Serie: DIE ELBPHILHARMONIE IN HAMBURG, Teil 3

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg) - Das Eröffnungskonzert sollte allen Besuchern die akustischen Möglichkeiten, Ausmaße und Reize des neuen Baues vorführen. So wenig akustische Leckerbissen auch im Programm enthalten waren, war doch die Zusammenstellung klug und gekonnt gewählt, weil sie in einem großen und spannenden Höhepunkt kulminieren konnte.

Der Dirigent des Abends hieß Thomas Hengelbrock (*1958), verheiratet mit der wunderbaren Schauspielerin Johanna Wokalek (*1975), und die Auswahl der Konzertstücke wurde wohl hauptsächlich, wenn nicht sogar ausschließlich von ihm getroffen. Das Orchester war das NDR Elbphilharmonie Orchester, dessen Chefdirigent Hengelbrock seit 2011 ist. Das NDR Orchester hat seinen Namen dem neuen Konzert-Gebäude entsprechend im vergangenen Sommer erweitert. 


Der akustische Eindruck glich, da ja die akustischen Möglichkeiten und Spannräume deutlich gemacht werden sollten, über lange Strecken einem Aufnahme-Studio, so präzise wurde jeder Klang, jeder Ton weitergetragen und zurückgeworfen, so präzise aber spielte auch das Orchester.  Vor zehn Jahren äußerte der Intendant des Hauses, Christoph Lieben-Seutter, der nun ja über viele Jahre lang ein Intendant ohne Haus gewesen war, noch gegenüber der Pianistin Mitsuko Uchida (*1948; vgl. www.perinique.de), die für die Elbphilharmonie die Flügel ausgesucht hat, dass Hamburg kein erstrangiges Orchester habe, was durchaus zutreffend war; aber das Eröffnungskonzert der Elbphilharmonie hat gezeigt, dass diese Einschätzung inzwischen weitgehend überholt ist. 

Das Konzert wird mit dem Stück "Pan" aus den "Sechs Metamorphosen nach Ovid", op. 49 von 1951 von Benjamin Britten (1913 – 1976) eröffnet. Das ist keine Anspielung darauf, dass ohne die britischen Bomben der Bauplatz für die Elbphilharmonie nicht zur Verfügung gestanden hätte. Britten war erklärter Pazifist und Kriegsdienstverweigerer. Sein Stück ist eine gemäßigt dissonante Komposition, in der eine Oboe einen wesentlichen Part spielt, die, wie im Programm angegeben, von dem Estländer Kalev Kuljus (*1975) geblasen wurde. Es folgte das sphärisch-tastende "Mystère de l'instant" (also das "Geheimnis des Augenblicks") von 1989 von Henri Dutilleux (1916 – 2013). Bisher alles noch sozusagen niveauvolles Studio.

Mit dem Stück "Dalle più alte sfere" (also "Zu den" oder "Von den höheren Sphären") entsteht erstmals ein staunend-behagliches Konzert-Gefühl! Es handelt sich um einen von Harfe begleiteten Gesang aus der Spätrenaissance oder dem Frühbarock, entstanden 1589, von Emilio de' Cavalieri (1550 - 1602) und Antonio Archilei (1542 – 1612); im Internet werden noch vier weitere Künstler mit der Komposition dieses Werkes in Zusammenhang gebracht.

Antonio Archilei und Emilio de' Cavalieri stammten aus der Umgebung Roms und aus Rom selbst. Einem Ruf der Medici folgend zogen beide nach Florenz. Hier lernten sie bald Giovanni de' Bardi (1534 – 1612) kennen, einen Sohn der Bankiersfamilie Bardi, der den Text zu diesem berühmt gewordenen Musikstück "La Pellegrina" schrieb. Es handelte sich dabei um ein Intermezzo (Zwischenspiel) zwischen den Akten eines Schauspiels. Der Gesang dabei war neu nach dem theoretischen Prinzip der Monodie geformt, dem Einzelgesang im Gegensatz zum bis dahin praktizierten mehrstimmigen kontrapunktischen Gesang. Ziel war vor allem, dass nun der Text durch den Vortrag allgemein verständlich sein sollte. Die Intermezzi mit monodischem Gesang bereiteten die Entstehung der Oper vor. Begleitet wurden sie 'trocken', wie ein Secco Rezitativ, das heißt durch stützende Akkorde, nicht durch eine durchgehende Melodie."La Pellegrina" wurde ursprünglich durch 2 Gitarren oder Lauten begleitet; der monodische Gesang von 4 Sängern unisono vorgetragen.

In der Elbphilharmonie hat man die Begleitung einer Harfe zugeteilt, während der Gesang nur von einem einzigen Altus-Sänger gebracht wurde. Der Altus klingt wie eine weibliche Stimme, ist aber eine männliche, noch über dem Tenor liegende Gesangsform; eine Art Falsett-Gesang; 'Kastraten-Gesang' hat einen ganz ähnlichen Tonumfang. Margret Köll spielte sehr schön die Harfe; Philippe Jaroussky (*1978) war der eindringliche Sänger. 

Was auffiel: Dieses Duo trat nicht unten in der Orchestra auf, sondern auf einer kleinen Sonderfläche auf ziemlicher Höhe des Raumes schon. Ich saß diesem Duo, was die Höhe betraf, in etwa gegenüber, wenn auch am gegenüber liegenden Ring des Trichters, Klangtrichters, den, wenn man so will, die Elbphilharmonie bildet. Aber der Ton wurde großartig über diese weite Entfernung problemlos getragen. Ein großartiger Augenblick.

Vorgeführt wurde damit nicht nur, welche akustischen Raffinessen der Raum besitzt; sondern auch, welche räumlichen Anordnungen möglich sind. Man kann also überall Musiker postieren und das spannendste Klangwechselbild schaffen, das man sich vorstellen kann; oder besser gesagt: Noch über alle Vorstellung hinaus. - Was für Concerti Grossi sind in diesem Raumgefüge möglich! - Wir werden also noch viel zu erwarten haben! - "La Pellegrina" war ursprünglich ein Auftragswerk Don Ferdinandos I de' Medici (1549 – 1609) von 1564 gewesen, aus Anlass von dessen Hochzeit 1565; es wurde aber auch bei späteren Hochzeiten der Medici wieder verwendet, so 1579, 1585 und 1589; das letzte Datum ist hier im Programmheft des Eröffnungskonzerts der Elbphilharmonie angegeben. Es handelt sich damit also in jedem Fall um eine festliche Musik zu einem ganz besonderen Anlass. Fortsetzung folgt

 

Foto: Festsaal (c) Michael Zapf