Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit dem Tod von Menschen, aber auch mit anderen Vernichtungen steigen aus der Vergangenheit Momente von Schönheit auf, von Glück, an die man sich ohne diesen Tod des einen Menschen nie so zurückerinnert und daraufhin zurückgesehnt hätte. So geht es mir bei der Todesnachricht von William Cochran, der gar nicht wußte, daß auch jemand wie ich ihn dereinst stellvertretend für das ganze Konzept von Gielen/Berghaus auf der Bühne geliebt hatte - und ausgerechnet in keiner Rolle so existentiell wie gerade im SIEGFRIED, der Tragödie dritter Teil.
Nie werde ich mein Erschrecken, ja Entsetzen vergessen, als ich in der Generalprobe zu SIEGFRIED seinen Darsteller auf der Bühne, den amerikanischen, durchaus gewichtigen - die Spanier sprechen dann von einem 'hombron' - Tenor William Cochran, in kurzen weißén Hosen herumhampeln sah, wie ein Rotzbengel, ein unvernünftiges, zu groß geratenes Kind, einfach grotesk. "Das wird ein Skandal," war mein erster Gedanke, denn es waren ja die Opernzeiten, wo auf der Bühne zwar Operngeschichte geschrieben wurde - von heute her -, wo gleichzeitig ein bildungsbürgerliches Publikum den Pomp und die 'romantische' Verklärung dieser urdeutschen Sage auf einer Opernbühne nicht vermissen wollte und wütend und lautstark gegen solche 'entsetzlichen' Inszenierungen wie die der Berghaus zu Felde zogen und sich in der Frankfurter Gielenära (1977-87) die alten Abonnenten halbiert hatten, was durch enorme Anwächse von jungen Leuten nicht nur ausgegleichen, sondern weit im Plus landete. Und da von den Aufführungen unter Gielen - ach, wie unvergleichlich war auch sein und der Berghaus Berlioz - derart hingerissen war, fühlte ich mich auch für sein potentielles Scheitern verantwortlich, bzw. befürchtete es in vorauseilender Besorgnis. Doch schon mitten im SIEGFRIED hatte ich dann alles vergessen und starrte hingerissen auf die Bühne diesen Koloß in weißen Hosen an, der ob seiner vorgeschriebenen Dummheiten, täppischen Bewegungen, so unsicheren wie kecken Verhaltensweisen einfach einen Jungen auf die Bühne zauberte, wo Naivität die Waffe gegen das Böse wird, lange, aber nur so lange, bis er der bösen List erliegt und gemordet wird.
Mit welcher Wucht und welcher Zartheit William Cochran dies so darstellte, daß man mit offenem Mund und Rückenschauern das Geschehen verfolgte und den Gleichklang von körperlich-seelischer und sängerischer Darstellung tief aufnahm, das fühle ich noch heute. Warum neben allen anderen wunderbaren Erlebnissen von ihm auf der Frankfurter Opernbühne gerade diese die tiefste Erinnerung ist, ist völlig verständlich. Denn, wenn das, was man für einen kommenden Skandal hält, sich in und nach der Aufführung als großes Glück einfindet, dann ist die Bandbreite der Gefühle eben so gewaltig, daß die Erinnerung davon zehrt. Aber es ist noch etwas anderes. Ich liebte den ganzen Ring und weiß noch wie heute, daß die Abschiedsvorstellung von Gielen mit der GÖTTERDÄMMERUNG in mir die Frage aufkommen ließ, ob ich überhaupt hingehen sollte, weil ich, ob des Weggangs von Gielen solche Verlustgefühle lebte, daß ich befürchtete, daß mit dem eh so dramatisch endgültigen Ende des Rings bei mir alle Dämme brechen würden und ich ob des Endes Gielens Hierseins nur noch heulen würde. Wie gut, daß ich trotzdem ging und nach dem grandiosen Zerfall der vierten Ringoper mit den anderen enthusiasmierten Zuschauern eineinhalb Stunden klatschte. Wirklich: eineinhalb Stunden. Keine einzige Träne, nur tiefe Dankbarkeit empfindend für einen Mann, der uns ein Jahrzehnt Musiktheater geschenkt hatte, was wir vorher nicht gekannt hatten. Genau in diese Kategorie gehört William Cochran. Denn nach der Generalprobe des SIEGFRIED sah und hörte ich ihn auch in der Premiere des SIEGFRIED und wenn ich mich recht erinnere, sah ich ihn in allen sieben Aufführungen des dritten Teils des Ringzyklus. Und die kurzen Hosen mußten einfach sein, sie waren stimmig, Ausdruck des großen Kindes.
Bleibt also Dankbarkeit für das, was uns geschenkt wurde und Trauer um die Menschen, die uns das möglich machten. Nach Gielen, Berghaus auch William Cochran.
