Berliner Musikfest feiert
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Zum zehnjährigen Jubiläum wird groß gefeiert. Ein vergleichbar hohes Aufgebot an berühmten Dirigenten und Orchestern gab es beim Berliner Musikfest nie zuvor. Einer Metropole, die gerade engagiert dafür wirbt, in zehn Jahren die Olympischen Spiele austragen zu wollen, steht das gut an. So empfiehlt sich die Hauptstadt nicht nur als eine erste Adresse für den Sport, sondern auch für die Musik!
Daniel Barenboim, für ambitionierte Marathon-Projekte berüchtigt, bescherte dem Gipfeltreffen einen entsprechend spektakulären Auftakt. Als Solist seiner Berliner Staatskapelle mit Gustavo Dudamel am Pult spielte er an zwei aufeinander folgenden Abenden beide Klavierkonzerte von Johannes Brahms (wir besuchten den zweiten). Es sind gewaltige Brocken, im Doppelpack selbst für den bald 72-jährigen Alleskönner eine Herausforderung.
Dabei hat sich Barenboim längst als einer der besten Interpreten dieser Werke empfohlen, unvergessen sind seine auf DVD verewigten Auftritte unter Celibidache mit den Münchner Philharmonikern. Da stimmt alles, und jede noch so kleinste Phrase wirkt inniglich empfunden.
Diesmal gibt es Abstriche zu machen. In die vollgriffigen Passagen im d-moll Konzert schleichen sich falsche Töne ein, auch fehlt es an Wucht und Schärfe. Im B-Dur-Konzert gelingen die diffizilen Ecksätze deutlich besser, aber die schönsten Momente, bei denen Erinnerungen an die grandiosen Celibidache-Abende wach werden, gelingen in den jeweils langsamen Sätzen. Mit einer fast meditativen Ruhe treten Pianist und Orchester da in den denkbar zärtlichsten Pianofarben in einen Dialog.
Thematisch rückt das Musikfest die Romantik ins Zentrum und damit einhergehend das charakteristische Instrument dieser Epoche, das Waldhorn. Robert Schumann nannte es die „Seele des Orchesters“, und auch Richard Strauss bedachte es mit dankbaren Aufgaben, denkt man nur an den mit einem exponierten Hornthema beginnenden „Till Eulenspiegel“.
Frisch, frech und lustig kam die Schelmengeschichte beim Amsterdamer Concertgebouw daher. Mariss Jansons kitzelte aus jeder noch so kleinen Phrase das Schalkhafte, so dass sich die Bilder zu den Abenteuern des Naseweis’ unwillkürlich vor dem inneren Auge einstellten. Mariss Jansons ist nicht zufällig ein so gefragter Dirigent, bescheiden im Auftreten, stets ganz im Dienst der Musik und wie der verstorbene Abbado im Besitz einer natürlichen Autorität.
Sein Konzert in Berlin war leider auch eines der letzten mit den Niederländern. Um seine Kräfte zu schonen, wird der Lette, der schon viele Auftritte krankheitsbedingt absagen musste, 2015 seine Position als Chefdirigent beim Concertgebouw aufgeben.
Nicht ganz unbelastet kamen sicherlich auch die Münchner Philharmoniker nach Berlin. Ihr Interimschef Lorin Maazel ist kürzlich verstorben, der angehende Leiter, Valery Gergiew, sorgte, kaum dass er den Vertrag unterschrieb, schon als Putinfreund für viel Unmut.
Das Berliner Konzert blieb zum Glück von all diesen Turbulenzen unbelastet, woran gewiss auch Semyon Bychkov seinen Anteil hatte, der all die klanglichen Qualitäten ausschöpfte, die sich die Münchner unter ihrem Titan Celibidache einst erarbeiteten. An Elan, Wucht und ungestümer Jugendlichkeit waren die Tondichtungen „Don Juan“ und „Ein Heldenleben“ kaum zu überbieten, die Meisterschaft der Münchner zeigte sich aber auch im Subtilen, insbesondere in den fein ziselierten Violin-Soli des Konzertmeisters.
Nur einer vermochte es, das Publikum noch mehr in den Bann zu schlagen: Christian Thielemann. Einmal mehr empfahl er sich als der letzte große Brucknerdirigent unserer Zeit. Herrlich markige, satte Streicherchöre, zarte Pianofarben, aufwühlende Gipfelgänge und ein außergewöhnlich brillantes Blech bestimmten hier die Wiedergabe der Neunten mit der Sächsischen Staatskapelle. Mag der Ton des Jenseitigen auch noch weniger vorgeherrscht haben als in den altersweisen Interpretationen berühmter verstorbener Kollegen: Die Wechselbäder zwischen Todesangst und Trost, Himmel und Hölle wühlten auf. Am Ende fühlte man sich wie in Abrahams Schoß, war das schön!
Foto: Mariss Jansons von Kai Bienert