Gustav Mahler Musikwochen Toblach 2015

 

Felicitas Schubert

 

Innsbruck (Weltexpresso) – Ausgerufen ist wieder der Internationale Schallplattenpreis Toblacher Komponierhäuschen 2015“. Wer nicht auf Anhieb weiß, um was es geht, dem so nur kurz gesagt, daß der damalige Wiener Operndirektor und großartige Komponist Gustav Mahler in der Toblacher Sommerfrische von 1908-1910 so bekannte Werke wie seine 9. Symphonie und auch Das Lied von der Erde komponierte, woran bis heute die Musikwochen erinnern.

 

Die Preisvergabe hat nun zwei Richtugen. Auf der einen Seite werden Wiederveröffentlichungen ausgezeichnet , auf der anderen Neuproduktionen. Die Jury besteht aus Lothar Brandt, Zürich., Rémy Franck, Luxemburg, Thomas Schulz, München, Götz Thieme, Stuttgart unter dem Vorsitz von Attila Csampai, München.

 

 

Kategorie A (Wiederveröffentlichungen)

 

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5 , Kindertotenlieder

Brigitte Fassbaender, Mezzosopran

NDR Sinfonieorchester

Leitung: Klaus Tennstedt

 

Live-Mitschnitte: Hamburg, 19.Mai 1980 (Sinfonie Nr.5);

Kiel, 11. November 1980 (Kindertotenlieder)

 

Profil Hänssler DCD PH13058/ Naxos (2CD) Erstveröffentlichung auf CD

 

Dieser erstmals autorisierte Mitschnitt eines Hamburger Konzerts vom 19. Mai 1980 erinnert in seiner Unbedingtheit, den schroffen Fügungen des nicht Zusammengehörenden an den Schock, den das Werk Gustav Mahlers um die Jahrhundertwende für die Musikwelt bedeutet haben muss. Klaus Tennstedt schönt nichts, und doch fasst er diesen zerklüfteten Weltentwurf mit dem fabelhaft disponierten NDR-Sinfonieorchester unter einen Bogen. Hier agiert Tennstedt auf der Höhe seiner physisch-geistigen Kräfte. Deshalb ist dieser Live-Mitschnitt seinen anderen Aufnahmen der cis-moll-Symphonie vorzuziehen. Ganz im Gegensatz zu Leonard Bernstein, mit dem er oft verglichen wurde, verliert sich Tennstedt nicht so leichtsinnig in den schönen oder expansiven oder exaltierten Stellen, sondern fasst das Werk mit heftigen Akzenten und stürzenden Tonkaskaden in einer radikalen klanglichen Gestalt:

Eine düstere Achterbahnfahrt der Wahrnehmungen und Ereignisse. In den „Kindertotenliedern“, die Tennstedt fünf Monate später im Kieler Schloss

ähnlich intensiv dirigierte, erlebt man eine grandios sich in Rückerts Verse versenkende Solistin Brigitte Fassbaender. Auch dieses Dokument bestätigt den Rang dieses eminenten Mahler-Dirigenten.

 

 

Kategorie B (Neuproduktionen):

 

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9

Budapest Festival Orchestra

Leitung: Iván Fischer

 

Aufnahme: Budapest, Dezember 2013

 

Channel Classics CCS SA 36115/New Arts International

(Hybrid-SACD)

 

 

Schon in den ersten Folgen seines modellhaften Budapester

Mahler-Zyklus verstand es Iván Fischer, höchste Präzision und Klangkultur

in eine ganz besondere Art von tragischer Schönheit einzuhüllen, die Mahlers Botschaften als tief inspirierte Herzensappelle, als hochsensible lyrische Manifeste an die Menschheit erstrahlen liessen, und weniger als wüste sinfonische Dramen. In der jetzt vorgestellten Neunten, einem Werk des schmerzlichen Abschieds, scheint dieses vergeistigt-innerliche Konzept sehr schlüssig aufzugehen. So hat das phantastisch eingestellte und klang-homogene Budapest Festival Orchestra keine Mühe, neben aller schlanken Transparenz und Detailtreue die grosse lyrische Linie und innere Komplexität des zerklüfteten Werks als zwingend logischen, suggestiven Erzählstrang darzustellen, dabei aber die stets farblich gedämpfte, ruhige Abschieds-Stimmung nie ins Pathetische oder Sentimentale abdriften zu lassen.

 

In seinem kurzen Grußwort bezeichnet Fischer die Neunte zugleich als „ergreifend“ und „sehr fortschrittlich“, und genau dieses Spannungsfeld einer durch Mahlers eigene Lebenserfahrung gefilterten visionären Modernität erzeugt er hier mit geradezu idiomatischer „kakanischer“ Sensibiliät: Im Adagio-Schlußsatz verdichtet sich dieser grosse sinfonische „Traum“ zu einem unendlich traurigen, unantastbar schönen, schmerzlich-stillen Appell an die Liebe.

 

 

Sonderpreis:

 

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 4 G-dur (bearbeitet für Kammerensemble

von Erwin Stein)

Christiane Oelze, Sopran,

Festival Ensemble Spannungen

 

Live-Aufnahme: Heimbach, Wasserkraftwerk, 10. Juni 2014

 

AVI-Music 8553334/ harmonia mundi (CD)

 

 

Gustav Mahler bezeichnete seine Vierte als „symphonische Humoreske“ und sprach von „der Heiterkeit einer höheren, und fremden Welt, die für uns etwas Schauerlich-Grauenvolles hat“. Davon ist in heutigen Aufführungen freilich kaum noch was zu spüren, da Mahler längst zu einem „Klassiker“ glattgebügelt wurde. Im Juni 2014 hat ein bunt zusammengewürfeltes Ensemble unter Leitung von Christian Tetzlaff im Rahmen des deutschen Musik-Festivals „Spannungen“ den ursprünglichen Geist des Werks in einem Salonorchester-Arrangement von Erwin Stein glänzend wiederbelebt. Diese 1921 angefertigte Kammerversion für 12 Instrumentalisten sollte die von grossen Orchestern damals verschmähte Musik einem Kreis von Enthusiasten wenigstens in abgespeckter Form zugänglich machen. Kenner der Materie werden in der überaus prägnanten, kakanisch-kecken und lustvollen Live-Aufführung

des prominent besetzten Festival-Ensembles einige Überraschungen erleben – vor allem im Bezug auf Mahlers raffinierte Polyphonie, die jetzt wie auf einem Präsentierteller trennscharf heraustritt. So hört man im zweiten Satz hier wirklich einmal „Freund Hein zum Tanz aufspielen“, und auch im rätselhaften Liedfinale hält sich Christiane Oelze genau an Mahlers Vorschrift, einen „kindlich heiteren Ausdruck“ zu wahren. Man spürt hier endlich einmal den subversiven Subtext der doppelbödigen Symphonie.

 

Foto. Gustav Mahler beim Wandern