Die Wiederaufnahme der Turandot Giacomo Puccinis in Lorenzo Fiorinos Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin
Alban Nikolai Herbst
Berlin (Weltexpresso) - Ich kann nicht anders, als >>>> dies eine exemplarische Aufführung zu nennen, bei der einem besonders im dritten, dem abschließenden Akt, manch ein Schauer den Rücken hinunterläuft, - politische Schauer vor allem. Weil ich denken mußte: so geht Geschichte, geht über die Opfer einfach hinüber, bringt noch schnell die Väter um, nachdem die Geliebte aufgehangen ist und allezeit dort hängenbleibt, und wendet sich der Tagesordnung zu, die so brutal bleiben wird, wie sie schon immer war.
Dazu das harmonisch aufgedonnerte, zunehmend hohl wirkende, schließlich schreckenerregende Getöse staatshymnischer Machtinszenierung, der das Volk immerfort beispringt, gleichermaßen in Angst, ja Panik vor den nächsten terroristischen Übergriffen, denen man selbst zum Opfer fallen könnte, seiner Führer, wie bereit, deren Gefolter, liegt man nur selbst nicht auf der Streckbank, jubelnd beizuspringen, um sein Gaudi dran zu haben, ständig schwankend hin und her zwischen Klage über Gewalt und der Begeisterung daran : bekäme man nur selbst von einer Macht die Finger, man bräche die der andren, die dann schwächer, ja träte ihnen die selbst erlittene Not noch mitten in die Fresse – dazu ein tenörig derart jubelnder Held, daß fast schon von einer Persiflage müßte gesprochen werden, wäre alldies nicht derart wahr: blind für die Liebe seiner Nahen, daß man es -wütig nennen müßte, wär es denn nicht so kalt. Die sich für ihn geopfert hat, Liù, hängt da noch aufgehenkt, als er, der siegreiche Calaf, darunter hintritt und trägt der eroberten Prinzessin, die Anlaß dieses Unheils war, das Brautkleid seiner von der Härte eines Täters erhitzten Leidenschaft zu.
Man kann darüber gar nicht diskutieren, so wahr ist diese Inszenierung, und zwar mit und gegen Puccini, der selbstverständlich seinen Hörern alles harmonische Futter gab und die großen Gefühle; doch in dem Stück ist selber angelegt, was Lorenzo Fioroni an der Deutschen Oper Berlin aus ihm herausgeholt hat: freigelegt hat, will ich das nennen. Dabei funktioniert sein Konzept noch immer, fast zweieinhalb Jahre nach der Premiere, und zwar bis in die Details der Personenführung hinein. So etwas ist vor allem dann extrem selten, wenn in der Zwischenzeit, wie hier und nach zwei Jahren völlig normal, die Besetzung sich geändert hat.
Sie steht heute der Premiere in nichts nach. Atemberaubend souverän Carl Tanners als Schreipartie berüchtigter Calaf, voll menschlicher Hingabe, die ihr Selbstopfer (aber wozu, fragt man sich: für solch einen Arsch?) einschließt, und enormer Wärme in der Stimme, die auch völlig klar wird ganz in den Höhen, Martina Welschenbachs mädchenhafte Liù, schließlich Peter Maus, unfaßbar, daß ich ihn 1984 bereits, fast dreißig Jahre ist das her, in Horst Steins Meistersingern gehört habe; hier nun gibt er einen Himmelskaiser, der schon von seinem Alter zerbrochen ist und genau aus dieser Gebrechlichkeit, gleichsam authentisch, Verwundung herausklingen läßt. Für einen Machtmenschen zu greis geworden, der aber nur durch den Tod abgelöst werden kann, ist es so unerbittlich logisch, daß ihn seine Tochter ersticht, um für ihren ihr endlich gemäßen Gemahl den Thron freizuräumen, wie daß dieser dasselbe mit seinem Vater tut. Denn alleine dessen Existenz würde ihn lebens-, nunmehr herrscherlang an die Erbarmungslosigkeit gemahnen, die seine Machtergreifung brauchte.
