Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Bayerischen Staatsoper
Kirsten Liese
München (Weltexpresso) - Die Kaufmannsfrau liegt am Boden. Verzweifelt, geschunden, lebensmüde. Die Versuche, aus einem trostlosen Leben auszubrechen, sind gescheitert. Und ausgerechnet der Mann, an den sie sich in ihrer großen Liebe so geklammert hat, treibt es mit einer Anderen.
Ohne ihn ergibt für sie nichts mehr Sinn. Lange verharrt sie so in der Starre, hört gar nicht mehr die Häme um sie herum, dann richtet sie sich noch einmal auf. Ein Entschluss ist in ihr gereift, sie weiß nun, wie sie ihren Weg konsequent zu Ende geht.
Anja Kampe ist Katerina, die Lady Macbeth von Mzensk. Ihre letzten, verzagten, leisen Sätze gehen an die Nieren.
War Schostakowitsch tatsächlich erst 28 Jahre alt, als er diese Oper 1934 geschrieben hat? Man will das gar nicht glauben.
Jedenfalls macht Kampe am Premierenabend an der Bayerischen Staatsoper besonders auffällig, wie sensibel sich der Komponist, der bei Stalin und seinen Zeitgenossen für dieses Werk freilich keinen Zuspruch fand, in eine gemarterte Frauenseele einfühlen konnte. Von wegen „Chaos statt Musik“, wie die „Prawda“ nach der Uraufführung titelte: Neben brutalen Härten finden sich in der Partitur abrupt und übergangslos immer wieder romantische, zarte und empfindsame Klänge.
Mit ihrem natürlichen, anmutigen Sopran lässt Kampe jedenfalls Katerina als den einzigen fühlenden Menschen inmitten einer an Boshaftigkeit kaum zu überbietenden Gesellschaft aufleuchten. Die Langeweile in der trostlosen, grauen Fabrik und die unerträgliche Tyrannei ihres misogynen Schwiegervaters und Ehemannes machen ihr so zu schaffen, dass sie den Aufstand wagt. Sie nimmt sich einen Liebhaber, mordet für ihn und büßt mit Gefangennahme, Verbannung, Armut und Tod.
An dem starken Psychogramm hat zweifellos auch der inzwischen 81-jährige Regie-Altmeister Harry Kupfer seinen Teil, der die Handlung aus einem Kaufmannshaushalt in eine graue, herunter gekommene Fabrikhalle (Bühne: Hans Schavernoch) verlegt. Sorgsam formt er die episodenhaft wirkenden Szenen aus, lässt aber der Musik klug den Vortritt. So drastisch wie Schostakowitsch die männliche Gewalt in der Partitur exponiert, geht es in der Inszenierung nicht zur Sache, aber spürbar ist sie in jedem Moment.
Grotesk wird es, wenn der böse, verhasste Schwiegervater Boris, von Katerina vergiftet, im Todeskampf nach dem Popen (Goran Juric) ruft und dieser, die Wodkaflasche unterm Arm, betrunken herbei torkelt, oder wenn korrupte Polizisten, nutzlos auf Bürostühlen umeinander kreisend auf den geeigneten Anlass warten, der Kaufmannsfrau eins auszuwischen.
Der dritte Akt, in dem Katerina ihre Freiheit feiert und heiratet, bevor sie und ihr Liebster verhaftet werden, bietet optisch mit surrealen Anflügen die stärksten Impressionen. Plötzlich schiebt sich das Hochzeitsbankett per Hubpodium nach oben und friert ein, darunter kommt die Polizeihorde zum Vorschein.
Der etwas in die Jahre gekommene Anatoli Kotscherga kann für den gemeinen Schwiegervater nicht mehr soviel Schwärze aufbieten wie in früheren Jahren, aber alles in allem macht auch das Ensemble seine Sache gut. Mishja Didyk lässt als Sergej einen strahlkräftigen hellen Tenor hören, Sergey Skorodhov singt Katerinas Ehemann Sinowi mit der gebotenen Strenge. Starke Präsenz als aggressive Männermischpoke wie als kraftlose Zwangsarbeiter im Strafgefangenenlager zeigt zudem der treffliche, agile Chor der Bayerischen Staatsoper (Einstudierung: Sören Eckhoff).
Den größten Beifall neben der famosen Anja Kampe verdient sich der im Graben gnadenlos auf Krawall gebürstete Kirill Petrenko. Bis an die Schmerzgrenze gehend, realisiert er die Schärfen der Komposition, aber auch die leisen, schönen, lyrischen Stellen kommen zu ihrem Recht. Es sind besonders die exquisiten, zwischen schwermütigem Melos und groteskem Witz stark geforderten-, teils aus den Proszeniumslogen aufspielenden Bläsersolisten, die Maßstäbe setzen. Die umjubelte Aufführung schreibt ganz sicherlich Geschichte.
Foto: Lady Macbeth (A. Kampe) (c) W.Hoesl