Serie: DIE ELBPHILHARMONIE IN HAMBURG, Teil 2
Helmut Marrat
Weltexpresso (Hamburg) - Ein Zeitball ist eine Kugel, die zu einem bestimmten Zeitpunkt hochgezogen und dann genau um eine festgelegte Uhrzeit fallen gelassen wird. Es handelt sich also um ein optisches Signal, das allen in Sichtweite befindlichen Schiffen eine exakte Einstellung ihrer eigenen Chronometer ermöglichen sollte.
Die Idee zu einem solchen Zeitball hatte der britische Kapitän Robert Wauchope (1788 – 1862), der diese Idee 1824 bei der britischen Admiralität einreichte. Fünf Jahre später, 1829, wurde der erste Zeitball im Hafen von Portsmouth ausprobiert. Es folgten 1833 Greenwich und St. Helena und 1836 Kapstadt (Signal Hill).
Der erste deutsche Hafen, der einen Zeitball einsetzte, war Cuxhaven, 1874. Wilhelmshaven, Bremerhaven, Bremen, Hamburg (1875), Kiel, Swinemünde und Danzig folgten. Weltweit gab es bald etwa 160 Zeitbälle, von denen heute noch knapp 60 bestehen. Durch modernere Technik wie Zeitzeichensender wurden die Zeitbälle aber 1910 in Deutschland, ab 1924 in England allmählich abgelöst. Auch New York erhielt einen Zeitball; allerdings nicht für den Hafenbetrieb, sondern als Anzeiger des genauen Jahreswechsels. Auf dem Wolkenkratzer mit der Adresse One Times Square wurde 1907 der "Times Square Ball" installiert, dessen Ball bis heute um genau 1 Minute vor Mitternacht an seinem Mast herabgelassen wird, während dazu ein Countdown gezählt wird. Diese Prozedur, die inzwischen eine Art Kultstatus erlangt hat, wird mittlerweile weltweit übertragen.
Das Hamburger Gebäude aber mit dem Zeitball, dieser erste Kaiserspeicher A, wurde allgemein als die 'Kehrwiederspitze' bezeichnet. Das Wiederkehren oder nicht war Jahrtausende lang eine der wesentlichen Fragen der Schifffahrt hinaus aufs hohe Meer. So war das Gebäude Symbol und Wahrzeichen geworden. Seine Architektur nahm dabei unübersehbar Bezug auf das Zollgebäude von Venedig, die 'Dogana da Mar', die, ebenfalls auf einem spitz zulaufenden Grundstück zwischen zwei Wasserwegen, nämlich dem Canale Grande und der Giudecca, auf der Insel Dorsoduro, wörtlich übersetzt "Harter Rücken", nicht nur der höchst gelegenen, sondern einer besonders verlässlich festen Landzunge der Lagune Venedig, zwischen 1678 und 1682 in prächtigem Barock errichtet worden war, bis heute besteht und nach Jahren des Leerstands und der Verwahrlosung erst vor wenigen Jahren aufwendig zu einem Ausstellungsraum ausgebaut wurde. Die Spitze schon dieses Zollgebäudes wird durch einen markanten Turm gebildet, auf dem sich zwar kein Zeitball befindet, aber doch ebenfalls eine unübersehbare Kugel, die auf zwei Atlanten ruht. Es handelt sich damit um eine Weltkugel, die den Anspruch Venedigs als Königin der Meere auf ihre Weise verdeutlicht. Bekrönt wird diese selbst an sich schon goldschimmernde Kugel durch eine Figur der Fortuna, der Glücksgöttin, die durch ihr Segel in beiden Händen zugleich als Wetterfahne dient – und damit, ebenso wie der Zeitball, ein optisches Signal bedeutet, wenn auch anderen Inhalts.
Das Hamburger Gegenstück wurde durch die Bombardierungen des Hafens beschädigt. Es wäre ein leichtes gewesen, gleich wie bei vielen anderen Gebäuden auch, es zu reparieren und wieder aufzubauen, aber die schon von Alfred Lichtwark (1852 – 1914), dem Schöpfer der Hamburger Kunsthalle, so genannte "Freie und Abrißstadt Hamburg" entschied anders. Das Speichergebäude und der ganz unversehrte Turm wurden kurzerhand 1962 gesprengt, und das Grundstück planiert. - Von 1963-65 errichtete dort Kallmorgen seinen 'Kaiserspeicher A'-Klotz, der bald durch das Aufkommen der Container-Schifffahrt funktionslos wurde und vor sich hingammelte. Dieser, verglichen mit seinem Vorgänger, öde Bau der Stagnation wurde nun aber zum Fundament der Elbphilharmonie. Und so hat nicht nur wieder der Hamburger Hafen, sondern Hamburg selbst insgesamt ein neues Wahrzeichen erhalten! Fortsetzung folgt
Foto: (c) Ralph Larman