ta 3FischersteigSerie: Eine faszinierende Fernwanderung auf der Blumeninsel; Teil 3/3

Thomas Adamczak

Otzberg/Odenwald (Weltexpresso) - Für Jacques Lacarrière ist einer der wichtigsten Gründe, die ihn zum Gehen anspornen, »die Konfrontation mit der Ungewissheit der Begegnungen«. Jeder Tag einer solchen Wanderreise kann ganz unterschiedliche, unvorhergesehene Kontakte bringen, wobei »letztendlich eine Art Prüfung zu bestehen« ist. Die Begegnung unterwegs eine Art Prüfung? Gemeint ist wohl, dass sich beim ersten Kontakt mit einem Gegenüber entscheiden wird, ob und wie man ins Gespräch kommt.

Bei Personen, die auf der gleichen Wanderung unterwegs sind, besteht meines Erachtens häufig die unbewusste Hoffnung, mit jemandem ins Gespräch zu kommen, wobei die im Ausland vermutete und häufig ja auch real bestehende Sprachbarriere die Bereitschaft hemmt, den ersten Schritt zu einem Gespräch zu tun.

»Spricht der, spricht die deutsch? Soll ich es versuchen und sie oder ihn ansprechen? Vielleicht erst einmal auf Englisch?«

Manche Eindrücke von der Landschaft, einer bestimmten Atmosphäre, einzelnen Naturphänomenen sind so gewaltig, dass man kaum den Drang unterdrücken kann, sie mit anderen zu teilen. Die Intensität des Erlebens drängt dazu, die eigenen Empfindungen auszusprechen, wobei man auf die Zustimmung der Umstehenden bzw. Mitwandernden hofft.

Dieser Gedanke verweist auf eine Besonderheit der Gruppenreise, bei der der Geist der Gemeinschaft erfahrbar wird. Er kann sich zum Beispiel in gegenseitiger Unterstützung und Hilfe äußern, im besten Fall in praktizierter Solidarität.

Reisen in der Gruppe ermöglicht eine Vielfalt an Gesprächen und des Umgangs und bietet insofern Erfahrungen des sozialen Lebens. Was interessiert mich am anderen bei einer solchen Begegnung unterwegs? Woher kommt die oder der andere? Was treibt sie um? Wer sind sie und wie sind sie geworden, wer sie sind? Was erfahren wir über das Leben der anderen?

Unsere Madeirareise wurde etwa einen Monat vor Beginn der Wanderung Anfang Januar 2019 geplant. Wir hatten keine Ahnung, ob zu diesem Zeitpunkt andere diese Wandertour unternehmen würden. Also überlässt man sich mal wieder den Zufällen des Lebens und lässt sich überraschen.

Ein dänisches Ehepaar, beide Biologen, hatte die gleiche Tour zum gleichen Termin gebucht. Eine einwöchige Wanderreise in einer zufälligen Viererkonstellation. In welcher Sprache wird man sich verständigen? Bei uns war es das Englische, welches bei den Dänen signifikant elaborierter war als bei uns beiden Deutschen, die wir uns bemühen mussten, unsere Kenntnisse der englischen Sprache zu reaktivieren, um situativ einigermaßen angemessen reagieren und ins Gespräch kommen zu können.

Jacques Lanzmann notiert zu seinen Erfahrungen bei Begegnungen auf Wanderreisen:

»Unterwegs bin ich ein unerträglicher Typ. Ich verlange viel von mir und anderen. Jedes Mal, wenn ich mit Freunden aufgebrochen bin, kam ich mit Feinden wieder. Zehn Tage mit jemandem zu gehen ist wie zehn Jahre mit ihm zu leben. Seine Fehler, aber auch seine Qualitäten ziehen wie im Zeitraffer vorbei. « Geht es anderen Wanderern ähnlich wie Lanzmann? Wie viele werden ihm zustimmen?

»Andere mögen anders denken«, heißt es bereits in der »Antigone« des Sophokles. Mit dem dänischen Ehepaar kamen wir richtig gut ins Gespräch, denn das wechselseitig gesprochene Wort traf auf Resonanz, was wohl die entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass ein Gespräch gelingen kann. Gegen Ende der Wanderung zeigte sich, dass wir mittlerweile wie gute Bekannte, wenn nicht gar Freunde miteinander reden konnten.

So angenehm und bereichernd es ist, beim Wandern und auch sonst mit einer bislang unbekannten Person in ein wirkliches Gespräch zu kommen und miteinander Eindrücke teilen zu können, so gewiss ist allerdings auch, dass der größte Feind des Wanderers die Unachtsamkeit ist. Wandern erfordert Achtsamkeit und die ist am größten, wenn sie nicht geteilt ist. Mit jemand oder gar mehreren während einer Wanderung zu gehen aber bedeutet immer eine gewisse Teilung der Achtsamkeit. Man achtet ja zwangsläufig auf den oder die anderen, mit denen man ins Gespräch kommt, und das schränkt die Wahrnehmung der Umgebung und der Eigentümlichkeit dieser Umgebung ein.

Wenn man allerdings in einer Landschaft mit üppiger Vegetation wie auf Madeira wandert, dann ist die Gesellschaft von Biologen eine sympathische Chance in Hinblick auf die Achtsamkeit für besondere Pflanzen.

