Uraufführung von Markus Heitz, Michael Herberger und Xavier Naidoo am Staatstheater Darmstadt am 16. November, Teil 2/4

 

Claudia Schulmerich

 

Darmstadt (Weltexpresso) – Seltsam, ein Buch zu lesen, das man als Kind las und dann ganz anderes darin wiederzufinden, als man sich erinnerte. Und daran sind nicht die vielen Fernsehbilder schuld, die das Gelesene überlagern könnten. „Schuld“ ist, daß man als Kind anders liest, denn diesmal kamen mir die 250 Seiten ziemlich lang vor. Durcheinander ging es auch.

 

Und wenn ich schreibe „daß man als Kind anders liest“, muß es heißen, daß man als damaliges Kind anders gelesen hat. Darum würde uns sehr interessieren, wie Kinder von heute dies Buch, nicht nur seinen Inhalt, sondern die Erzählweise wahrnehmen. Am eigentlichen Inhalt ist kein Fitzelchen Kritik zu üben. Es hat James Krüss diese Ausgangssituation, daß ein armer unschuldiger Knabe nicht einmal aus Gewinnstreben, sondern aus bitterer Not, etwas, was ihm nicht viel wert dünkt, weil er es einfach von Natur aus hat: sein unwiderstehliches Lachen dem verkauft, der ihm dafür ein sorgenloses Leben, nein, nicht in erster Linie für sich selbst, sondern für die verhaßte Stiefmutter und deren Sohn verspricht.

 

Was ich als Kind arglos las, las ich jetzt ganz anders. Die Armut des Jungen nahm ich als gegeben hin, heute erst lese ich den Text sozialkritisch in der Art, daß eine Gesellschaft es gar nicht erst dazu kommen lassen darf, daß ein Junge sich gezwungen fühlt, sein Lachen zu verkaufen.Und das hatte James Krüss im Sinn, denn sein langer Untertitel auf dem Eingangsblatt lautet: „Die Geschichte von dem kleinen Jungen und dem großen Geld, vom Lachen und vom Weinen, vom Wettgeschäft und einem sehr karierten Herrn. Erzählt von Timm, dem Marionettenspieler. Aufnotiert für alle, die noch lachen können, von James Krüss“.

 

Aha, die noch lachen können, also für diejenigen, die ihre Seele nicht dem Mammon verkauft haben, lese ich darin heute. Eine deutlich antikapitalistische Botschaft, kann man genauso sagen, wie die Aufforderung zum Teilen auch darin enthalten ist. Das Phantastische an der Geschichte selbst, daß nämlich ein solcher Deal, ein solcher Kuhhandel überhaupt möglich ist, das Lachen gegen das große Geld, was James Krüss dazu sehr viel hintersinniger formuliert, damit für Timm Thaler ein Ausstiegsmodus überhaupt möglich wird, denn nur dadurch, daß der Gegenwert für das Lachen die Fähigkeit ist, jede Wette der Welt zu gewinnen, steigert sich erstens der Geldwert ins Unermeßliche und bietet zweitens die Möglichkeit, mit Geisteskräften die Wettfähigkeit gegen den zu richten, der sie mit entsprechendem Vertrag in sieben Punkten verkaufte.

 

Wenn Timm auf einmal eine Wette nicht gewönne, erhielte er sein Lachen zurück, aber ginge auch der Fähigkeit verlustig, noch weitere Wetten zu gewinnen. Daß aber das Lachen versiegen könne, kommt im Vertrag überhaupt nicht vor. Womit wir endlich zum 'karierten' Herrn kommen müssen, den Timm auch erst beim Vertragsabschluß als Herrn L. Lefuet kennenlernt, wie wir schrieben ein Ananym, weil rückwärts gelesen erst der richtige Name daraus wird, Herr Teufel nämlich.Zum Baron wird er erst später. Aber auch dieser kann sein Lachen verlieren, dann nämlich wenn er darüber reden täte, dann nämlich behielte Timm sowohl die Wettfähigkeit, wie auch sein Lachen zurück. Aber, wenn Timm nur ein Sterbenswörtchen über den Handel verlöre, verlöre er auch seine Geldquelle und hätte trotzdem nicht sein Lachen zurück.

