Fes und seine Medina

 

Notker Blechner

 

Fes/ Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die einst vom Zerfall bedrohte marokkanische Königsstadt Fes erstrahlt in neuem Glanz. Mehrere Gebäude wurden saniert und teilweise umgebaut zu Luxus-Hotels - mithilfe traditioneller Handwerkskunst. Doch noch immer sind viele Häuser baufällig oder gar einsturzgefährdet.

 

Beim Durchschreiten von einem der Stadttore von Fes fühlt man sich um Jahrhunderte zurück versetzt. Frauen bereiten an Gemeinschaftsöfen das Brot zu, Steinmetze hauen Schriftzeichen in Marmortafeln, Scherenschleifer schärfen Messer, Händler sitzen auf Bastmatten und verkaufen lebende Hühner, schwerbeladene Esel und Maultiere stampfen durch die engen Gässchen. „Autos gibt es hier keine“, sagt Fremdenführer Khalid El Aji.

 

Ruhe herrscht hier aber trotzdem nicht. Im Gegenteil. Ständig wird „Balak, Balak!“ gerufen. Wenn man sich umdreht, steht nicht etwa Fußball-Ex-Star Michael Ballack hinter einem, sondern ein armer vollbepackter Esel, auf dem ein Mann in Djellaba-Kleidung sitzt und der sich ein Weg durch die Menschenmengen bahnen muss. Balak ist das marokkanische Wort für „Achtung“. Die Esel und Maultiere sind das wichtigste Transportmittel in den engen Gässchen, die teils nur einen halben Meter breit sind.

 

"Wie im Inneren eines Granatapfels"

 

Wie viele Gassen und Nebengassen die Altstadt von Fes hat, weiß kaum einer ganz genau. Offiziell ist von über 9.000 Sträßchen und Seitengassen die Rede. Auf jeden Fall sind es so viele, dass sich nahezu jeder Tourist in dem Labyrinth verirrt, falls er nicht von einem „guide“ geleitet wird. Schon der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal fühlte sich einst bei einem Besuch in der Altstadt so verloren „wie im Innern eines Granatapfels“.

 

Mit einer Fläche von 350 Hektar ist die Medina von Fes die größte Nordafrikas, vielleicht sogar der Welt. Sie ist aufgeteilt in gut 20 Viertel, die jeweils über eine eigene Moschee, Koranschule, Bäckerei und ein Hammam verfügen. Zudem sind einzelne Gassen für bestimmte Handwerker reserviert. So gibt es das Gerberviertel, das Tischlerviertel, das Färberviertel, das Korbflechter-Viertel und das Kupfertopfflicker-Viertel.

 

Lederverarbeitung in farbigen Bottichen

 

Beliebtestes Fotomotiv ist das Gerberviertel. Wer die Treppen eines umliegenden Ledergeschäfts hinaufgeht, dem bietet sich von der Aussichtsplattform ein ungewöhnliches Farbenspektakel. Junge Männer stehen dort mit nackten Füßen in riesigen Bottichen, in denen sich unterschiedliche Farbflüssigkeiten befinden. Mit einer Lauge aus Kalk, Natrium, Schwefel und Taubenkot waschen sie die stinkenden Tierhäute aus und verarbeiten sie zu geschmeidigem Leder - wie vor hunderten von Jahren.

 

In der Medina scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Gäbe es nicht Handys, die an manchen Läden hängen, oder ein paar Mofas, die herumknattern, würde es fast noch so aussehen wie im Mittelalter. Damals erlebte die Stadt ihre Blütezeit. Im 14. Jahrhundert war Fes eine florierende Handelsstadt als Kreuzpunkt der Karawanen. Die Königsstadt zählte hunderte Webereien, Papierfabriken, Färbereien und 80 Gerbereien.

 

Einsturzgefährdete Häuser

 

Doch spätestens als die Franzosen 1912 die Hauptstadt von Fes nach Rabat verlegten, ging es mit der Stadt bergab. Die Medina wurde mehr und mehr vernachlässigt. Viele Häuser sind inzwischen sanierungsbedürftig, manche gar einsturzgefährdet. So kamen vor neun Jahren elf Menschen ums Leben, als ein in die Jahre gekommenes Haus zusammenbrach.

