Mozarts "COSÍ FAN TUTTE" im Cuviliés Theater München

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg): Das Cuvilliés Theater oder alte Residenztheater wurde zwischen 1750 und 1753 von Francois de Cuvilliés erbaut (1695 – 1768); die Bauleitung dabei hatte übrigens sein gleichnamiger Sohn (1731 – 1777). Die Innenausstattung des Theaters wurde 1944 gerade noch rechtzeitig vor der Bombardierung ausgelagert.

So konnte das Cuvilliés Theater nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebaut werden; allerdings nicht an seiner früheren Stelle innerhalb der Münchner Residenz, - da steht jetzt das Neue Münchener Residenztheater -, sondern im ehemaligen Apothekenstock. Insofern gibt es nun innerhalb der Residenz 2 Residenztheater: Ein Gewinn. Und das alles ist so gut wieder aufgebaut worden, dass niemand auf die Idee käme, hier keine original-historische Kulisse vorzufinden. -

Dabei besitzt das Cuvilliés Theater kein eigenes Ensemble, sondern wird wechselseitig durch die Staatsoper, Ballett, das Residenztheater oder eben - wie hier - durch das beachtliche Ensemble des Gärtnerplatztheaters bespielt.

Der Titel "Cosí fan tutte" heißt wörtlich übersetzt: "So machen es alle" – und gemeint sind: Frauen!; nicht Männer!; denn dann müsste es "tutti" heißen. Es ist also ein Stück über weibliche Verhaltensweisen; genau: Über die weibliche Untreue in der Liebe. Um sie geht es; sie soll bewiesen werden!  

Das Bühnenbild (Bengt Gomér) besteht zunächst aus einem überdimensional großen, den ganzen Prospekt einnehmenden Schwarzweiß-Foto zweier junger Frauen in Großaufnahme. Natürlich dachte ich sofort an das berühmte Bühnenbild von Wilfried Minks zu Wedekinds "Frühlingserwachen", 1965 in Bremen, von Peter Zadek inszeniert, wo Minks ein Schwarzweiß-Foto der englischen Schauspielerin Rita Tushingham ebenfalls als Großaufnahme über einen Prospekt ausgedehnt hatte. Damals handelte es sich aber um einen verschiebbaren Prospekt, durch dessen Verschiebung die einzelnen Szenen gekennzeichnet werden konnten.

Die junge Frau bei Zadek/Minks sah ratlos, ja verzweifelt aus in einer Welt, in der die USA in Vietnam Krieg auf eine Weise führten, die das, was man gemeinhin unter Nazi-Methoden versteht, in den Schatten zu stellen im Begriff war. - Bei dem Foto von Rita Tushingham handelt es sich vermutlich um ein Standfoto aus ihrem Film "The Girl With The Green Eyes" oder aus "The Knack ... And How To Get It", die beide 1964 entstanden. - Die Ratlosigkeit und Verzweiflung, die die Großaufnahme suggeriert, geben die beiden Filme nicht wieder; allenfalls ein Staunen oder eine Verwunderung Tushinghams über das Leben, das sie umgibt.

Die Wirkung des Großfotos dieser beiden jungen Frauen im Bühnenbild hier von "Cosí fan tutte" ist aber ein gänzlich anderes: Diese beiden Frauen sehen zuversichtlich in die Welt; - Bombenterror und Bürgerkrieg haben sie nicht erlebt, haben sie nicht zu fürchten. Die Zeit – oder auch irgendeine historische Zeit – spielt keine Rolle und färbt nicht auf die Handlung ab. Und so bleibt es auch während der Inszenierung, obgleich Möglichkeiten, Anlässe, meinetwegen auch Vorwände dazu durchaus genug bestehen könnten. -

Dieser erste große Foto-Prospekt hat aber auch eine Phantasie-anregende poetische Wirkung, die danach die späteren Bühnenbilder, Bühnenräume! nicht mehr gleichwertig entfalten. Diese Räume, Variationen des Grundraumes hinter dem Großaufnahme-Prospekt, haben, wenn man so will, eine andere Poesie - die mehr in Richtung des Theatralischen, das dieser Oper als Werkstück und Ablauf ja durchaus auch innewohnt, weist. -

Die Handlung des Stückes aber ist ... eine Wette: Alfonso (Bass), der Fechtmeister und Mentor der beiden jungen Männer Ferrando (Tenor) und Guglielmo (Bariton), streut Zweifel in die Treue ihrer Liebsten, deren unverbrüchliche Treue gerade von Ferrando und Guglielmo in höchsten Tönen besungen wurde. Natürlich erntet Don Alfonso Widerspruch. Also kommt es zur Wette um einen nennenswerten Geldbetrag und zu der Vereinbarung, dass die beiden jungen Spunte 24 Stunden lang ohne Widerrede das ausführen sollen, was Alfonso ihnen vorschreibt – mit dem Ziel, die Untreue der jungen Frauen und damit natürlich die Untreue des weibliches Geschlechts per se beweisen zu können. So überzeugt Alfonso von seinem Sieg ist, sind es die beiden jungen Herren natürlich auch. Es kommt also nur noch auf die Frauen an ...

