Unterwegs mit den Geräuschsuchern Julia Mihály und Felix Leuschner

 

Cordula Passow und Anja Prechl

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sie komponieren Stücke aus Störgeräuschen: Julia Mihály und Felix Leuschner ziehen durch Frankfurt und suchen Klänge. Flatternde Plastikbänder, rollende Kaffeebecher auf Asphalt, Schaufeln, die auf Metall kratzen, das Gluckern des Mains - in ihren Ohren sind sie Musik.

 

Es ist ein Plastikband. Ein Plastikband, das sich von der Verpackung einer Baustoffrolle in einem Lager am Osthafen gelöst hat und nun wild im Wind herumflattert. Julia Mihály und Felix Leuschner entdecken das züngelnde Plastik, gehen zügig darauf zu, sie mit Kopfhörern auf den Ohren, er mit einem Mikrofon in der Hand und einem Aufnahmegerät an der Schulter. Er hält das Mikro an das Band, auf ihrem Gesicht macht sich ein Lächeln breit. Er lässt sich anstecken. Die beiden sehen aus wie Kinder, die gerade ein großes Weihnachtsgeschenk ausgepackt haben. Ein bisschen ist es auch so. Julia Mihály und Felix Leuschner haben gefunden, was sie suchen: ein Geräusch.

 

 

Auf Wind gehofft

 

Wir hatten auf Wind gehofft“, sagt Felix Leuschner an diesem Tag am Frankfurter Osthafen. „Bei Wind steckt viel mehr Sound in der Welt.“ Julia Mihály, 30, und Felix Leuschner, 36, sind Komponisten, zuhause in der Neuen Musik. Sie sind Geräuschsucher, gemeinsam bilden sie das Elektronik-Duo CLUBbleu. Aus Klängen des Alltags schreiben sie Stücke. Julia Mihály studierte Gesang und Komposition, Felix Leuschner Schlagzeug und Komposition. Er komponierte unter anderem die „Sinfonie der Gewerke“ aus Werkzeugen verschiedener Bühnenarbeiter, die an der Bayerischen Staatsoper München uraufgeführt wurde. Sie tritt regelmäßig bei Festivals und Konzertreihen für Neue Musik auf. Anlässlich der diesjährigen Reihe „Park in Progress. Stadtlabor unterwegs in den Wallanlagen“ des Historischen Museums Frankfurt haben die Komponisten das Album „Dark Energy – frankfurt album“ mit 15 Stücken aus Frankfurt produziert. Etwa ein Jahr waren sie dafür unterwegs. In einer Stadt, die Neuland war für sie.

 

 

In Frankfurt geblieben

 

Julia Mihály und Felix Leuschner kannten Frankfurt nicht, bevor sie vor gut zwei Jahren das erste Mal hier waren. „Wir wollten möglichst zentral in Deutschland leben“, sagt Mihály, die aus dem Ruhrgebiet stammt. Einen Tag lang haben sie Frankfurt besucht und sich sofort entschieden, zu bleiben. Nun wohnen sie in Offenbach und leben in Frankfurt – ob Geräuschsuche, Einkauf oder Cafébesuche, alles spielt sich in der Mainmetropole ab. Die Frage nach dem Sound der Stadt beantworten die beiden unisono – „Frankfurt klingt nach Baustelle. In keiner anderen Stadt wird an so vielen Stellen gebaut“, sagen sie. Wie zur Bestätigung donnert ein Presslufthammer auf der Baustelle der Europäischen Zentralbank im Ostend los.

 

 

Die Ohren gespitzt

 

Felix Leuschner findet seine liebsten Frankfurt-Geräusche am Flughafen oder in den Wallanlagen, Julia Mihály liebt den Main. „Er ist wie ein Filter der Stadt“, sagt sie. Alles, was in oder um ihn herum geschieht, kann man hören, wenn man ein Hydrophon, ein wassertaugliches Mikrofon, in den Fluss hält: Schiffsschrauben, Regentropfen, Sirenengeheul von der Straße. Das Feld, auf dem sie suchen, ihre Field Recordings, wie man in der Fachsprache sagt, betreiben, ist unvorstellbar groß. Es gibt kaum einen Ort, an dem es kein Geräusch gibt. Und tatsächlich – spitzt man die Ohren, kann man sie hören – rauschende Blätter in windzerzausten Baumkronen, das Schnarren eines Kunststoffkaffeebechers, der über den Asphalt rollt, die kleine Eisenkette, die gegen einen Mast schlägt, das tiefe Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Ausflugsschiffs, die Schaufel eines Bauarbeiters, die über den Boden seiner Schubkarre kratzt, das knisternde Plastikband.

 

 

In den Computer gespeist

 

Und so müssen die beiden sich manchmal zügeln, nicht noch mehr Geräusche einzufangen, nicht noch länger mit Kopfhörer, Mikro und Aufnahmegerät die Gegend auszukundschaften. An diesem Tag im Osthafen dauert die Klangjagd nicht mal eine Stunde. Bevor der Wind den Regen bringt, wollen Julia Mihály und Felix Leuschner wieder zu Hause und damit in ihrem Studio sein – ein Zimmer voller Bücher, ein Schreibtisch mit einem Laptop, daneben ein Mischpult, zwei Trommeln stehen in den Ecken. Dominiert wird der Raum jedoch von einer orangefarbenen Schallschutzkabine. Ein Board, ein Laptop und ein Stuhl finden darin Platz. Die Kiste gibt den beiden Komponisten die Freiheit, zu Hause zu arbeiten. Schließt man die Tür, dringen die Geräusche nur äußerst gedämpft heraus. Das Knistern des Kunststoffbands am Osthafen, das Felix Leuschner nun vom Aufnahmegerät in den Computer speist, ist kaum hörbar.

 

 

Den Rhythmus extrahiert

 

Felix Leuschner zerlegt das Geräusch des flatternden Plastiks in seine Einzelteile. Er sitzt in der Schallschutzbox, die Tür ist jetzt geöffnet, Julia Mihály davor. Er wippt mit dem Fuß, sie sagt: „Super, das hat seine ganz eigene Rhythmik.“ Zusammen mit dem tiefen Motorengeräusch des Main-Ausflugsschiffs wird aus dem extrahierten Knistern der Rhythmus für ein kurzes exemplarisches Musikstück. Julia Mihály lässt die Soundschnipsel durch ein selbstgeschriebenes Computerprogramm laufen. Mittels eines MIDI-Controllers, einer Steuerungskonsole, kann sie die Klänge verändern. Julia Mihály dreht an Reglern und Knöpfen, bewegt dabei ihren Oberkörper – fast sieht es aus, als würde sie ein Instrument spielen.

 

 

Störgeräusche zu Musik gemacht

 

Die Klänge, die die beiden Komponisten herausfiltern, die sie transponieren, also in eine andere Tonart übertragen, mit Worten zu beschreiben, ist kaum möglich. Julia Mihály erklärt die Idee, die hinter ihrer Arbeit steckt, so: „Wir recyceln Störgeräusche, wir verwerten sie.“ Am Ende klingt das Plastikband nicht mehr nach knisterndem Kunststoff im Wind, der Main nicht mehr nach gluckerndem, fließendem Fluss. Aus den Geräuschen ist Musik geworden.

 

Foto: , Salome Roessler, Presse- und Informationsamt Frankfurt am Main: Julia Mihaly und Felix Leuschner bei Aufnahmen am Osthafen