Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“ in Frankfurt

 

Kirsten Liese

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Eine aufgebrachte Masse, zu sehen nur als Schatten hinter einer Gazewand, erhebt mit geballten Fäusten ihre Stimme. Aus den Protestrufen könnte man das Wort „verloren“ heraushören oder auch „verlogen“, was kaum einen Unterschied macht, drücken doch die zornigen Demonstranten unmissverständlich ihr Misstrauen gegen das aufmarschierende Herrscherpaar aus.

 

Mit diesem etwas unheimlich anmutenden Szenario, das an die heutige Entfremdung zwischen demonstrierenden Wutbürgern und Politikern erinnert, beginnt die Frankfurter Produktion von Monteverdis letzter Oper „L’Incoronazione di Poppea“ (Die Krönung der Poppea) im Bockenheimer Depot.

 

Die Regisseurin Ute M. Engelhardt entwickelt den packenden Opernkrimi um den gnadenlosen Kaiser Nerone und seine machtgierige Geliebte Poppea also gewissermaßen aus der Rückblende mit mancherlei Brückenschlägen zur Gegenwart, die keineswegs wie mit der Brechstange herbei gezwungen wirken. Schließlich waren Monteverdi und sein Textdichter Giovanni Francesco Busenello ihrer Zeit voraus und riskierten entgegen den Konventionen ein Werk, das von verstörten Zeitgenossen als unmoralisch empfunden werden musste.

 

Das beginnt schon im allegorischen Prolog, in dem ausgerechnet die Tugend im Disput über die Macht des Schicksals der Menschen dem Liebesgott Amor unterliegt. Das folgende, in groben Umrissen an der realen römischen Geschichte, orientierte Drama, liefert den Beweis dafür, dass erfolgreich an sein Ziel gelangt, wer rücksichts- und mitleidslos auf Kosten anderer seine Interessen durchboxt.

 

Beispielhaft wird das an der machthungrigen Titelheldin Poppea (treffsichere Besetzung: Naomi O’Connell), die den liebestollen Monarchen derart betört, dass er ihr zuliebe über Leichen geht, um ihr den Weg zur Krone zu ebnen. Wie in Wirklichkeit treibt Nero auch in der Oper den befreundeten Philosophen Seneca (profunder Bass: Alfred Reiter) in den Selbstmord (er stirbt an einer seltsamen Trichtermaschine an seiner eigenen Schrift) und seine erste Frau Ottavia (groß bei Stimme: Claudia Mahnke) in Verbannung und Tod. Nur nahm die reale Ottavia, die Nero erst beim zweiten Anlauf los wurde, weil er sie nach der ersten Verbannung dem Willen des Volkes wegen noch einmal zurückholen musste, ihr trauriges Schicksal an, war mithin unschuldiger als ihr Operndouble, das sich im Rachedurst hinreißen lässt, einen Mord an der Konkurrentin anzustiften, damit aber den eigenen Untergang herbeiführt.

 

Einschlägig gute Charaktere finden sich also nicht in diesem Musikdrama, das in die Spezies Mensch wenig Hoffnung setzt. Regisseurin Engelhardt vertraut dem pessimistischen Menschenbild, ohne die Figuren zu denunzieren. Mit unaufwendigen, kurzweiligen, spielerischen Szenen gelingen ihr tiefe Blicke in die Abgründe der menschlichen Seele.

 

Julia Müers praktische Bühne, die mit mobilen, verschiebbaren Podien rasche Szenen- und Personenwechsel ermöglicht, unterstützt die pralle Spiellust. Den imposanten Blickfang bildet ein haushohes Gittergerüst mit diagonalen Streben und Leitern, die allegorischen Gestalten kleben etwas drollig wie Insekten daran.

 

Gespielt und gesungen wird unter der Leitung von Simone Di Felice aufs Trefflichste, die anspruchsvolle Hosenrolle des Nerone meistert die Französin Gaëlle Arquez mit ihrem leuchtenden, schönen Mezzosopran. Ein großer Gewinn für die Frankfurter Produktion ist zweifellos auch der auf historische Tasteninstrumente versierte Musiker Andreas Küppers, der die spärlich überlieferte Partitur für das 17-köpfige Ensemble mit Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters als festem Kern, eingerichtet hat und mit einer geradezu stupenden, schlafwandlerischen Sicherheit in Sekundenschnelle innerhalb der Rezitative vom Cembalo zur Orgel wechselt.

 

Wenn mich gleichwohl doch etwas störte, so waren es einige der von Katharina Tasch entworfenen Kostüme: Mit Barbie-Blondhaarperücke und hässlichen Plateausohlensandalen ausstaffiert, machte Nora Friedrichs eine etwas unvorteilhafte Partie als Nerones Dienerin Damigella. Leider wurde auch die mit dem nicht mehr ganz höhensicheren Tenor Hans-Jürgen Lazar besetzte Amme Arnalta als ein wie aus einer Transvestitenshow verirrter Paradiesvogel zur absurden Witzfigur. Im Sinne des Komponisten war dies sicherlich nicht, probierte er doch, wie die Monteverdi-Expertin Silke Leopold im Programmheft ausführt, „subtilere musikalische Methoden der Distanzierung aus, ohne seine Personen der Lächerlichkeit preiszugeben“.

 

Die großen Beifallsstürme hat sich diese Produktion gleichwohl verdient. Einmal mehr empfiehlt sich die Oper Frankfurt als eine erste Adresse für die Barockoper.

 

Foto: (c) Monika Rittershaus :im Vordergrund stehend Alfred Reiter (Seneca) und als Projektion Jessica Strong (Pallade)