Christian Thielemann leitete noch einmal die Berliner Philharmoniker am 22.,23. und 24. Januar

 

Kirsten Liese

 

Berlin. (Weltexpresso) - So ist es! Mit diesen Worten bedankte sich in den 1990er Jahren ein Zuhörer für einen unvergesslichen Bruckner-Abend bei dem Dirigenten Sergiu Celibidache. Den berührte diese Würdigung mehr als jedes andere Kompliment, weil der Konzertgänger damit zum Ausdruck brachte, dass man dieser genialen Musik nicht anders gerecht werden könne und begriffen hatte, dass Musik nicht Genuss ist, sondern Wahrheit.

 

Eben dieses starke Empfinden des Nur-So und Nicht-Anders hatte man jüngst auch beim „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms mit den Berliner Philharmonikern und dem Rundfunkchor Berlin (Einstudierung: Gijs Leenaars) unter Christian Thielemann, der - wie Celibidache einst auch - dieses groß angelegte Vokalwerk ohne Noten dirigiert. Es gibt heute nicht viele, die das vermögen.

 

Und vielleicht schafft eine solche starke Verinnerlichung dieses Werks auch erst die Voraussetzung dafür, es derart bis in die tiefsten Poren hinein zu erspüren. Jedenfalls ist es sehr lange her, dass man das Brahms-Requiem in Berlin so vollendet gehört hat. Das beginnt schon damit, dass Thielemann nicht einfach loslegt. Das Trostreiche, Ernsthafte, Erhabene, das von dem ersten Chorsatz „Selig sind, die da Leid tragen“ ausgeht, wächst aus der Stille und Konzentration vor dem ersten Einsatz heraus.

 

Andächtig leise setzt der Chor ein, eine fast meditative Ruhe und Gelassenheit breitet sich aus, die zunehmend größeren Klangwolken können sich aufs Herrlichste in einem angemessen bedächtigen Tempo entfalten.

 

Wenn sich im folgenden Chorsatz „Denn alles Fleisch es ist wie Gras“ über viele Takte dramatisch ein Crescendo bis zum finalen Trommelwirbel aufbaut, hört man beinahe auf zu atmen. Und so hoch emotional geht es weiter, wenn in den folgenden Sätzen Schlüsselwörter wie „Ewigkeit“ und „Kraft“ im Fortissimo, verstärkt noch unter Einsatz der Orgel, mit ungeheurer Wucht die Philharmonie erbeben lassen, oder wenn die Chorsänger mit dem denkbar zärtlichsten Ton das „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ anstimmen.

 

Ob man diese Wiedergabe als eher geistlich oder weltlich erlebt, liegt wohl in der Wahrnehmung und Anschauung des Hörers. Aber man muss kein Christ sein, um sich von dieser wechselweise überirdisch schönen, jenseitigen, elegischen oder explosiven Musik an diesem Abend mitreißen zu lassen.

 

Freilich dürfen auch die vorzüglichen Solisten nicht unerwähnt bleiben. Christian Gerhaher, ohnehin einer der besten und gefragtesten Sänger unserer Zeit, kam sein „Herr, lehre doch mich“ mit der gebotenen Demut und Bescheidenheit über die Lippen, die Sopranistin Siobhan Stagg, die kurzfristig für die erkrankte Sibylla Rubens eingesprungen war, erstrahlte zu ihrem „Ihr habt nun Traurigkeit“ mit himmlischen Kopftönen und einem engelsgleichen, an die unvergleichliche Gundula Janowitz erinnernden Sopran.

 

So ist es!

 

Der Satz meint auch, dass an dem letzten von mir besuchten Abend alle im Raum stark Ergriffenen, Musiker, Sänger und Publikum, spürbar eine Gewissheit einte: Dass nach einem solchen berührenden, einmaligen Erleben die Wahl für den Nachfolger Simon Rattles, also den neuen Chefdirigenten der Philharmoniker ab 2018, eigentlich nur auf Christian Thielemann fallen kann, der dieses Requiem so trefflich aus einem Guss formte. Dieser Abend lässt sich nicht überbieten, er brennt sich fest ins Gedächtnis ein.

 

Der einzige, für den mit einem solchen Triumph auch schwierige Überlegungen verbunden wären, ist freilich Thielemann selbst. Es wäre das erste Mal, dass er vor der Entscheidung stünde, ohne Not ein Orchester, seine geliebte Dresdner Wunderharfe, aufgeben zu müssen. Es sei denn, er entschlösse sich, beide Orchester zu leiten oder den Philharmonikern eine Absage zu erteilen. Beides ist eigentlich schwer vorstellbar.

 

Foto: (c) Matthias Creutziger