ta dolo2Serie: Frau EMMA und die Dolomiten Höhenwanderung, 1/3

Thomas Adamczak

Niederdorf /Pustertal (Weltexpresso) - »200 Jahre Frau Emma - eine große Gastwirtin«. So nennt sich die Sonderausstellung im Museum »Haus Wassermann« in Niederdorf im Pustertal (Südtirol). In Niederdorf gibt es ein Hotel namens »EMMA«, früher Gasthof »Schwarzer Adler«, das an diese Frau erinnern soll.

Einer großen Gastwirtin wird eine eigene Ausstellung gewidmet? Das macht neugierig.

Wenigstens ging es mir so, als ich im September dieses Jahres in Niederdorf eintraf, einen Tag vor dem Start einer mehrtägigen Dolomiten Höhenwanderung.

Es handelt sich um Emma Hallensteiner aus Sankt Johann in Tirol, geboren am 12. April 1817 als Emerentia Hausbacher. Sie heiratete den Postmeistersohn Josef Hellensteiner, mit dem sie den Gasthof »Zum schwarzen Adler« in Niederdorf führte. Da ihr Ehemann früh verstarb, musste EMMA die sechs noch nicht mündigen Kinder allein aufziehen, was ihr, ist den Informationstafeln der Ausstellung zu entnehmen, nach Einschätzung der Zeitgenossen gut gelang.

Nach und nach übernahm sie mehrere Gasthöfe zusammen mit ihren Kindern. Mit ihrem Sohn Eduard initiierte sie den Bau des Hotels am Pragser Wildsee und überließ dem Sohn dessen Leitung. Welch imposantes Gebäude in einmaliger und zugleich faszinierender Umgebung das Pragser Wildsee-Hotel ist, sollte ich am nächsten Tag am Ausgangspunkt des Höhenweges mit eigenen Augen sehen.

tj doloDiese Frau EMMA muss mehr als eine vage Ahnung gehabt haben, welche Bedeutung der Tourismus in dieser Region der Dolomiten bekommen sollte. Man denke sich dieses Hotel einmal weg, wenn man am Pragser Wildsee steht und gar nicht weiß, wohin man vor lauter Staunen schauen soll. Natürlich, wird man/frau sich denken und vor sich hin murmeln, muss hier ein Hotel stehen. Emma Hellensteiner hat sich das nicht nur vorstellen können, sondern setzte den Plan mit ihrem Sohn um, so wie sie mit ihren anderen Kindern den Bau, Umbau oder die Übernahme anderer Hotels vorantrieb. Die Gäste werden zu solch außergewöhnlichen Orten kommen, das hat sie gewusst.

Eine wesentliche Aufgabe von Gastwirten ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Gäste wohl fühlen, natürlich vor allem deshalb, damit sie wiederkommen. Tja, und wann kommen Urlaubsgäste wieder und wieder in das gleiche Hotel? Sie müssen das Gefühl haben, willkommen zu sein, vom Wirt, der Wirtin gesehen zu werden. »Dein Ort ist, wo Augen dich sehen« (Hilde Domin), ohne dass diese Augen aufdringlich werden dürfen.

Der Gast kann ruhig mitbekommen, dass auch andere Gäste gesehen werden, aber bitte doch nicht freundlicher, aufmerksamer als man selber! Wenn der Gast das Gefühl haben soll, »König« zu sein, dann muss er das spüren, in vielerlei Hinsicht. Auf keinen Fall will er seine Krone mit anderen teilen oder gar feststellen müssen, dass die Herrschaften am Nebentisch eine größere und prächtigere Krone aufgesetzt bekommen.

