Serie: Eine faszinierende Fernwanderung auf der Blumeninsel; Teil 2/3
Thomas Adamczak
Otzberg/Odenwald (Weltexpresso) - Madeira ist eine botanische Schatztruhe. Alle botanischen Hingucker auch nur zu erwähnen würde den Rahmen eines solchen Berichts sprengen. Verwiesen sei deshalb auf das Buch »Madeira: Was hier wächst« (Botanischer Reiseführer mit 166 ausgewählten und typischen Pflanzen auf Madeira) von Susanne Lipps.
Den Ruf als Blumeninsel hat sich Madeira redlich verdient. Sie verdankt ihn der tropischen und subtropischen Flora, die Gärten, Parks, Alleen und Promenaden ziert. Oleander, Agapanthus und Hortensien begegnen einem überall. Neugierig machen eindrucksvolle Namen wie Leberwurstbaum, afrikanischer Tulpenbaum und Judasbaum. Weitere Beispiele gefällig? Bitteschön: Birkenfeige, Stolz von Bolivien, Engelstrompete, Köstlicher Kolbenriese, Königin-Strelitzie (in wirklich jedem Garten zu finden). In den Küstenregionen finden sich u.a. Dattelpalme, Drachenbaum, Madeira-Ölbaum, Tamariske, Wunderbaum, Wilder Fenchel, Aloe Vera.
Im Süden werden die Höhenlagen zwischen 300 und 800 m landwirtschaftlich genutzt, und zwar intensiv. Im Norden in den Höhen zwischen 100 m und 600 m wegen der schroffen Bergwelt deutlich weniger als im Süden. Angebaut werden Getreide, Kartoffeln, Gemüse und Wein, mehrheitlich auf Terrassenfeldern, die bereits die ersten Siedler auf Madeira angelegt und kultiviert haben.
Bewässerungskanäle, die berühmten Levadas auf Madeira, führen von der regenreichen Nordseite mit minimalem Gefälle über weite Strecken bis zu den Plantagen der südlich gelegenen Küstenregionen. Levada kommt von dem portugiesischen Wort levar, was »bringen«, »führen« bedeutet. An den Levadas liegen schmale Wirtschaftswege, die heutzutage beliebte, geradezu ideale Wanderwege sind. Die Levadas spielen mit Ausnahme des letzten Tages, der ausschließlich Funchal vorbehalten ist, auf allen Teilstrecken der Rundwanderung eine wesentliche, den Charakter der Touren prägende Rolle. Sie leiten über Hunderte von Kilometern Quellwasser zu den Terrassenfeldern und Plantagen, trieben früher auch Wassermühlen an und ermöglichen heute Stromerzeugung durch Wasserkraft.
Das Wandern entlang der Levadas ist für jeden Blumen-und Pflanzenfreund ein Hochgenuss. Er entdeckt, wie bereits erwähnt, Zierblumen wie Agapanthus (Orientalische Liebesblume) und Hortensie, in höheren Lagen Wälder mit Eukalyptus und den berühmten Lorbeerwald, 1982 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Die bis dahin gängige Nutzung des Lorbeerbaums für Bau-, Möbel- und Brennholz ist seitdem verboten. Gleichzeitig erklärte das madeirische Parlament sämtliche Zonen oberhalb von 700 m zum Nationalpark, womit das natürliche Erbe dieser Insel vor dem bisher verbreiteten Raubbau geschützt werden soll.
Nach der Entdeckung und Besiedlung Madeiras wurden Nutzpflanzen aus aller Welt nach Madeira importiert, darunter zum Beispiel der australische Eukalyptusbaum, Zuckerrohr und Wein. Als wichtigste Ausfuhrprodukte beanspruchen Wein und Bananen (»Zwergbanane«) die besten Anbauflächen.
Der Eukalyptusbaum wächst überdurchschnittlich schnell und wurde deshalb ab Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf gerodeten Flächen besonders im Süden der Insel angepflanzt. Verheerende Waldbrände an der Levada do Norte oberhalb von Funchal vernichteten 2012/13 und 2016 große Bestände des Eukalyptuswaldes. Dieser Baumtyp brennt lichterloh und zudem behindert er, weil er viel Wasser braucht, die einheimische Vegetation. Dennoch wird aus wirtschaftlichen Überlegungen am Eukalyptus festgehalten. Gegenwärtig sind die Spuren der Brände zwar noch sichtbar, aber durch das schnelle Wachstum deutlich gemildert.