Ach so, von Vernichtung sprach ich in der Anfangszeile, weil ja durch die so dämliche Torheit eines damaligen obdachlosen DDR-Flüchtlings, dem kalt war und der in der Nacht zum 12. November 1987 in die Frankfurter Oper einstieg und sich ein Feuer machte, auch neben der Oper die ganzen Bühnenbilder der Berghausinszenierung des Rings verbrannt sind.
Mit welcher Wucht und welcher Zartheit William Cochran dies so darstellte, daß man mit offenem Mund und Rückenschauern das Geschehen verfolgte und den Gleichklang von körperlich-seelischer und sängerischer Darstellung tief aufnahm, das fühle ich noch heute. Warum neben allen anderen wunderbaren Erlebnissen von ihm auf der Frankfurter Opernbühne gerade diese die tiefste Erinnerung ist, ist völlig verständlich. Denn, wenn das, was man für einen kommenden Skandal hält, sich in und nach der Aufführung als großes Glück einfindet, dann ist die Bandbreite der Gefühle eben so gewaltig, daß die Erinnerung davon zehrt. Aber es ist noch etwas anderes. Ich liebte den ganzen Ring und weiß noch wie heute, daß die Abschiedsvorstellung von Gielen mit der GÖTTERDÄMMERUNG in mir die Frage aufkommen ließ, ob ich überhaupt hingehen sollte, weil ich, ob des Weggangs von Gielen solche Verlustgefühle lebte, daß ich befürchtete, daß mit dem eh so dramatisch endgültigen Ende des Rings bei mir alle Dämme brechen würden und ich ob des Endes Gielens Hierseins nur noch heulen würde. Wie gut, daß ich trotzdem ging und nach dem grandiosen Zerfall der vierten Ringoper mit den anderen enthusiasmierten Zuschauern eineinhalb Stunden klatschte. Wirklich: eineinhalb Stunden. Keine einzige Träne, nur tiefe Dankbarkeit empfindend für einen Mann, der uns ein Jahrzehnt Musiktheater geschenkt hatte, was wir vorher nicht gekannt hatten. Genau in diese Kategorie gehört William Cochran. Denn nach der Generalprobe des SIEGFRIED sah und hörte ich ihn auch in der Premiere des SIEGFRIED und wenn ich mich recht erinnere, sah ich ihn in allen sieben Aufführungen des dritten Teils des Ringzyklus. Und die kurzen Hosen mußten einfach sein, sie waren stimmig, Ausdruck des großen Kindes.
Bleibt also Dankbarkeit für das, was uns geschenkt wurde und Trauer um die Menschen, die uns das möglich machten. Nach Gielen, Berghaus auch William Cochran.
Ach so, von Vernichtung sprach ich in der Anfangszeile, weil ja durch die so dämliche Torheit eines damaligen obdachlosen DDR-Flüchtlings, dem kalt war und der in der Nacht zum 12. November 1987 in die Frankfurter Oper einstieg und sich ein Feuer machte, auch neben der Oper die ganzen Bühnenbilder der Berghausinszenierung des Rings verbrannt sind.
Pressemitteilung der FRANKFURTER OPER zum Tod des Opernsängers WILLIAM COCHRAN
Der US-amerikanische Opernsänger William Cochran ist am 16. Januar 2022 im Alter von 78 Jahren in seiner Wohnung in Königstein im Taunus gestorben. Das teilt die Familie des Verstorbenen mit.
Seit Anfang seiner international beachteten Karriere trat William Cochran als Heldentenor regelmäßig in den bedeutendsten Opernhäuser Nord- und Mittelamerikas sowie Europas und Asiens auf.
Nachdem er mit 24 Jahren bereits viele der bedeutendsten Gesangs-Wettbewerbe der Vereinigten Staaten - u.a. als erster Co-Preisträger des Lauritz Melchior Heldentenor Foundation Grant - gewonnen hatte, begann der Schüler Lotte Lehmanns seine Karriere 1969, als er an den „New York Metropolitan Opera Auditions“ teilnahm und ihn Sir Rudolf Bing noch vor dem Halbfinale dieses Wettbewerbs als „Jugendlicher Heldentenor“ an die Metropolitan Opera berief. Ein bis dato einzigartiger Vorgang in der Geschichte der Met.
Der 1943 geborene Sänger kam 1969 nach Europa, wo er Mitglied des Ensembles der Oper Frankfurt am Main unter Christof von Dohnanyi und regelmäßiges Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München wurde. Es folgten regelmäßige Engagements an den bedeutendsten Opernbühnen der Welt (z.B.: Metropolitan Opera New York, San Francisco Opera, Royal Opera Covent Garden London, Nationaloper Amsterdam, Opéra Nationale de Paris, La Monnaie Brüssel, Opernhaus Zürich, Wiener Staatsoper, Berliner Staatsoper, Staatsoper Hamburg, u.v.m.).