Die Wirtin Emma muss diesen Spagat, den jede gute Gastwirtin, jeder Gastwirt hinbekommen will, in vorbildlicher und eindrucksvoller Weise bewältigt haben, weshalb ihrer, verbunden mit ihren sonstigen Verdiensten, mit dieser »Sonderausstellung« gedacht wird.

tj Data Users DefApps AppData INTERNETEXPLORER Temp Saved Images portrait emmaDas Museum im »Haus Wassermann« bietet außer der Sonderausstellung eine Dauerausstellung, in der unter anderem des Lebens der Dienstboten im neunzehnten Jahrhundert bis ins beginnende zwanzigste Jahrhundert gedacht wird. Damit ergibt sich für den Besucher des Museums ein unerwarteter Kontrapunkt zu der Würdigung der »großen Gastwirtin«.

»Schönheit ist demokratisch«, schreibt David Le Breton in »Lob des Gehens«. Er meint die Schönheit der Natur, die jeder Mensch genießen könne, unabhängig von Herkunft oder Schichtzugehörigkeit. Ja aber, möchte man ihm entgegenhalten, ohne Einschränkungen gilt dieser Satz nur in demokratisch verfassten Gesellschaften.

Im Museum wird nämlich über die seit 1879 gültige Dienstbotenordnung informiert. Was da zu lesen ist, lässt dem Besucher die Haare zu Berge stehen. § 14 der »Dienstbotenordnung« konkretisiert die »Pflicht zur sittlichen Lebensführung«: »Der Dienstbote darf ohne Erlaubnis des Dienstgebers in eigenen Angelegenheiten sich nicht vom Hause entfernen und nicht über die bewilligte Zeit ausbleiben. Er darf gegen Verbot des Dienstgebers Besuche überhaupt oder von bestimmten Personen nicht annehmen.« § 16: »Er muss sich die Durchsicht seiner Truhen, Koffer und sonstigen Behältnisse von Seiten des Dienstgebers, ohne Angabe von Gründen, in seiner und seines Zeugen Gegenwart gefallen lassen.«

Die Dienstmädchen waren »Mädchen für alles«, wobei man sich kaum die Frage zu stellen getraut, was »alles« dazu gezählt haben mag. Für die Dienstmädchen wie auch die männlichen Dienstboten gab es eine völlig ungeregelte Arbeitszeit, was bedeutet, dass ihre Arbeitszeit erbarmungslos ausgeweitet werden konnte. Alle vierzehn Tage stand ihnen ein »freier Sonntag« zu, allerdings lediglich von 16:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Nur in dieser Zeit durften sie »ohne Kontrolle ausgehen, was bedeutet, dass sie neben vielen anderen Einschränkungen keine ausgedehnten Wanderungen in den Dolomiten unternehmen konnten. So viel zu dem Satz: „Schönheit ist demokratisch“.

Leider thematisiert die Sonderausstellung nicht, wie Frau Emma ihre männlichen und weiblichen Dienstboten behandelt hat. Stattdessen ist zu lesen, dass sie, vermutlich als eine der ersten Frauen überhaupt, die Mitgliedschaft im Alpenverein durchsetzte, sich in mehreren Theatergruppen und Verschönerungsvereinen für die Förderung des Tourismus engagierte.

Die Erinnerung an Frau Emma und all die anderen Gastwirte, die dem Besucher den Aufenthalt in einer Region wie den Dolomiten ermöglichen, verblassen recht schnell angesichts der gewaltigen Landschafts-und Natureindrücke, die den Wanderer nach dem Transfer zum Pragser Wildsee (mit Minibus oder Bus der Linie 442) überwältigen. Wanderführer und Wanderzeitschriften halten diesen Höhenweg im Vergleich zu den anderen (insgesamt gibt es zehn Höhenwege) für besonders eindrucksvoll.

Fotos:
1 Dolomiten © Gundula Seifert-Hirth
2: Pragser Wildsee © Cora Bergmeier
3: Frau Emma © Hotel-Emma.it

Info:

https://www.drei-zinnen.info/de/niederdorf.html; http://www.villabassa.eu/de/Stadtinfo/haus-wassermann.asp;

https://www.drei-zinnen.info/de/niederdorf/niederdorf/veranstaltungen/in-niederdorf/rid-7F9439F7A0A144769BCBC60B2D9399FB-sonderausstellung-200-jahre-frau-emma-eine-grosse-gastwirtin.html