Alte Oper Frankfurt in der Saison 2017/18, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Intendant und Geschäftsführer der Alten Oper Stephan Pauly stellte vorab noch einmal die Funktion des Hauses heraus, das nicht einfach Spielstätte ist und Säle zur Verfügung stellt. Planungen und intensive Dialoge mit den Künstlern sind Teil eines dramaturgischen Prozesses, der sich im künstlerischen Spielplan materialisiert.
Die gesellschaftliche Funktion von Musik ist dem Hausherrn wesentlich: „Welche zentralen Botschaften aus musikalischen Werken betreffen die Menschen heute, welche musikalischen Beiträge können zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten geleistet werden, wie können neu Zugänge zu Musik ermöglicht werden?, sind Fragestellungen, die das Programm beantworten will.
Wie sehr ihm das MUSIKFEST 2017 am Herzen liegt, war zu spüren, das ja auch bisher ein Herzstück der von ihm geleisteten Programmarbeit war. Dabei wird zum Saisonauftakt je ein für die Musikgeschichte wesentliches Werk in allen möglichen Querverbindungen und Nachfolgen vorgestellt. In diesem Jahr heißt es: FREMD BIN ICH … Schuberts ‚Winterreise‘ und findet vom 15. bis 30. September in Form von Konzert, Performance, Film und Gespräch statt. Franz Schubert hat mit seiner Winterreise nicht nur ein Schlüsselwerk, sondern wahrlich einen eigenen Kosmos von Fremdheit und Ausgrenzung und menschlicher Einsamkeit geschaffen. Kein anderes Werk ertönt übrigens auch in den internationalen Filmproduktionen so häufig wie das erste der 24 Lieder: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus...“
Ein guter Grund also, den Worten von Stephan Pauly zu folgen, der die WINTERREISE nicht nur ihrer musikalischen und musikgeschichtlichen Bedeutung wegen ins Zentrum des MUSIKFESTES stellt, wobei auch ihre Rezeption längst Teil der Faszination ist. Pauly geht es um die Einheit von Wort (Wilhelm Müller) und der Vertonung durch Schubert, die Einsamkeit atmet: „Die 24 Lieder des Zyklus erzählen von Ausgrenzung und Außenseiterschaft, von Flucht und Exil, vom Gefühl der Fremdheit – und damit von Themen, die gegenwärtig viele Menschen betreffen und beschäftigen.“ Die Winterreise selbst erzählt von der Fremdheit, die selbst in der Liebe das lyrische Ich überfällt und zum Weiterwandern antreibt.
Dagegen setzt das MUSIKFEST seinen Fokus auf die erste Strophe allein: FREMD BIN ICH…und Fremdheit ist das Gefühl derer, die in Flüchtlingsströmen aus ihrer vertrauten, aber unsicheren Heimat hierher kommen. Wir nehmen Flüchtlinge in der Mehrzahl wahr, hier geht es aber um ein Grundgefühl, das jeder einzelne kennt, und was für das Projekt Ausgangspunkt ist, auszuloten, wohin dies führt, welche Dimensionen es eröffnet. Fremd fühlt man sich aber nicht nur in der Fremde. Und auch nicht nur zu zweit. Die verschärfte Form ist das sich Entfremden und Fremdfühlen von einem selbst. All dies ist aufgehoben in der Winterreise, über die Pauly im Programmbuch sagt: Mit ihren unzähligen verschlüsselten Botschaften, mit ihrem poetischen, politischen und gesellschaftlichen Gehalt geht es im Musikfest auf eine Wanderschaft durch musikalische und literarische Motive, durch vergangene und aktuelle Lebenswelten und durch die Sehnsucht nach Heimat und Zugehörigkeit.
