Dmitri Tcherniakov inszenierte Wagners „Parsifal“ für die Berliner Festtage

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Was ist über diesen „Parsifal“ in der Presse geschimpft worden: Der Regisseur Dmitri Tcherniakov sei mit dieser Oper nicht fertig geworden, hieß es, ihm sei nichts eingefallen, er könne nicht an seinen überwältigenden Erfolg der „Zarenbraut“ anknüpfen.

 

Nach solchen Premierenkritiken machte ich mich bei meinem Besuch der dritten Aufführung am Karfreitag auf das Schlimmste gefasst und war angenehm überrascht: Im Gegensatz zu der aus meiner Sicht völlig missratenen, weil mit der Brechstange dem Zeitgeist angebiederten, „Zarenbraut“, für die der Russe seltsamerweise so hoch gelobt worden war, hat er diesmal auf der Bühne eine gruftige Atmosphäre geschaffen, die zwar auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig-, auf den zweiten aber gar nicht so abwegig erscheint.

 

Der Russe macht aus den mittelalterlich sagenumwobenen Gralsrittern eine heutige Männersekte und aus dem mystischen „Bühnenweihfestspiel“ ein Musikdrama über die Übel jeglichen religiösen Fanatismus’. Das passt zu unserer Zeit und letztlich auch zu Wagner, der selbst der katholischen Kirche kritisch gegenüberstand und den „Parsifal“ nicht als ein rein geistliches Werk verstanden wissen wollte. Mit den Oberammergauer Passionsspielen hat sein Parsifal nicht viel gemein.

 

Gewiss könnte man einwenden, dass die Gralsritter um Amfortas herum bei Wagner keine schlechten Eigenschaften erkennen lassen wie die spiritistische Männergruppe in diesem Berliner „Parsifal“. Da gönnt sich Tcherniakov, wenn er die Glaubensbrüder als verlogen und grausam zeichnet, gegenüber dem Libretto schon einige Freiheiten. Im Hinblick darauf, wie viel Unheil Religion gerade auch in unserer heutigen Zeit anrichtet, versteht man aber auch allzu gut, dass es einen jüngeren Regisseur reizt, diese Probleme auch aufzugreifen. Wagners Musikdrama ist so groß, komplex und ambivalent, dass es das verkraftet.

 

Streng Gläubige faseln oft von Liebe, ächten sie aber in Wirklichkeit. Deshalb erfahren sie in der Berliner Festtagsproduktion am Ende keine Erlösung, deshalb wird Kundry, die dem geheilten Amfortas als Liebende in den Armen liegt, von Gurnemanz hinterrücks ermordet.

 

Wer den großartigen Film „Leviathan“ von Andrey Zvyagintsev gesehen hat, der die orthodoxe russische Kirche einer kaum mehr zu überbietenden Heuchlerei überführt,

begreift schnell, dass Tcherniakov bei seiner „Parsifal“-Inszenierung an diese Institution gedacht haben wird.

 

Zwar sehen die Glaubensbrüder auf der Opernbühne mit ihrem ungepflegten Äußeren, schmutzigen dicken Mänteln und Wollmützen (Kostüme: Elena Zaytseva) ein bisschen aus wie verwahrloste Obdachlose, aber das passt zu der strengen Askese, die sich die Männer auferlegen.

 

Durchaus interessant auch Tcherniakovs psychologische Sicht auf Klingsor (etwas quäkend im Sinne eines geistigen Bruders von Mime: Tómas Tómasson). Hier ist er ein Zwangsneurotiker und suspekter Vater vieler Töchter, der Blumenmädchen. Dass dieser gestörte Mann seine Töchter vermutlich misshandelt und missbraucht, liegt in der Luft, Tcherniakov deutet das mit wenigen Gesten und Requisiten subtil an. Nur einmal schlägt dieser verklemmt wirkende Tyrann im Disput Kundry ins Gesicht(zur Premiere indisponiert, in der dritten Aufführung aber in Topform: Anja Kampe), die hier seine älteste Tochter sein soll, sie aber wehrt sich und schlägt zurück. Dass diese Frau, die bei Wagner alles Frauliche als Madonna, Hure, Frevlerin, Büßerin, Liebende und Mutter in einem vereint, in der Kindheit wohl auch Schreckliches erfahren hat, ahnt man, wenn sie im dritten Akt Parsifal unter Tränen eine alte Stoffpuppe aus ihrer Mädchenzeit zu Füßen legt.