Die sieht man in der folgenden Szene, zu der der Prospekt hochgezogen wird, auf mehrere Sitzmöbel verteilt, das Bild ihrer Liebsten in den Händen und deren Qualitäten preisend, wie es zuvor die beiden jungen Männer mit den Bildern der Mädchen getan haben. - Wegen der Parallelität der Handlung hätte ich hier einen Parallel-Prospekt lieber verwendet gesehen als den nach hinten weiß weit geöffneten Raum. Er ist auf dem Quadrat aufgebaut: Ein gekachelter weißer Raum, dessen Rückwand sich später in Pfeiler auflösen und verstellen kann. Nun gut. Der 'männliche' Foto-Prospekt hätte die Poesie des ersten Bildes fortgesetzt. Natürlich wird die Parallel-Handlung nicht ganz vollständig durchgeführt, - eine Wette schließen nur die Männer ab -, und daher ist es natürlich auch berechtigt, die so reizvolle Möglichkeit eines parallelen Bühnenbildes zu übergehen. - In der Kostümierung (Carla Caminati) aber wird die Spiegelung vollständig durchgeführt: Die beiden jungen Offiziere sind gleichartig gekleidet; die beiden Mädchen mit roten Kleidern oder roten Haaren ebenso; und dann die beiden 'Türken' natürlich auch; alle zum Verwechseln ähnlich; und die Möglichkeit der Verwechslung entschuldigt wohl am Ende auch die Austauschbarkeit der Liebenden und die Philosophie der Oper ohnehin ...

Statt Alfonso haben die beiden jungen Mädchen, gerade 16 Jahre alt geworden und Schwestern oder wahrscheinlich sogar Zwillingsschwestern, nämlich Fiordiligi (Sopran) und Dorabella (Sopran), eine Art weiblichen Mentor, nämlich Despina (Sopran), die aber bald betonen wird, dass jedes Mädchen schon mit 15 Jahren zu wissen habe 'the knack – and how to get it'.

Despina jedoch kommt aber erst im übernächsten Bild ins Spiel. Zuvor sucht Don Alfonso die beiden Schwestern auf und verkündet ihnen, dass ihre beiden Liebhaber ins Feld ziehen müssen. So nehmen denn Guglielmo und Fiordiligi und Ferrando und Dorabella bewegten Abschied; - in dieser Kombination gehören sie zusammen. - Die Mädchen blicken der Barke hinterher, die ihre Liebhaber in die Schlacht trägt. -

Despina sieht ihre Aufgabe nun darin, die Moral der beiden Mädchen zu unterhöhlen. Vorerst ohne Erfolg: Sie wird empört abgewiesen. - Don Alfonso aber bringt zwei fremde junge Männer ins Haus, um die Treue der Mädchen auf seine Weise zu brechen. Immer noch hält der Widerstand sich sehr deutlich – und schon sind Guglielmo und Ferrande drauf und dran, ihre Wette als gewonnen zu betrachten! - Die beiden Jünglinge kommen natürlich in Verkleidung vor die Damen. Man muss also Menschen aus einem entlegenen, geographisch fernen, fremden Kulturkreis verwenden. Ostasien wäre eine Möglichkeit. Mozart und da Ponte haben sich aber für Albaner entschieden. Albanien aber war im 18. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches, also türkisch-arabisch besetzt; und die beiden jungen verkleideten Männer werden im Libretto auch mehrmals als "Türken" angesprochen. - Hier wäre natürlich die oben bereits erwähnte Möglichkeit eines aktuellen Bezuges zur Gegenwart leicht möglich gewesen. Also, wenn sich die beiden jungen Männer mit den beiden Mädchen anfreunden, neue Flirts entstehen, neue Verabredungen, neue Treue-Ideen und sich neue Paarschaften andeuten, wäre es natürlich ein leichtes gewesen, hier eine Serie von Selfies aufnehmen zu lassen; - oder, zuvor, auch eine intensive Untersuchung der wegen ihrer ersten völligen Erfolglosigkeit bei den Mädchen sich 'vergiftet' habenden 'Toten', ob sie nicht vielleicht mit einem Sprengstoff-Gürtel ausgestattet seien als potentielle Selbstmordattentäter usw. - Ein englisches Sprichwort sagt: "Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, wird bald Witwer sein!" Und da sich die "Willkommenskultur" vom Herbst 2015 unter äußerem Druck nun wieder korrigiert, wird also an einem kommenden "Witwer-Dasein" längst gearbeitet; insofern kann man natürlich auch auf eine solche Aktualisierung verzichten; das Stück steht für sich. Ein paar Schlaglichter wären damit vielleicht verbunden gewesen, die die Inszenierung, vor allem im zweiten Teil, noch etwas belebt hätten; denn hier ist auch bereits da Pontes Dramaturgie etwas schwerfällig: Der Weg bis zum Umfallen auch Fiordiligis ist etwas unnötig lang, - die Inszenierung hätte gut 20 Minuten kürzer sein können zu ihrem eigenen Vorteil. Vielleicht sollte man die mögliche Aktualsierung einfach mal ausprobieren; ob es der künstlerischen Aussage weiterhilft oder ob es ablenkt. --  

