Zwei Bruckner-Abende bei den Berliner Philharmonikern - 8./9./10. und  15./16./17. Dezember

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) -  Thielemanns Konzerte mit den Berliner Philharmonikern gehören für mich schon seither zu den Höhepunkten des Berliner Konzertlebens. Das jüngste aber, mit Bruckners Siebter im Zentrum, übertraf noch alle vorangegangenen. Ich benutze das inflationär gebrauchte Wort genial nicht oft, aber dieser Abend war es, so genial wie in den 90er Jahren die Brucknerabende des legendären Sergiu Celibidache.


Das beginnt schon damit, dass Thielemann an diesem Abend für jeden Satz das ideale Zeitmaß findet. Ein gemächliches, das es der Musik erlaubt, sich prächtig im breitem Spektrum zu entfalten. Hinzu kommt, dass Thielemann so subtil dynamisiert wie nur denkbar, die leisen Stellen auch im Dolcissimo auslotet, und da, wo die Musik sich ins Majestätische erhebt, entsprechend einer Erhabenheit Raum gibt, wie sie in deutschen Konzertsälen selten geworden ist.
Bruckners unerschütterlicher Glaube, er bricht sich Bahn, vom geheimnisvollen Beginn über zerklüftete Landschaften, imposante Unisoni und spannungsreiche Generalpausen hin zur letzten dionysischen Himmelsleiter.


Wunderbar satt tönen die Streicher, die im Allegro moderato und im feierlichen Adagio oft zum Einsatz kommen mit weihevollen Hymnen, festlich und königlich die Chöre im Blech, wenn sie sich aus dem Orchester herauslösen und nach elegischen Kantilenen und  gewittrigen Tutti über allem erstrahlen. Ein Motiv, ein Thema, tönt immer noch herrlicher als das nächste. So gleicht die ganze Sinfonie einem einzigen Crescendo.


Wenige Tage zuvor hatte Thielemann an drei Abenden auch die viel zu selten aufgeführte herrliche f-moll Messe von Bruckner mit den Berliner Philharmonikern gegeben. Sie bescherte ebenfalls ein unvergessliches Konzertereignis, nur dass Thielemann hier einige Partien für mein Empfinden zu schnell anging, insbesondere das Gloria, bei dem angesichts der leichten Überhetztheit und Wucht viele klangliche Details am Ohr vorbei gingen.   


Ich gebe zu, ich habe die Messe vielleicht zu oft in dem Live-Mitschnitt der Münchner Philharmoniker unter Celibidache gehört, der sie, altersweise mit der ihm eigenen meditativen Ruhe zelebrierte, wie es wohl nur jemand kann, der schon weit die 70 überschritten hat und mit diesem Werk zu jenem Ort gegangen ist, an dem Bruckner als Organist wirkte und sich zu seinem Schaffen inspirieren ließ: in die Stiftskirche St. Florian bei Linz.


Immerhin rührte in Thielemanns Einstudierung mit den Berlinern aber das Benedictus tief an, das ohnehin schönste Arioso aus der ganzen Messe mit seiner trostreichen wunderbaren lyrischen Melodie, die zuerst die Cellogruppe anstimmt, bevor sie die Altistin in Gestalt von Wiebke Lehmkuhl fort spinnt, eine prächtig große, schlanke, warme Stimme und ideal für das Konzertfach!


Auch die übrigen Solisten waren mit Anne Schwanewilms (Sopran), Michael Schade (Tenor) und Franz-Josef Selig gut gewählt, sie alle sangen ihre Parts kultiviert und ausdrucksstark.
Nur dass die Solisten neuerdings Wassergläser beanspruchen, um in ihren Pausen trinken zu können, befremdet. Es hatte schon aus ganz praktischen Erwägungen seinen guten Grund, dass das früher nicht üblich war: Am Ende muss jeder ganz vorsichtig am Dirigierpult vorbei tippeln, um nur ja nicht ein Glas umzustoßen.
Als eine Klasse für sich erwies sich freilich einmal mehr der exquisite, von Gijs Leenaars einstudierte Rundfunkchor Berlin, makellos intonierend, die Extreme mühelos meisternd und überirdisch ätherisch in den leisesten, schönsten Momenten.

Die beiden Bruckner-Werke bildeten jeweils den Hauptblock der beiden Konzerte, ihnen voraus ging jeweils ein Solistenkonzert.
Beim ersten spielte Gidon Kremer das zweite Violinkonzert von Sofia Gubaidulina, In tempus praesens, eine Widmung an Anne Sofie Mutter. So wie Kremer sich für die Komponistin persönlich einsetzte und sich seit jeher für die zeitgenössische Musik stark engagiert, stand zu erwarten, dass er es in all seinen Nuancen und Schattierungen minutiös ausloten würde. Das Stück selbst entwickelt meinem Empfinden nach erst ab der zweiten Hälfte eine große Kraft, wenn das Orchester plötzlich zu unheilvollen Schlägen ausholt, die an eine Schostakowitsch-Sinfonie erinnern. Da packt es einen endlich nach einem recht spröden melodischen Teil.


Die Zusammenstellung des zweiten Abends mit Beethovens erstem Klavierkonzert vor der siebten Sinfonie erschien mir noch treffender. Vor allem hatte ich nicht erhofft, dass der Pianist Rudolf Buchbinder, den ich zuletzt vor zwei Jahren mit einem solistischen, eher mittelprächtigen Beethoven-Recital erlebt hatte, diesmal so großartig sein würde. Während bei anderen Pianisten mit zunehmendem Alter die Kräfte nachlassen, wird der Österreicher, der im kommenden Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, immer besser!


Neigte er noch vor zwei Jahren dazu, in den Kantilenen etwas zu hämmern, so fand er diesmal zu einem viel schwereloseren, leichteren Anschlag, zumindest da, wo ihn die Musik in ihren zärtlichen Momenten einfordert. Auch war der Mann, in stetem, engen Blickkontakt mit Thielemann und den Orchestermusikern, frei von jeglicher Routine und in spürbarer lustvoller Spiellaune.


Der Anfang dieses Klavierkonzerts besaß auch seitens des Orchesters eine Dramatik, eine Kraft und eine Leidenschaft wie alte Furtwängler-Interpretationen. Und der spielerisch vorgetragene Finalsatz mit seinem Ohrwurm-Motiv klang einem noch bis zum Ende der Pause nach.

Foto: Thielemann (c) Veranstalter