Die dritte Siam-Reise (5): Kunst im Norden
Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse
Auf siamesischer Erde (Weltexpresso) - Am letzten Tag des Yee Peng Festivals wollen wir sehen, wo die Ballons aufsteigen und machen uns auf den langen Weg zum Fluss - nicht ahnend, dass wir in einen gewaltigen Karnevalstrubel landen. Am Ende der nördlichen Altstadt sind alle Straßen gesperrt, die nun von Abertausenden von Einheimischen und Touristen mit hochgehaltenen Smartphones verstopft werden.
Dazwischen wälzt sich ein gigantischer Faschingsumzug mit zahlreichen buddhistischen Motivwagen, wir erleben das chaotische, lärmende und letztlich grässliche Gegenteil der bisherigen Abende. Kurz vor dem Ping Fluss ist kein Weiterkommen mehr, Zigtausende von Ballonen werden in dem chaotischen Gedrängel losgelassen, eine Kapelle spielt zwar unermüdlich aber letztlich vergeblich meditative Thaiweisen. Von weitem sah das Spektakel am Himmel wesentlich friedlicher und schöner aus. Hannah setzt heimlich ihr gebasteltes Boot in einem kleinen Nebenfluss aus und wir gehen drei Stunden später ziemlich geschafft ins Lamphuhouse zurück.
Am nächsten Tag verkündet der Tuk-Tuk-Fahrer großmäulig, er kenne „The Gallery“ in einem Vorort Chang Mais, bringt uns dann jedoch in ein riesiges Juwelen-Center, auf dessen Treppe uns sechs edle, sehr feingekleidete Thaimädchen in Empfang nehmen wollen. Aber bis zum MAIIAM, dem Museum of Contemporary Art mit seiner fantastischen Spiegelfassade, sind es dann noch mal etliche Kilometer.
Die Wechselausstellung zeitgenössischer Kunst aus Süd-Ost-Asien im MAIIAM ist einfach überwältigend und tatsächlich „contemporary“: Die Arbeiten aus der Sammlung zeigen die Spannweite von verblüffenden Ferkeleien im Goldrahmen („Ejaculation on canvas“), sozialkritischen und dennoch verrätselten Objekten wie die Installation „Departure of Country Thai Girls“. Dazu wilde figurative und surreale Malerei sowie Materialexperimente. Lebensechte Besucher-Skulpturen stehen vor dem monumentalen Triptychon „Super(m)art“, das alle Spielarten zeitgemäßer Todsünden mit zahllosen, ineinander übergehenden Wimmelbildern bloßlegt.
Im unteren Stockwerk des Museums läuft die überraschend spannende und interessante Ausstellung „Diaspora: Exit, Exile, Exodus“. Sie präsentiert keinen mildtätigeren Sozialkitsch, sondern ermöglicht eine tiefgreifende ästhetische Auseinandersetzung - lässt Raum für individuelle Fantasien, eigene Assoziationen und den „unwägbaren Rest“: Affenkind und Mensch - scheinbar Fremdes, das sich umarmt? Holzschiffe, die immer größer werden und nur noch aus aufeinandergetürmten Hütten - der neuen Heimat ? - bestehen. Verweisen Fotografien des unwirtlichen Urwaldes - mit Schriftzügen wie „No land for long residence“ oder „Nothing is normal anymore“ - auf die neue Heimat?
Abends ist ein argentinischer Bandoneon-Spieler im Museum zu Gast, der mit zwei Streichern widerborstige Tango-Nuevo-Stücke von Astor Piazzolla darbietet. Während wir in der Ausstellung umhergehen, probt das Trio lange mit vier Tänzern der Gruppe „18Monkeys“. Piazzola wird hervorragend musikalisch interpretiert - unsere Gefühle zu den Choreografien sind jedoch zwiespältig. Es ist eine spannende Idee, Tango Nuevo als Tanzvorlage zu nutzen. Die seltsamen, oft schrägen, dann wieder melancholischen Klänge könnten fantastische Bilder evozieren - aber das gelingt der kleinen Compagnie nur teilweise. Die Tänzer beherrschen zwar durchaus das Vokabular des modernen Tanztheaters und den akrobatischen Modern Dance. Aber durch ihre Tanzfiguren aus dem klassischen, oft geckenhaften thailändischen Maskenspiel, wirken etliche Szenen ziemlich banal. Bei den eigentlich starken Themen wie Zähmung, Beherrschung und Macht wirken die vom Ensemble gemimten Affen albern.
Dennoch - ein toller Tag in einem sehenswerten Museum, das vor zehn Jahren in einem ehemaligen Industriegebiet gebaut wurde, in dem sich jetzt viele Kunsthandwerksbetriebe und Manufakturen ansiedeln.
Fotos:
Im Text erwähnte Objekte und Kunstwerke © Hanswerner Kruse