 

Mit solchen Symbolen hat vor 40 Jahren im Übrigen schon der Regietheater-Pionier Götz Friedrich gerne gearbeitet, der große Aufschrei seitens der Kritik lässt sich somit umso weniger nachvollziehen.

 

 

Musikalisch ist der Berliner „Parsifal“ eine Wucht

 

Der geniale René Pape gibt in der gewaltigen Partie des Gurnemanz mit einer sagenhaften stimmlichen Präsenz und exquisiten Textverständlichkeit eine seiner stärksten Vorstellungen überhaupt. In dem Österreicher Andreas Schager, dem Titelhelden, hat die Wagnerwelt einen weiteren jugendlichen Heldentenor mit vielversprechenden Anlagen dazu gewonnen. Er verfügt über eine große Durchschlagskraft und Sicherheit in allen Registern, singt nur dann und wann mit zu viel Sprechstimme und gern mal eine Spur zu tief. Bis er den Parsifal 2017 in Bayreuth gibt, könnte er diese Probleme aber überwunden haben.

 

Auch alle Übrigen geben ihr Bestes, ob nun Anja Kampe, die ihre Stimme auch bei den gefährdenden Kundry-Schreien nicht schont, Wolfram Koch, der als Amfortas so ergreifend an seiner Wunde leidet, dass man unweigerlich stark mitfühlt, oder Matthias Hölle, der mit seinem mächtigen Bass einen unheimlichen, sich schon im ersten Akt prophylaktisch zum Ritual in einen Sarg legenden Titurel gibt.

 

Eine phänomenale Leistung am Dirigierpult vollbrachte vor allem auch Daniel Barenboim. Bei ihm spürt man, wie er mit jeder Melodie atmet, vor allem schon im Vorspiel, wenn die Streicher das Abendmahlthema anstimmen, und zwar in einer feierlichen Langsamkeit, die an Sergiu Celibidaches einmalige meditative Brucknerinterpretationen erinnert. Seismografisch reagiert Barenboim auf die Sänger, das Blech könnte die sakralen Momente nicht andächtiger, runder und wohl tönender spielen.

 

 

Das Konzertprogramm

 

Wie die Salzburger Osterfestspiele sind Daniel Barenboims Festtage aber auch in Hinsicht auf die Konzertprogramme höchst attraktiv. Zwar sagte leider Martha Argerich ihren Part für einen Duoabend mit Gidon Kremer ab, zumindest aber bescherte Kremer, der wiederum bis Ende März alle Auftritte andernorts abgesagt hatte, den Festtagen ein Glanzlicht. In dem 29-jährigen Pianisten Denis Kozhukhin fand er einen durchaus würdigen Klavierpartner für César Francks große A-Dur Violinsonate, die die beiden mit der gebotenen Leidenschaft und Hingabe musizierten.

 

Viel Zeit zum gemeinsamen Proben blieb den Beiden freilich nicht, und so bestückten sie das übrige Programm mit Solodarbietungen: Kremer spielte mit großer Intensität zwei Sonaten des durch den großen Erfolg seiner Auschwitzoper „Die Passagierin“ mehr und mehr bekannt werdenden Mieczyslaw Weinberg, zwei Stücke, die zwar nicht ganz so sehr aufwühlen wie die Oper, aber allemal auch von Schwermut und Resignation künden. Koszhukin nahm sich die „7 Fantasien op.116“ von Johannes Brahms vor, wobei er mit großer Kraft spielte, aber auch zarteste Empfindungen anrührend zum Ausdruck brachte.

 

Foto: © Ruth Walz