Dieser Wiederaufnahme ist deutlich anzumerken, wie so gar nicht hier geschludert wurde in den neuen Proben. Das unter John Fiore spielende Orchester der Deutschen Oper ist extrem präsent, mächtig im Klang und zugleich durchsichtig. Noch die abgefeimtesten Chinoiserien Puccinis macht es im Sinn der Inszenierung böse mit. Nein, eine Turandot zu unserer Beschaulichkeit ist das fürwahr nicht – ja wie denn auch? Wer es sich in ihr bequem machen möchte, muß mit geschlossenen Augen dasitzen, aber selbst solch einem hebt das Engagement allein schon des Orchesters die Lider, ob man das nun will oder nicht.
Beklommen treten wir in die für diesen Winter viel zu wenig kalte Nacht. Und können nur noch in Timurs tiefe Klage einstimmen – für eine Inszenierung, in der Bühnenbild und sogar die auf den transparenten Vorhang projezierten Videos, sowie die Sänger und alle Musiker so dicht zusammenstehen wie der Chor, der eine besondere Nennung verdiente, weil er seinem alten Ruhm das Recht ersang, noch immer wahr zu sein.
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Giacomo Puccini
TURANDOT
Dramma lirico in tre atti.
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach dem Schauspiel von Carlo Gozzi.
Inszenierung Lorenzo Fioroni Bühne Paul Zoller Kostüme Katharina Gault Chöre William Spaulding Erika Sunnegardh - Peter Maus - Carl Tanner - Martina Welschenbach - Stephen Bronk - Alexey Bogdanchikov - Jörg Schörner - Yosep Kang - Tobias Kehrer - Kathryn Lewek - Rachel Hauge
Chor der Deutschen Oper Berlin Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
John Fiore
Die nächsten Vorstellungen:
23.02.12 | 26.02.12 | 03.03.12 | 07.03.12
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NACHTRAG
Einer >>>> kritischen Anmerkung dort muß ich in mir nachgehen. Denn der Kommentator hat recht: Weshalb habe ich >>> Frau Sunnegardh vergessen..? - vergessen s o: „vergessen“ - weil Fehlleistungen Gründe haben, zumal bei einer derart machtvollen Sängerin, die allerdings zu Anfang ihrer Partie, der Turandot nämlich, die Stimme hinauftremolieren lassen mußte, was pulsierte wie ein Stern, der erst aufgeht, also entsteht, indem er sich bläht, als müßte jemand oder etwas die Lungenflügel weiten oder als schwängen erst die Stimmbänder ein. Möglicherweise steht dahinter eine Technik, deren Hörbarkeit mich schon bei Lucia Aliberti sehr gestört hat. Das kann aber kein Grund, sein, eine Titelpartie zu vergessen, denn danach war Frau Sunnegardh freigesungen und hatte stimmlich Weltniveau-Präsenz nicht nur in ihrem zu der Rolle völlig passenden Stahl.
Ich denke also nach, sprach auch darüber, bevor ich in >>> Hans Neuenfels‘ wieder einmal furchtbar pubertär in den Sand gesetzte Inszenierung, über die ich heute noch ebenfalls schreiben werde, zur Komischen Oper hinüberging. - Was mir vor allem einfiel, war dieses:
Sehr seltsam war, daß diese Turandot in den ersten beiden Akten wie eine alte Frau wirkte, was durchaus auch als quasi Mezzoanteil die Stimme färbte. Es war, als hätte Turandot ihre perverse Verteidigung einer ideologisierten Reinheit bereits seit Jahrzehnten getrieben, da war ein bißchen Makropulos drin, das zur Partitur gar nicht gehört, und sei erstarrt, in ihrem Männerhaß erfroren.
Dann hätte es aber nichts gegeben, wovon ein heldischer Calaf wäre entzündet worden, schon gar nicht die Schönheit, von der er singt; nichts jedenfalls außer der Macht, die er vielleicht da schon, aber ohne es zu wissen, erstrebt. So hätte sich das interpretieren lassen, ja, nur gab die Bühne dem kein Recht. Sondern der Machtwille kommt bei ihm durch, indem er die Aufgaben besteht; danach erst sieht er Turandot gleichsam entbunden und mit gelöstem Haar. Da erst wird sie wirklich schön, was wiederum auf den gesamten Eindruck ihres Sanges ausstrahlt. Und da erst steckt er sich an, kann man sagen.
Hier vielleicht, in diesem inszenatorisch nicht geerdeten Phänomen, war meine Fehlleistung begründet und ist sie es noch. Man sehe sie mir nach.
Von der Premiere am 13.Januar 2012
Foto: Betinna Stöß