 

In diesem Knebelvertrag steckt nun Timm und Krüss strukturiert die ganze Geschichte, in dem er sie diesen Timm einem alten Schulfreund an sieben Tagen erzählen läßt. Denn sie sind eingebettet in eine Rahmenerzählung, in der dieser Schulfreund ebenfalls übersinnliche Erlebnisse hat. Damit greift Krüss durchaus einen Zug der phantastischen Literatur auf, in dem die verrücktesten Sachen ganz logisch passieren können, weil die Rahmenhandlung sie als herausgehobene Wirklichkeit vorweist, so wie auch ein Traum eine eigene Realität hat.

 

Krüss nimmt damit einen literarischen Kunsttrick zu Hilfe, mit dem man mühelos in andere Welten gelangt. Die Brüder Grimm konnten – in einer ganz und gar anderen Zeit – noch märchenhaft erzählen. Da finge ein Märchen direkt mit dem kleinen Timm an, der mit seiner bösen Stiefmutter nicht zurecht kommt, was sich verschlimmert, als sein lieber guter Vater stirbt. Und darin unterscheidet sich eben auch das Erwachsenenlesen von dem des Kindes. Ersterer liest nicht nur den Inhalt, sondern immer auch die Machart der Geschichte mit.

 

Und darum haben wir uns gewundert, was James Krüss den Kindern 'zugemutet' hat. Sein Timm Thaler ist nämlich weder kindlich im sprachlichen Ausdruck, noch in seiner grammatikalischen Struktur. Eher ist die Geschichte biedermeierlich verwickelt und verzwickt und verzwackt und insgesamt haben wir uns nach der Lektüre gefragt, wie werden wohl die Musicalmacher mit einem so vielschichtigen Buch umgehen, dessen Moral ja nicht nur die des miesen Handels ist, sondern in der sich ganz viele weitere Geschichten verstecken wie Familie, Freundschaft, Nachbarschaft – ach was, irgendwie das ganze Leben.

 

 

INFO I:

 

James Krüss, Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen, Oetinger Verlag 2006, erstmals erschienen 1962

 

 

INFO II:

Musical in Kooperation mit dem Stadttheater Brno (Brünn)

 

Musikalische Leitung Johannes Zimmermann | Inszenierung Stanislav Moša| Bühne und Kostüme

 

Christoph Weyers | Choreografie Aneta Majerová| Choreinstudierung Markus Baisch

 

Mit Benedikt Ivo/Timo Verse als Timm Thaler, Stephan Bootz/Franz Nagler als Baron, Bettina Meske/Stephanie Tschöppe als Karin Thaler, Karl Grunewald/David Pichlmaier als Felix Thaler Felix Thaler, Michèle Fichtner als Marie, Karl Grunewald/Alexander di Capri als Alexander, Elisabeth Sikora/Hannah Garner als Lilith

 

Premiere 16. November 2013 | 19.30 Uhr | Großes Haus

 

Weitere Vorstellungen 22. und 28. November 2013 | 19.30 Uhr | Großes Haus

 

Karten: Staatstheater Darmstadt | Karten-Telefon 06151-2811 600 | Kassen-Öffnungszeiten: Montag bis

Freitag 10 bis 18 Uhr | Samstag 10 bis 13 Uhr

 

www.staatstheater-darmstadt.de

 

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INFO III:

 

Wir konnten die Premiere mit freundlicher Unterstützung des MARITIM Kongresshotel Darmstadt erleben. Beide Darmstädter MARITIMHOTELS bieten für Auswärtige ein TIMM THALER PAKET an. Für 149 Euro erhalten Sie neben der Eintrittskarte und der Übernachtung mit Frühstücksbuffet (sehr gut, finden wir!) , auch noch einen Vesperteller mit Odenwälder Spezialitäten und Wein aus der Region sowie einen Schlummertrunk in der Hotelbar und eine Flasche Wasser im Zimmer.

Buchbar sind noch folgende Termine: 28. November, 6. Dezember, 4. und 30. Januar

Telefon 06515 878-0 MARITIM Konferenzhotel

Telefon 05151-303-0 MARITIM Rhein Main Hotel