem Davidstern auftretenden Beckmesser. Der Tanz auf der Festwiese wurde bei ihm zu einem Totentanz in völligem Schwarz. Und ganz unweigerlich wurden die Meister so allesamt zu bösen Nazis, dies allerdings mehr in der Fantasie des Regisseurs als seitens der Dichtung und ganz im Kontrast zu der in hellem C-Dur leuchtenden Musik.
Bei Thomas Langhoff in München kamen schließlich auch Hakenkreuze auf die Bühne und so ging es immer weiter. Mit einer Ausnahme: An der Wiener Staatsoper dirigierte Christian Thielemann nach seinem Bayreuth-Einstand noch einmal die Meistersinger in einer ansprechenden Repertoire-Vorstellung, inszeniert von Otto Schenk. Auch diese Aufführung ist mir unvergessen, weil – inmitten all dieser politischen und zunehmend optisch auch hässlicher werdenden Produktionen – etwas geschah, was einer Art Demonstration gleichkam: Als hinter der Schusterstube die mit allerhand bunten Bändern geschmückte Festbühne zum Vorschein kam, regte sich spontan ein begeisterter, dankbarer lang anhaltender Szenenbeifall. Das Publikum stellte klar: Danke, so wollen wir die Meistersinger wieder sehen!
Eine Neuproduktion dieser Art, wie sie endlich 2019 bei den Osterfestspielen Salzburg zur Premiere kam, stellte freilich eine weitaus größere Herausforderung an den Dirigenten Thielemann, musste er doch erst einmal einen Regisseur finden, der so souverän sein würde, sich aus allen bisherigen vorgegebenen Denkrichtungen zu befreien. Noch dazu musste er noch geeignete Sänger finden, die den hoch anspruchsvollen Partien gewachsen sind. Am Ende hat er aber die idealen Mitstreiterinnen und Mistreiter gefunden.
So konnte, zuerst in Salzburg und dann im Januar dieses Jahres in der Dresdner Semperoper, endlich ein Reset stattfinden, rückt nun seit langer Zeit endlich wieder das 1868 uraufgeführte Werk mit seinem bewegenden Diskurs über deutsche Kunst und Identität selbst ins Zentrum. Dies einfach auch, weil hier Künstler am Werk sind, die sich von der Musik berühren lassen und nicht den zweifelhaften Versuch unternehmen, ihr irgendetwas auszutreiben. Und weil wir von dem vielleicht von Wagner entworfenen utopischen Modell einer idealen Gesellschaft, in der sich Junge und Alte zusammenraufen, doch einiges lernen können.
Foto:
©
©