deepDie neue CD bei Edel/earMUSIC   

Wolfgang Mielke   

Hamburg (Weltexpresso) -    '1' heißt die neue CD von Deep Purple, die zusammen mit der DVD "AAA" = "Access All Areas" am 19.7.2024 bei Edel /earMUSIC veröffentlicht wurde. Der Film wurde bereits am 18.7.2024 – und nur an diesem Tag in den Kinos – gezeigt. Und natürlich habe ich mir auch diesen, für meinen Begriff sehr interessanten Film angesehen.

Klappt man die CD/DVD auf, sieht man rechts zuerst mit zierlicher schwarzer Schrift auf weißem Grund eine lange, komplizierte mathematische Formel, die sich auflöst in: 1.

deeDer berühmte Schauspieler Ernst Schröder (1915 – 1994) sagte: ein Schauspieler müsse, wie die Primzahl, am Ende nur sich selbst gleichen und nur durch sich selbst und 1 teilbar sein. Die neue Deep Purple – CD gibt bekannt, dass die Band dieses Ziel erreicht zu habe; und sogar noch mehr: immer, wie Roger Glover (*1945) im Film (DVD) erklärt, mit sich identisch gewesen zu sein!

Außen ist die CD-Hülle weiß; innen alles schwarz – bis auf die durch das Universum, in dem man das Deep Purple – Universum erkennen mag, fliegenden Himmelskörper. --- 13 Stücke enthält diese CD. Und sie wirkt frisch! -- In einer Werbung in ganz anderer Sache der Wochenzeitung "Die Zeit" lese ich: "Du bist zwischen 20 und 29 und hast Lust auf neue Ideen?" - Das suggeriert, nur junge Menschen hätten neue Ideen. Diese CD beweist das Gegenteil! - Nachdem Ritchie Blackmore, der geniale Gitarrist, der die prägenden Deep Purple – Riffs erfand, von denen die Band bis heute zehrt, nach seinem Ausstieg von 1975 die Band Ende 1993 - nach der Reunion von 1984 - zum zweiten Mal und diesmal endgültig verließ, fand man einen Ersatz in Steve Morse (*1954), der einen ganz neuen Klang mit in die Band brachte: die Musik wurde weicher, geschmeidiger, melodiöser. 2022 gab Steve Morse nach 28 Jahren bei Deep Purple, in denen 8 Studio- und 10 Live-CD's erschienen waren, seinen Ausstieg bekannt, um seine todkranke Frau betreuen zu können. - Zwei Monate erfuhr die Öffentlichkeit, dass Simon McBride (*1979) neuer Lead-Gitarrist bei Deep Purple geworden sei. McBride hatte bereits mehrmals mit Don Airey (*1948) zusammen gearbeitet; dessen Solo-CD's "One OF A Kind" (2018) und "Don Airey and Friendes / Live in Hamburg" (2021), ebenfalls bei Edel / earMUSIC erschienen, legen davon Zeugnis ab; insofern bot es sich an, Simon McBride auch für Deep Purple zu rekrutieren. Sein Stil ist härter und enger als der von Steve Morse; man könnte sagen, sein Stil liege auf einer Mitte zwischen Ritchie Blackmore und Steve Morse. In jedem Fall hat er frischen Wind in die Band gebracht; die neue CD '1' beweist das.

Die Musik ist, wie gesagt: frisch, aber auch energiegeladen. Dazu trägt bei, dass uns als Hörern kaum Zeit zur Besinnung gelassen wird. Dem ersten Stück "Show me" beispielsweise hätte ich gerne noch etwas nachgesonnen, nachgehorcht – aber die Lücke zum nachfolgenden Stück "A Bit On The Side" ist dazu zu klein. So wird man gleich wieder weitergerissen. Zwischen dem vierten Stück "Portable Door" und dem fünften "Old-Fangled Thing" gibt es gar keine Lücke, sondern beide Stücke gehen über Orgelklänge ineinander über. Möglicherweise hängt die Frische und Energiehaftigkeit auch damit zusammen. So entsteht der Eindruck nur eines einzigen Stückes, wie einer längeren Komposition, unterteilt in mehrere Abschnitte oder Sätze. Doch mit Höhepunkten und eben einem Anfang, von dem ein Gefälle ausgeht, ähnlich einem Wasserfall, der dann allmählich bis zum Ende weiterführt.