Sein Repertoire umfasste mehr als 60 Opern, darunter alle Heldentenor-Partien Richard Wagners, aber auch – und da lag seine künstlerische Vorliebe – Charakterrollen zeitgenössischer Opern. Große Erfolge feierte er auch mit Hauptrollen wie beispielsweise in Leos Janaceks Oper „Jenufa“ sowie in Benjamin Brittens Opern. Als „Peter Grimes“ in Willy Deckers Inszenierung der Brüsseler Oper brillierte er 1997 auch am Teatro Real in Madrid. Auch in der Düsseldorfer Oper am Rhein trat er langjährig auf, wie beispielsweise in Schrekers „Die Gezeichneten“ (1987), aber auch in Operetten Jacques Offenbachs, die seinem schauspielerischen und komödiantischen Talent entgegenkamen. Denn auf die Qualität des Schauspielerischen in der Operndarstellung legte William Cochran größten Wert. Zu erleben war das unter Ruth Berghaus‘ epochaler Inszenierung von Wagners „Ring“-Zyklus (1985-1987) in Frankfurt eindrucksvoll. „Technisch ist die deutsche Sängerausbildung nach wie vor hervorragend“, sagte William Cochran 2002 gegenüber der dpa, „aber den Ausschlag für den Erfolg gibt das Charisma der Sängerin oder des Sängers. Es kommt auf den letzten Schliff an.“
Aufnahmen und Preise
Bekannt wurde William Cochran auch durch Film-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen sowie mit zahlreichen Schallplatten, wie der erste Akt aus „Die Walküre“ (Richard Wagner/EMI) unter Otto Klemperer und „Doktor Faustus“ (Ferruccio Busoni/DGG) mit Dietrich Fischer-Dieskau unter der Leitung von Ferdinand Leitner. (Diese Aufnahme gewann den „Grand Prix du Disque“ 1971.) Zu erleben war der Sänger auch in Fernseh- und Rundfunk-Aufnahmen mit Dirigenten wie Leonard Bernstein, Claudio Abbado, Richard Kubelik, Bernard Haitink, Wolfgang Sawallisch und vielen mehr.
Für sein Wirken erhielt William Cochran zahlreiche Kritikerpreise.
1991 wurde ihm der Ehrentitel „Kammersänger“ verliehen und Frankfurt am Main ehrte ihn mit der „Harlekin“-Trophäe der Frankfurter Volksbühne. Im Jahre 1997 wurde Cochran mit dem Binding-Kulturpreis zur Ehrung seiner herausragenden, kulturellen Leistungen als integraler Bühnenkünstler und als Verkörperung des Frankfurter Musiktheater-Stils ausgezeichnet. „(..)Dass das Gesamtkunstwerk Oper in diesen dreißig Jahren so bewegend und so oft zustande gekommen sei, habe man in hohem Maße auch William Cochran zu verdanken (..).“, zitierte die „FAZ“-Sonntagszeitung die Begründung zur Preisverleihung am 22.06.1997.
Seine Bühnenkarriere fand 2001 durch einen Unfall ein jähes Ende, das ihn am Vorabend der Uraufführung der Oper „Re in Ascolto“ von Luciano Berio, deren Hauptrolle er singen sollte, ereilte. Mit den Folgen des Unfalles hatte er bis zuletzt zu kämpfen.
Die Zeit nach seiner aktiven Karriere widmete William Cochran der musikalischen Bildung junger Sänger*innen und dem Ziel, Kinder in den Schulen möglichst früh an die spezifische Kunstform Oper heranzuführen. Mit dem unter der Schirmherrschaft des Hessischen Kultusministeriums und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst stehenden und geförderten Projekt „Oper in die Schule!“ erreichte er von 2004 bis 2008 überregional etwa 10.000 Schüler*innen in Grund- und weiterführenden Schulen. William Cochrans Wirken und das Projekt mit Studierenden der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst wurde 2004 von dem damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau mit dem Förderpreis INVENTIO ausgezeichnet.
Die Frankfurter Oper ehrte ihn zu seinem 70. Geburtstag mit den Worten: „William Cochrans szenische Sprengkraft, das unverkennbare stimmliche Idiom und die strahlende Durchschlagskraft seiner hohen Spitzentöne erzeugten das, was man im Theater als "magischen Moment" bezeichnen könnte.“
William Cochran hinterlässt vier Kinder aus erster Ehe, acht Enkelkinder sowie seine Lebensgefährtin und Familie.
Foto:
©privat
Info:
Ichkonnte auf die Schnelle kein Foto der damaligen Aufführung finden. Das Internet ist doch sonst wie ein Ozean. Hier nicht mal wie ein Rinnsal.