Triptykon mit großflächigen Arrangements auf dem Wacken Open Air 2016, Teil 2/2


Heinz Markert


Hamburg (Weltexpresso) - Die Tragödie Mensch auf dem Planeten Erde zieht sich als Grundmotiv durch die Strophen: „As you decend, I shall rise, Your demise shall be my conception,  Your failure shall be my triumph, I shall feed from your decay […]
As you perish I shall live“ (Album Eparistera Daimones, The Prolonging, Auszug)

Das 20-Minuten-Werk ‚The Prolonging‘ ist ein einziges Lyrisma auf die Katastrophe der Gattung Mensch. Kurioserweise, muss man feststellen, deckt es sich inhaltlich mit dem Diktum eines christlichen Theologen, wenn dieser das Fazit zieht: ‚Der Kampf um Macht und Herrschaft, um Geld und Interessen zieht eine Blutspur durch die Welt – bis zu uns‘. (Pirmin Spiegel, FR 04.08.2016).


Triptikon geben sich betont antichristlich und gegen die Annahmen eines Lebens nach dem Tode gerichtet, was hinter der Bühne auch im Gespräch vor dem Auftritt kurz angeschnitten wurde; sie zeigen daher auch das umgekehrte, nach abwärts gerichtete Kreuz, mit dem sie auf der Wacken-Bühne gleichsam Schilde errichteten, die die Abgrenzung verdeutlichen. Es muss der Gruppe nun nicht zu denken geben, wenn es in der korrekten Analyse des verfahrenen Weltsystems nicht die so ganz großen Unterschiede gibt.


Das Antichristentum Triptykons – Frage: ist das Kreuz das wirklich zuständige Symbol für die Christenheit, warum ist es nicht der Betstuhl wie in der Krypta des Mainzer Doms? - eine Delikatesse für Muslime! - richtet sich gegen die klerikale Interessenmaschine, die ihre pagan-weltliche Fortsetzung im Turbokapitalismus findet, denn der moderne Kapitalismus der Allesverwertbarkeit und des von den Geknechteten eingeforderten Selbstoptimierungswahns (mit der Ich-AG) beerbt die Hierarchie der katholischen Kirche, wie diese einst das Römische Reich beerbte. Das Imperium rangiert jetzt unter der Bezeichnung Marktkonforme Demokratie, während doch der freie Markt längst ausgesetzt ist.

 


Periode und Melisma
Am Beispiel von ‚The Prolonging‘ (20 Minuten) von Triptykon zeigt sich: die langen Perioden, die gleich Schwingen die tonale Grundstimmung der Herzen - wenn nicht auch der wie auch immer gearteten anwesenden Seelen - aufgreifen, treffen auf aufnahmebereite Gemüter. Aber auch die Parforceritte der ultraschnellen Läufe der Rhythmus- und Leadgitarre und der Doppelanschläge des Drumkits, treffen wie als Furien des Überwältigens von Widersachern oder der Rettung vor diesen auf die ergebenen Fans, werden verständig wiedererkannt und in Gesten bestätigt.


Die Perioden und schnellen Läufe werden verbunden durch die Motiv-Spange der Sologitarre oder der Rhythmusarbeit, manchmal geht es aber auch ganz ohne Spange, weil das Schlagwerk sich allein wie ein Gedicht aufführt. Auch Verzögern und Dehnen ist die viel ergriffene Möglichkeit. So kommt die elegante Wendung in der lang geschwungenen Periode, die in den Wechsel geht, überzeugender an als der melodische Konstruktivismus einer Combo wie Blind Guardian, die am Wacken-Samstagabend nach Triptykon ihren Auftritt hatte. Das wurden Überlegungen, die der besondere Wacken-Abend mit den Antipoden mit sich brachte.

 


Die Metal als Musik der gedehnten Längen


Triptykon liefern großartige Riffe und ausgekochte mikrologische Arbeit zum Dahinschmelzen, die aber die Hybris der Pose vermeidet. Wenn man etwas als hybrid ansehen dürfte, wäre das die fast durchweg im Vibrato nachzitternde tiefe Seite der Bassgitarre von Vanja Slajh, die als solche aber gleichzeitig resolut und fachfraulich ausgebufft den Basso ostinato für den Gruppentakt, auf den präzisesten Punkt gebracht, abliefert.


Das Erkennungszeichen des Heavy Metal sind die dunklen, langgestreckten Schwermetallgitarrenwände und das unvermeidliche Hetzen und Gehetztwerden durch die Landschaften der Dämonen dieser Welt, um sie abzuschütteln, wegzuräumen – insofern hat die virtuose Sologitarre auch ihren schnellen Part abzuliefern. Gebunden, gerettet wird das Unvermittelte und Gebrochene durch die auf den Punkt getroffenen Rhythmus- und Tempiwechsel, final abgeschlossen in der eleganten Schlusswendung, mit eventuell einer Pirouette des Ausstiegs. Über eine lange Zeit ist ersichtlich geworden, dass die metallischen Meister der Instrumente und Kompositionen sich dem ernsten Genre immer mehr annäherten, ohne mit ihm identisch zu werden.


Statt eindrucksvollen Konstruktivismus zu offerieren, sollte ein Pathos der Distanz Einzug halten, die Töne möglichst voneinander bleiben, auch wenn sie gleichwohl sich verbinden, um ein Ganzes zu zeugen - um letztendlich doch so etwas wie Komposition abzuliefern. Auf diesem Weg ist die Klammer des Melismas zuständig. Brüche bleiben aber auch stehen. Distanz und Brüchigkeit ist das Paradigma der minimalistischen Moderne. Zwei Ergebnisse aus der alten Schule der Achtziger Jahre, die die Distanzvorschrift in klassisch metallischer Harmonie meistern, sind ‚Master of Puppets‘ von Metallica und ‚Rotten to the Core‘ von Overkill. Bekanntermaßen machen die Vertreter der approbierten ernsten Zunft gerne den Ausflug für zwischendurch zu den Solitären des anderen Lagers, der Katharsis wegen.


Für Triptykon hat das Großflächige der Grundstimmung und das minimale Melisma Vorrang. Damit liegt ein weites Feld für künftige Entwicklungen bereit.

 

Foto: Aufnahme vom Fernsehbild Sat 3: Vanja Slajh/Triptykon


Info:
Der Auftritt von Triptykon auf dem Wacken Open Air 2016, gezeigt in 3sat, 6. August 2016