EZB-Kulturtage 2013 in Frankfurt am Main
Notker Blechner
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - – Mit Lettland bekommt die Euro-Zone bald nicht nur ein wirtschaftlich robustes neues Mitglied, sondern auch ein Land mit viel Kultur. Letten lieben es zu singen - am liebsten im Chor. Der Gesang half, die nationale Identität unter der russischen Besatzung zu wahren. In Frankfurt kann man derzeit die Musik und Kultur aus Lettland (neu) entdecken - bei den Kulturtagen der EZB.
Vor gut fünf Jahren stand Lettland kurz vor dem Staatsbankrott. Ein 7,5 Milliarden Euro schwerer Notkredit der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) rettete den kleinen baltischen Staat vor der Zahlungsunfähigkeit.
Vom Krisenland zum europäischen Musterschüler
Nun begrüßt in der Frankfurter Alten Oper EZB-Präsident Mario Draghi das Land als künftiges Euro-Mitglied, und es brandet Beifall auf. "Wir sind ein Land, das hervorragend die Krise überwunden hat", erklärt der lettische Notenbankchef Ilmars Rimsevics stolz. Tatsächlich ist das baltische Land zum Musterschüler in der EU mutiert. Die Wirtschaft wächst um über fünf Prozent und damit so stark wie kein anderes Land in der EU, die Staatsschuld wird in diesem Jahr nur 42 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen.
Dass die Mehrheit der Letten den Euro gar nicht will, verschweigen an diesem Abend Draghi und Rimsevics. Warum auch, sie sind gekommen, um in Frankfurt ein Stück des kulturellen Reichtums Europas zu zeigen: Musik, Literatur und Kunst aus Lettland. Schließlich ist Riga 2014 europäische Kulturhauptstadt.
Frankfurts Wirtschaftsdezernent Markus Frank (CDU) wirkt plötzlich ganz staatsmännisch und hält eine flammende Europa-Rede, die eigentlich Draghi halten müsste. Die EU sei nicht nur eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch ein Haus voller unterschiedlicher Kulturen. Frankfurt sei der ideale Ort für die EZB-Kulturtage, da hier fast jeder dritte Bewohner einen ausländischen Pass habe, schwärmte "Multikulti"-Fan Frank.
Zauberhaftes Eröffnungskonzert in der Alten Oper
Zur Eröffnung der 11. EZB-Kulturtage in der Alten Oper traten der lettische Nationale Symphonieorchester und der lettische Staatschor "Latvija" auf. Im ersten Teil drehte sich alles um die europäische Romantik. Das von Mark Chichon geleitete Lettische Symphonieorchester spielte Werke von nationalen Komponisten: den "Melancholischen Walzer" von Emils Darzins und drei Stücke aus der Sinfonischen Suite "Der Blumenkranz" von Peteris Barisons. Darauf folgte die "Introduction et Rondo Capriccioso" des französischen Komponisten Camille Saint Saens. Besonders eindrucksvoll war dabei der Auftritt der jungen Geigerin Baiba Skride, die längst zum Weltstar geworden ist.
Nach der Pause wurde es plötzlich ungewohnt laut und monumental: Das Orchester interpretierte Richard Wagners Ouvertüre zur Oper "Rienzi". Wagner? Was hat Wagner mit Lettland zu tun? Sehr viel, erklärte Lettlands Notenbank-Präsident Rimsevics, Moderator des Abends. Wagner lebte zeitweise in der Hauptstadt Riga, war Kapellmeister und komponierte dort Teile seiner frühen Oper. "Sein Geist wurde in Lettland geformt", meinte der Notenbanker mit einem schelmischen Lächeln.
Halb Lettland ist ein Chor
Danach durfte endlich der Chor ran. Denn die Chormusik, schwärmte Moderator Rimsevics, sei das Rückgrat der lettischen Musik. In lettischen Liedern von Jazeps Vitols und Aldonis Kalnins bewiesen die über 50 Choristen ihre unvergleichliche Klangkultur.
Dass der Chor nicht nur singen kann, zeigte sich in der Komposition "Sterne"von Eriks Esenvalds. Darin strichen die Choristen mit ihren Fingern über die Ränder von Gläsern und erzeugten so zusätzliche bizarre Rausch-Töne als Ergänzung zu ihrem Gesang.
Den krönenden Abschluss des Abends bildete das "Te Deum" des 1964 geborenen lettischen Komponisten Rihards Dubra für Chor, Orgel und Orchester. Ganz langsam wurde die Musik immer kraftvoller, bis sie sich hemmungslos in im Fortissimo-Rausch entlud. Nur schade, dass der Chor dabei kaum noch zu hören war.
Info:
Die EZB-Kulturtage finden bereits zum elften Mal in Frankfurt statt. Jedes Jahr präsentiert sich ein anderes EU-Mitglied. In diesem Jahr ist Lettland zu Gast. Das Programm läuft noch bis zum 15. November. Am 5. November werden Improvisationen auf der Kokle, dem traditionellen Zupfinstrument in Lettland, vorgestellt. Ein Tag später zeigt Lettland seine moderne Seite: das Duo "Instrumenti" gibt ein Pop-Avantgarde-Konzert im Gibson. Zum Abschlusskonzert am 15. November wird es dann wieder klassisch: Im Gesellschaftshaus Palmengarten interpretieren der Lettische Radiochor, einer der besten Kammerchöre Europas, und das Kammerorchester "Sinfonietta Riga" zeitgenössische Stücke.