 

Seitdem die Medina von Fes zum Weltkulturerbe erklärt worden ist, tut sich was in der Königsstadt. Mit Unterstützung der Unesco und des Auslands wird die Medina nun kontinuierlich saniert. Federführend ist die Agentur für Wiederaufbau ADERE, die die Altstadt wieder aufwerten und den Verfall der Bausubstanz stoppen soll. In den letzten Jahren wurden Herrschaftshäuser herausgeputzt und teils in Luxus-Hotels oder Museen umgewandelt. Hotelketten, Immobilienfirmen und reiche Ausländer haben Millionen in einzelne Paläste und Prunkbauten investiert.

 

Sanierungswelle zahlt sich aus

 

„Es herrscht ein regelrechter Immobilien-Boom“, meint der in Fes geborene Ahmed, der aus Frankreich zurückgekehrt ist, um hier das große Geld zu machen. Auf einer Dachterrasse nahe des Palasts Jamai feiert Ahmed zu Techno-Klängen mit anderen jungen Wilden, die vorher ebenfalls an Wirtschafts- oder Elite-Unis studierten und jetzt auf Immobilien oder Tourismus setzen.

 

Die Immobilienpreise hätten stark zugelegt in den letzten Jahren, bestätigt Alexandre Lecomte. Der Franzose hat 2006 ein altes Herrschaftshaus gekauft und es in ein Hotel mit dem Namen "Riad Le Calife" umgebaut. Seither hat sich „der Wert des Hauses verdoppelt“, berichtet er stolz.Mit viel Liebe zum Detail haben er und seine Frau die sieben Zimmer eingerichtet. Jedes hat eine andere Farbe und unterschiedliches Mobiliar. Die Preise der Zimmer, darunter drei Suiten, reichen von 100 bis 180 Euro. Das Frühstück kann oben auf der Dachterrasse eingenommen werden - mit herrlichem Blick über die gesamte Medina.

 

Luxuriös residieren im Riad

 

Hotels mit Riad (Innenhof) wie das von Monsieur Leconte sind begehrt. Sie locken zahlungskräftige Touristen an, die einen Hauch von orientalischem Luxus schnuppern wollen - zu Preisen von 70 bis fast 600 Euro pro Nacht. Zu den günstigsten Adressen zählt das Riad Ibn Khaldoun. „Unsere Zimmer kosten unter 100 Euro“, erklärt Geschäftsführer Salaheddine Lazrak stolz auf deutsch und zeigt auf seinem Galaxy-Smartphone ein Video über das 2006 fertig restaurierte Gästehaus. „Das billigste Zimmer liegt bei 70 Euro für zwei Personen mit marokkanischem Frühstück“, ergänzt Lazrak, während seine Töchter süßes Gebäck und Minztee servieren. Man spürt die Gastfreundschaft. Einziger Nachteil: einige Zimmer haben kein Fenster nach draußen.

 

Etwas anonymer, dafür aber etwas luxuriöser ist das Fünf-Sterne-Hotel Riad Fes von Relais & Châteaux, das Ende 2009 eröffnet wurde. Der Palast besteht aus vier Innenhöfen und vereint andalusische und marokkanische Architektur. Das Riad Fes verfügt über einen Swimming-Pool, das Spa „Cinq Mondes“ und ein schickes Restaurant mit marokkanischen Spezialitäten. Die Preise beginnen bei rund 150 Euro.

 

Wie im Märchen aus 1001 Nacht

 

Die wohl bekannteste Adresse ist das Palais Jamai am Rande der Medina. Es war eines der ersten Luxushotels in der Stadt. „Ein Traumpalast inmitten andalusischer Gärten, Brunnen und Mosaike“, schwärmt Geschäftsführerin Jolanda Sadni Ziane. Die 142 Zimmer, davon 19 Suiten, bieten westlichen Komfort mit marokkanischem Flair. Sie sind mit viel Stuck, Zelige (den typischen Mosaik-Fliesen aus Fes), Holz und plüschigen Sofas ausgestattet. Vor allem französische und amerikanische Touristen kommen in den Palais Jamai.