Das Eröffnungskonzert im Mozartsaal am Freitag, 15. September, besteht aus drei Teilen. Nach der original gebotenen Schubertschen WINTERREISE D 911, mit dem Tenor Daniel Behle und Oliver Schyder am Klavier folgt GESPRÄCH MIT DANIEL BEHLE, in dem es um seine Bearbeitung für Tenor und Klaviertrio geht. Und dieses, SCHUBERT, WINTERREISE D 911 FÜR TENOR UND KLAVIERTRIO wird dann aufgeführt. Der Abend beginnt um 18 Uhr und ist gleich ein Fingerzeig, wie sich Musikdarbietung, Gespräch und weitere Musik verschränken.
Am Samstag, 16. September, geht es mit FLUCHT UND TRAUMA weiter, einer Gesprächsrunde um 17.30, in der Gert Scobel mit zwei Professorinnen der Goethe-Universität und Alexander Belloff, Betriebsleiter Projekt Michaelisdorf Darmstadt Erfahrungsberichte aus der Arbeit mit Geflüchteten berichten. Marianne Leuzinger-Bohleber ist durch ihre langjährige Direktorentätigkeit am Sigmund-Freud-Institut und ihre Traumaforschung bekannt und Susanne Schröter als Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam. Daß die Lehrenden der Frankfurter Universität sich
so lebhaft in alle möglichen Kulturveranstaltungen einbringen, auch selbst welche veranstalten, ist eine gar nicht hoch genug zu lobende Entwicklung der letzten Jahre. Schön, daß auch die Alte Oper dabei ist.
Und mit dem Konzert um 19 Uhr im Mozartsaal DOCH BIN ICH NIRGEND, ACH! ZU HAUS der Musicbanda FRANUI und Nikolaus Habjan, Puppenspiel bietet die Alte Oper wirklich ein Juwel! Wir kennen diesen Abend, das Stück selbst, nicht, das auf einer Textzeile von Martin Walser, gerade 90 Jahre geworden, beruht. Aber seit wir vor einigen Jahren die Musicbanda FRANUI bei den ERLER FESTSPIELEN, heute TIROLER FESTSPIELE ERL erlebten, sind wir hin und weg. Mit welchen musikalischen und sonstigen Mitteln diese Musikgruppe nun auch das romantische Liedgut mitten ins Herz plaziert, ist schon jetzt die spannende Frage.
Daß der spätere Abend ab 21.30 Uhr dann noch mit der Vorführung von THE IMMIGRANT, dem 30minütigen Stummfilm von CHARLY CHAPLIN abgerundet wird, klingt schon jetzt so hinreißend, daß man sich das MUSIKFEST 2017 gleich morgen wünscht.
Dabei kommt der Höhepunkt noch am Sonntag. Seit im letzten Jahr Daniel Liebeskind im Projekt der Alten Oper ONE DAY IN LIFE bekannte Werke an unbekannten Orten spielen ließ, ist das Straßenbahndepot der Frankfurter Verkehrsbetriebe: VGF Betriebshof Gutleut emotional verbunden mit Mozarts Requiem. Seine Nähe zum Hauptbahnhof vertieft noch das Moment von Reisen, Unterwegssein, Kommen und Gehen. Dort wird nun auch zum Abschluß das Schubertsche Original WINTERREISE D 911 erneut ertönen: JAN BOSTRIDGE, Tenor und Julius Drake, Klavier.
Doch dies ist nur der Anfang von FREMD BIN ICH ...dem MUSIKFEST i2017, das sich bis 30. September fortsetzt, die wiederum nur der erste Teil eines umfänglichen Klassikprogramms iist, über das wir wie über die anderen Bereiche weiter berichten werden. Fortsetzungen folgen also.
P.S. Natürlich fallen den Besuchern der Alten Oper der 90 Jahre und danach bei Schuberts WINTERREISE sofort sein herausragender Interpret Dietrich Fischer-Dieskau ein, der auch sein Abschiedskonzert damit bestritt, was das Publikum mit einem halbstündigen Schlußapplaus dankte.
Foto: (c) Julia Stix
Info:
Hier der Weltexpressoartikel zu Walsers 90stem Geburtstag, der am Tag der Pressekonferenz der A.O. war
https://www.weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/9464-jamben-wie-wasserstandsmeldungen-2