deEinzelne Riffs merkt man sich nicht, kaum. Es ist nicht mehr die Zeit der wie gestanzten Riffs von Ritchie Blackmore, wo jedes Stück eine komprimierte Einheit war, die ganz klar im Kopf und in der Vorstellung vorhanden und jederzeit abrufbar ist. Es ist die Zeit fließender Übergänge. Dabei gibt es zahlreiche Anklänge an bereits von Deep Purple Veröffentlichtes. So, wie es über Schriftsteller heißt, dass sie imgrunde ihr Leben lang, so viele Bücher sie auch schon geschrieben haben, immer nur ein einziges Buch schreiben. Manchmal dachte ich an Stücke von Gillan's "Glory Road" – Album, an "Sleeping on the job" (1980) etwa; was zeigt: dass die Flamme noch immer brennt – die Kontinuität nach wie vor besteht.

Auch der beigegebene Video-Film ist sehr interessant: Er zeigt die Band vor dem Auftritt, die Neugier und Anspannung, die Unterhaltungen, bis sie auf die Bühne geleitet werden, dann der Beginn des Konzerts. Er zeigt die Band auch im Studio, wo und wie Ideen ausprobiert und erhalten oder verworfen oder erst einmal beiseite gelegt werden. Er zeigt die Strukturen innerhalb der Band, für mich besonders interessant, wer mit wem wie spricht. Der Kern der Band – Gillan – Glover – Paice – kommunizieren etwas anders miteinander, als Don Airey und jetzt Simon McBride zu ihnen in Beziehung stehen. Das liegt an der Länge der miteinander verbrachten Zeit und mit der Geschichte ihrer Erfahrungen. Ian Paice wirkt da auf mich wie die moralische Instanz der Gruppe, moralisch in Bezug auf die Frage: Macht man es oder macht man es nicht, schön zu sehen in einem Gespräch mit Ian Gillan; da geht es um die Idee, eine Bläsergruppe in die Zugabe ihres Konzertes in Berlin einzubauen. Einer von ihnen sagt, ich glaube, es war Gillan, in Deutschland gebe es besonders gute Jazz-Bläser – und ich bin als Zuschauer des Films erstaunt, dass es derzeit überhaupt noch etwas Lobenswertes in unserem Land gibt! - Zufall oder nicht: Ich habe das Berlin-Konzert am 31.10.2022 gesehen – und damit natürlich auch diese überraschend eingebaute Jazz-Formation. Sie erinnerte mich an die während der Corona-Zeit entstandene CD "Turning To Crime", die letzte Einspielung mit Steve Morse an der Gitarre, und an Ian Gillans Rückkehr-Ausflug zu den Javelins (2018). Sie stand für mich aber auch in der Tradition der Jon Lord & Tony Ashton – Projekte, an denen ja wiederum auch Roger Glover in der "Gemini Suite" (1971) und vor allem Ian Paice bei PAL beteiligt waren. Das war ja immer ein besonderes Kennzeichen von Deep Purpel: aufgefächert auch auf anderen Gebieten tätig zu sein und auch da Nennenswertes zu sagen zu haben! -------- Das Foto übrigens nahm ich ebenfalls bei dem Berlin-Konzert vom 31.10.2024 auf; es zeigt (von links): Ian Paice, Roger Glover, Ian Gillan, Simon McBride und (verdeckt) Don Airey während des Stückes "No Need To Shout" von der CD "Woosh", 2020 veröffentlicht. ------------


Fotos:
Konzert
©Wolfgang Mielke