Natürlich ist die Begegnung von verkleideten Liebenden immer mit einiger Unwahrscheinlichkeit verbunden. Daher haben da Ponto und Mozart wohl auch in den Zwischenszenen die jungen Paare über Kreuz sich neu miteinander verbinden lassen: Guglielmo wird schließlich von Dorabella, der Verlobten Ferrandos, erhört; während Ferrando im zweiten Anlauf Fiordiligi, die ursprüngliche Verlobte Guglielmos, für sich gewinnen kann. -- Beim Auftritt und Liebeswerbe-Spiel der 'albanischen' jungen Männer hätte man eigentlich ein im wahrsten Sinne doppeltes Spiel sichtbar machen müssen: Einerseits der Versuch, die Mädchen durch die neue Erscheinung zur Untreue zu verleiten; dann aber wieder genau das Gegenteil: Die Gratwanderung zwischen der Gefahr, entdeckt zu werden durch Übertreibung oder zu schlechtes Spiel; dann wieder die Gefahr, dass die Liebsten doch untreu werden – und damit der Verlust der Wette, und nicht zuletzt ja schießlich auch der eigenen Liebsten und dem Gefühl von Liebes-Sicherheit, also Treue und nochmals Treue und eben Verlässlichkeit. - Solche Feinheiten kann man sich allenfalls einbilden; es scheint mir nicht einmal sicher, ob sie von Mozart und da Ponte in die Partitur eingebaut wurden. Hier jedenfalls aber hätten spielerische, bisher noch nicht ausgenutzte Möglichkeiten der Inszenierung bestanden. -

Eher lassen die beiden jungen männlichen Darsteller eine Eifersucht durchschimmern, denn immerhin gelobt ja Dorabella ihrem neuen liebsten, dem 'albanischen' Guglielmo, ihre neue Treue durch das Bild Ferrandos, das sie ihm als Liebespfand übergibt. - Aber Guglielmos Triumpf über seinen Kameraden hält nicht allzu lange an. Schließlich wird auch Fiordiligi untreu. Das Spiel wird von Alfonso und Despina zielstrebig bis zu Hochzeitsfeier und Ehevertrag getrieben, wobei sich Despina als Notar verkleidet. - In genau dem Moment aber, - natürlich! -, in dem die Trauung vollzogen ist, lässt Alfonso die beiden ursprünglichen jungen Liebhaber Ferrando und Guglielmo aus dem Krieg heimkehren – und das Dilemma sehen. - Große Szenen, natürlich, aber rasch auch die Einsicht für die Herren: "So machen es (eben) alle Frauen" – "Cosí fan tutte!" - Und, klug geworden, finden sich nun die 'richtigen' Paare in Harmonie wieder. -- Der Schluss-Chor von Mozart bleibt dabei unter seinen eigenen Möglichkeiten zurück: Es kommt zu keinem musikalischen Fest, keiner vierfachen Stimmen-Vermählung, keinem Höhepunkt; das Ende der Oper ist von Mozart aus etwas matt geraten, schnell hingehauen vielleicht auch; hier hätte die Regie (Oliver Tambosi) natürlich eingreifen können (sollen), gemeinsam mit dem musikalischen Leiter des Abends (Anthony Bramall). - Dagegen wäre auch nichts zu sagen; die Oper ist während ihres Bestehens nicht selten bearbeitet worden, teils weil die Handlung als zu unwahrscheinlich angesehen wurde, teils aus Prüderie; warum also nicht die sonst immer wieder so gelungene Aufführung noch durch einen Höhepunkt abschließen?!

Die Aufführung ist sehens- und vor allem natürlich hörenswert. Schöne Stimmen haben sowohl die Darstellerin der Fiordiligi (Jennifer O'Loughlin) wie auch der Dorabella (Anna-Katharina Tonauer). Gut gefiel mir auch der Sänger des Alfonso (Levente Páll) wie auch die beiden jungen Männerpartien Ferrando (Lucian Krasznec) und Guglielmo (Christoph Filler). Die Despina-Darstellung (Elaine Ortiz Arandes) litt eine Spur unter der Eitelkeit ihrer Darstellerin; im Spiel; singtechnisch stand sie ihren Kolleginnen und Kollegen nicht nach. Das hängt nicht zuletzt auch mit der Qualität des Orchesters zusammen. Man könnte sich eine CD-Aufnahme vorstellen; und ich habe schon Inszenierungen gesehen (und gehört), - wie ein John-Neumeier-Ballett von Bachs "Weihnachtsoratorium" in der Hamburger Staatsoper -, wo gerade das nicht in Frage gekommen wäre. - Schönes Spiel. Gute junge Männer, guter Alfonso, schöne verwechselbare wundervolle Zwillingsschwestern, von Despina begleitet.

 

Foto: (c) Wolfgang Mielke