Höhepunkte der Rundwanderung? Mindestens zwei! Der erste Tag der Wanderung von Machico, der ältesten Ansiedlung der Insel, nach Porto da Cruz. In Machico bzw. im Nachbarort Santa Cruz sollen die ersten Portugiesen an Land gegangen sein, um die Insel im Auftrag Heinrich des Seefahrers in Besitz zu nehmen.

Vom Strand bei Machico führt die erste Tour durch idyllisch gelegene Terrassenfelder zum Aussichtspunkt Pico do Facho und von dort zum Passübergang Boca do Risco (»Mund der Gefahr«), wo früher ein Saumpfad das Landesinnere mit der Küste verband. Von diesem Sattel führt der Wanderweg an der senkrecht abfallenden Küste zum Küstenort Porto da Cruz.


ta 3Porto da CruzDer Weg an der Steilküste ist mitunter sehr schmal, bietet aber traumhafte Tief-und Rundblicke. Porto da Cruz hat als Attraktion einen Meerwasserpool und einen geschützten schwarzen Sandstrand. Es liegt malerisch zwischen steil aufragenden Felswänden. Im Ort gibt es eine kleine Rumfabrik, in der über die Herstellung des Zuckerrohrschnapses informiert wird. Man kann im Verkaufsraum der Fabrik den für Madeira typischen Poncha verkosten, ein süffiges Getränk aus Honig, Zuckerrohrschnaps und Fruchtsaft.

Einen weiteren Höhepunkt bietet der anschließende Tag, der zunächst entlang der Küste bei Calhau auf einem an den Felsen sich anschmiegenden Fischersteig großartige Blicke auf die felsige Landzunge Ponta de Sao Jorge bietet und danach zu dem Aussichtspunkt Vigia führt, von dem aus die gesamte Nordküste Madeiras zu überblicken ist. Faszinierend!



ta 3UrwaldAnschließend begeht man die bereits erwähnte »Levada do Rei« (Königslevada), die neben dem Ribiero Bonito (Schöner Fluss) weit ins Talinnere führt. Je näher man zum Talschluss vordringt, desto üppiger und wilder zeigt sich die regenwaldähnliche Vegetation.

Ein Erlebnis der besonderen Art soll abschließend noch erwähnt werden. Auf Madeira haben sich viele folkloristische Traditionen erhalten. An Fest-und Feiertagen beleben im Hauptort Funchal wie in vielen anderen Orten Folkloregruppen Straßen und Plätze mit Gesang und Tanz.

Wir hatten das Glück, zweimal die sogenannten »Bailinhos do Madeira« erleben zu können, und zwar am Tag vor den Heiligen Drei Königen in Porto da Cruz und anlässlich eines Festes in Santa Cruz. Es handelt sich dabei um Instrumentalmusik, die von sich wie zufällig ergebenden Sprechgesängen begleitet wird. Dabei werfen sich mehrere Vortragende Verse wie Bälle zu.

Das gebannt dem Geschehen folgende einheimische Publikum reagiert mal vergnügt lächelnd bis lachend, mal beifällig nickend und applaudierend. Zum Orchester gehören mehrere Saiteninstrumente, eine oder mehrere Ziehharmonikas, eine kleine Trommel (bombos) und ein Schellenbaum, der mit Trachtenpuppen verziert ist. Der rhythmische Klang des Schellenbaums wird durch Kronkorken und Klötzchen erzeugt, welche an den Puppen befestigt sind.

Für den unvorbereiteten Touristen ist es kaum möglich festzustellen, nach welchem Prinzip der Sprechgesang der Vortragenden einsetzt. In Porto da Cruz zog die Gruppe der Musikanten, eine bunte Schar von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, durch die Straßen des Ortes, machte vor jeder Bar, jedem Restaurant Halt, um dort davor oder drinnen, bei ausreichendem Platz, aufzuspielen. Der Wirt offerierte anschließend blitzschnell hergerichtete Platten mit kleinen Köstlichkeiten und Getränke nach Wunsch.

Bei diesem faszinierenden Auftritt wird die Sprachbarriere besonders deutlich. Alle Einheimischen, die um einen herum stehen, amüsieren sich köstlich während des Sprechgesangs, bei dem offensichtlich Situationskomik und Schlagfertigkeit gefragt sind, wir dabei stehenden Touristen aber verstehen auf gut Deutsch nur »Bahnhof«.

Ist Madeira eine Reise wert? Natürlich! Ist Madeira eine oder vielleicht sogar diese Wanderreise wert? Gewiss doch! Madeira ist eine in vielerlei Hinsicht beeindruckende Insel und die von Eurohike angebotene und bestens organisierte Rundwanderung ist jeder Wanderfreundin, jedem Wanderfreund zu empfehlen.

Vergessen Sie aber nicht, falls Sie sich haben inspirieren lassen, auf die Seite von »atmosfair.de« zu gehen.

Fotos:
Urwald
©Bergith.Heydekamp
Brunnen in Porto da Cruz
©Bergith.Heydekamp
Fischersteig bei Calhau
©Bergith.Heydekamp

Info:
https://www.eurohike.at/de/reiseziele/wanderreisen-portugal/rund-um-madeira-8-tage
Harald Pittracher; Wandern auf Madeira, Dumont aktiv, 2010
Susanne Lipps; Madeira; Dumont, Reise-Taschenbuch, 2011
Oliver Breda; Madeira, Wanderführer mit 37 Touren; Michael Müller Verlag, 2017