Uraufführung von Toshio Hosokawa in Hamburg

 

Kirsten Liese

 

Hamburg (Weltexpresso) - „Sie befinden sich in der sicheren Zone“, sagt ein Roboter, im Hintergrund rauscht leise das Meer, Trauernde halten Laternen in den Händen, als Symbol der Seelen ihrer Toten. Schon vor dem ersten Ton herrscht in der Hamburgischen Staatsoper eine drückende, bedrohliche Stimmung.

 

Der Japaner Toshio Hosokawa, 1955 geboren, bekannt geworden mit einem Musikdrama für die Opfer der Atomkatastrophe seiner Heimatstadt Hiroshima und einer der erfolgreichsten und interessantesten Opernkomponisten unserer Zeit, erinnert mit seiner ersten großen Auftragsarbeit für den neuen Hamburger Opernchef Georges Delnon an die atomare Katastrophe in Fukushima.

 

Stilles Meer“ ist ohne eine vorwärts treibende Handlung weniger eine Oper als ein Oratorium über den Schmerz, den Tod und den geplatzten Traum, die Atomenergie immer und überall im Griff zu haben. Hosokawa erzählt nicht ereignisreich nach, was nach dem Tsunami geschah, wie Menschen verstrahlen, in Panik verfallen, sich auf die Flucht begeben. Er setzt den Opfern ein klingendes Denkmal und sensibilisiert diskret gegen die verantwortungslose Politik eines Landes, das ungeachtet massiver Proteste der Bevölkerung zur Atomkraft zurückgekehrt ist.

 

Im Zentrum dieser Uraufführung steht Claudia, eine aus Deutschland stammende Ballettlehrerin. Sie ist an den Unglücksort zurückgekehrt, an dem sie beim Beben ihren Ehemann und ihren kleinen Sohn Max verloren hat. Den Tod des Kindes kann sie nicht verwinden. Stephan, der Vater von Max, und Claudias Schwägerin Haruko versuchen vergeblich, die verzweifelte Mutter und die Wirklichkeit zueinander zu bringen, ein Nô-Theaterstück soll dabei helfen.

 

Hosokawa, der in Berlin und Freiburg Komposition studierte, schlägt seit jeher in seiner Musik reizvoll Brücken zwischen der westlichen europäischen Avantgarde und japanischen Klängen. Die Hamburger Uraufführung offenbart überwiegend eine sehr filigrane, lyrische, schwebende Musik, unterbrochen von eindrucksvollen Momenten der Stille. Aber zu den stärksten Momenten zählen auch die donnernden Trommelwirbel und Schlagzeuggewitter, die dann und wann über die zarten Halteklänge hereinbrechen.

 

Zu sehen gibt es nicht viel: Auf Itaru Sugiyamas sparsam ausgestatteter Bühne gibt es nur eine große runde Plexiglasscheibe und einen Steg, der von rechts in den Raum führt, vom Schnürboden hängen brennstabförmige Neonröhren herunter. Oriza Hirata zeigt ein präzise ritualisiertes Spiel. Die Akteure bewegen sich kaum von der Stelle, niemand macht hier eine Entwicklung durch.

 

Betroffenheit und Anteilnahme vermitteln sich vor allem über die traurig schönen Gesänge vorzüglicher Sänger. Susanne Elmark singt ihre Kantilenen und Koloraturen mit luziden Kopftönen, die Bayreuth-erfahrene Mihoko Fujimura überzeugt mit ihrem großen warmen Mezzo als eine mütterliche, feinfühlige Anteilnehmende. Dazu empfiehlt sich der Countertenor Bejun Mehta mit seinen überirdisch schönen Klängen als einer der besten und vielseitigsten Countertenöre der Zeit.

 

Kent Nagano, der seine neue Ära an der Hamburgischen Staatsoper schon vielversprechend mit Berlioz’ „Trojanern“ eröffnete, vermittelt mit dem hervorragend disponierten Philharmonischen Staatsorchester präzise und spannungsvoll die Intensität von Hosokawas dicht verwobener Musik und setzt damit seinen Erfolgskurs fort.

 Foto: (c) Arno Declair