 

Wer es noch edler mag, sollte im Palais Faraj ein paar hundert Meter abseits der Medina residieren. In den stuckverzierten Räumen mit Marmorboden und Wandmosaik-Fliesen sowie den Innenhöfen mit romantischen Brunnen fühlt man sich wie im Märchen aus „1001 Nacht“. Der vom Star-Architekten Jean-Baptiste Barian entworfene Palast ist im letzten Jahr eröffnet worden. Er verfügt über 25 großzügige Suiten. Die teuerste Suite kostet 800 Euro, die billigste 190 Euro. Ein 400 Quadratmeter großer Spa-Bereich bietet Entspannung im Hammam mit orientalischer Massage. Eine besondere Attraktion ist das Restaurant in der obersten Etage. Von dort aus erstreckt sich ein atemberaubendes Panorama auf die Altstadt von Fes. „Hier kann man richtig durchatmen“, meint Hotel-Geschäftsführer Médéric Fauchille. „Man ist nicht so eingezwängt wie in den Riads und wohnt doch nahe an der Medina.“

 

Erst ein Viertel der Medina saniert

 

Neben dem Umbau von Herrschaftshäusern in Hotels wurden in der Medina auch prestigeträchtige Gebäude wie die 859 erbaute Kairaouine-Moschee und -universität, einem der wichtigsten Zentren der Geistlichkeit und Kultur im Islam, sowie die Koranschule Madrassa Bou Inania aus dem 14. Jahrhundert aufwändig saniert. Einzelne Herrschaftshäuser wurden modernisiert und in Museen umgewandelt. Auch die zahlreichen Brunnen wurden renoviert.

 

Der Sanierungsbedarf in der Medina ist groß. „2.500 Häuser stehen auf der Liste“, meint Ahmed. Davon sei bis jetzt gerade mal ein Viertel renoviert worden, schätzt er. Noch immer gibt es zahlreiche baufällige Häuser mit Rissen an den Wänden. Denn die Sanierung der Gebäude ist sehr aufwendig. Sie erfolgt mit althergebrachten Bautechniken, falls möglich. So wird bevorzugt mit Stein, Gips, Holz und Ziegeln gebaut.

 

Heimat der Handwerker

 

Die Handwerkskunst wird auch heute noch in Fes hoch geachtet. Die Stadt tut viel, um die Tradition zu bewahren. Im 2009 eröffneten Centre de Formation des Métiers de l`Artisanat werden jährlich 1.000 Handwerker ausgebildet - als Steinhauer, Weber, Holzschnitzer usw. „Insgesamt 24 Berufe werden angeboten“, erklärt Abderrahim Belkhayat, Geschäftsführer der Region Fes für das Handwerk stolz. Bis 2015 sollen 115.000 Arbeiter zu Handwerkern umgeschult werden, sagt Belkhayat.

 

Kein zweites Marrakech

 

Mit der Handwerkstradition und romantischen Unterkünften will Fes künftig noch mehr Touristen anlocken. „Wir wollen nicht mehr nur ein Ort für Transitreisende sein, die die vier marokkanischen Königsstädte besuchen, sagt Manager Abderrahim Belkhayat. "Wir wollen zu einer echten Städtetourismus-Destination werden."

 

Ein zweites Marrakesch will Fes aber nicht werden. „Wilde Partys mit viel Alkohol passen nicht in die Stadt“, sagen die Einheimischen. Schließlich ist Fes immer noch geistiges und kulturelles Zentrum des Königsreichs Marokko. Und zu viel Moderne würde in der konservativ geprägten Stadt schlecht ankommen und möglicherweise zum Aufstand führen. Fes gilt nämlich als Hochburg der Islamisten. Hunderte Islamisten würden in der Medina leben und regelmäßig vom marokkanischen Geheimdienst überwacht, berichten Insider.

 

Links:

 

Hotels:

Palais Faraj

6-18, quartier Ziat

Derb Bensouda, Fes

Preise: 190 bis 800 Euro

Tel.: 00212-535-661074699

Internet: www.palaisfaraj.com

 

Palais Jamai

Bab Guissa, Fes

Tel.: 00212-535-634331

Internet: www.sofitel.com/de/hotel-2141-sofitel-fes-palais-jamai/index.shtml

 

Hotel Riad Le Calife

19 bis Derb el Ouarbiya, Fes

Preise: 100 bis 180 Euro

Tel.: 00212-535-762608

Internet: www.rieadlecalife.com