Die Tropenfrüchte Papaya, Avocado, Mango, Baumtomate, Zuckerapfel werden lediglich für den Bedarf auf der Insel angebaut. Sie sind zum Beispiel in der Markthalle in Funchal zu bestaunen. Der Geschmack ist mit den hierzulande im Supermarkt erhältlichen Früchten nicht zu vergleichen. Mangos auf Madeira, um eine Tropenfrucht herauszustellen, schmecken einfach nur köstlich.
Was macht eine solche Fernwanderung eigentlich mit uns? Sie ermöglicht, so viel steht wohl fest, neue Erfahrungen. Die Erde ist eher für unsere Füße geschaffen, schreibt der Soziologe Gustave Le Breton in »Lob des Gehens«, nicht für den Reifen, ohne dass damit die außerordentliche Bedeutung des Reifens für die Entwicklung der Menschheit bezweifelt werden soll. Aber da wir nun einmal einen Körper haben, den wir mit unseren Beinen fortbewegen können, sollten wir ihn auch einsetzen. Dafür sind Wege vonnöten, die Landschaften und insbesondere abgelegen Regionen erschließen, damit sich die Kenntnis der Welt ausbreiten kann.
Füße mögen, würden sie uns flüstern, wenn sie auf unsere Frage antworten könnten, keinen Asphalt, dessen unnachgiebige Härte sie, gelinde gesagt, wenig erfreut. Sie mögen eine durch die Schuhsohle hindurch spürbare natürliche Oberfläche und die bieten Wanderwege in der Regel, sehr wohl auch die auf der Insel Madeira.
Am besten wäre es, wenn der Wanderer seine Sinnesorgane je nach Bedarf schärfen könnte, um die jeweilige Besonderheit der einzelnen Sinneseindrücke noch bewusster wahrzunehmen.
»Diese einzigartigen Gerüche!«
»Riech doch mal!«
»Was für ein Ausblick!«
»Sieh doch nur, schau doch mal!«
»Hast du das gehört?« »Was ist denn das für ein Vogel?«
»Hörst du das Rauschen des Windes, das Rascheln der Blätter?«
»Spürst du, wie zärtlich der Wind dein Gesicht streichelt?«
Stevenson, der ein leidenschaftlicher Wanderer war, beschreibt das Entscheidende des Wanderns folgendermaßen: Wirkliche Wanderer reisen nicht auf der Suche nach malerischen Orten, sondern sind auf der Suche nach bestimmten Stimmungen, in denen wir uns in Einklang mit der uns umgebenden Natur fühlen. Die Schritte des Morgens unterscheiden sich beispielsweise deutlich von den sich nach Ruhe sehnenden Schritten des Abends.
Als Wandernder kann man in den Eukalyptus-und Lorbeerwäldern mit dem ganzen Körper die Atmosphäre mit all den Gerüchen erfassen oder auch die Dichte des urwaldähnlichen Waldes an der Levada do Rei, in dem man die Ausdünstungen der vor Vitalität strotzenden Erde und Bäume regelrecht aufsaugen kann. Dieser Wald lebt, spürt der Wandernde und spürt gleichzeitig voller Dankbarkeit die eigene Lebendigkeit.
»Das Gehen«, schreibt Le Breton, »ist eine vollständig sensorische Erfahrung, die keinen Sinn vernachlässigt, nicht einmal den Geschmack. « Wie köstlich mundet eine Brotzeit während einer Rast nach stundenlangem Gehen? Die Anstrengung der Wandertour verklärt den Geschmack eines belegten Brötchens und lässt den Schluck Wasser aus der Flasche, die dem Rucksack entnommen wird, exquisit schmecken.
Die Rundwanderung auf Madeira wirkt nie monoton, schon gar nicht langweilig, weil die Landschaft ständig neue Überraschungen bietet. Einen Wanderer, der seine Selbstempfindungen zuzulassen vermag, erfreuen diese oder beglücken ihn gar.
Fotos:
Blumenpracht © Bergith.Heydekamp
Levada do Re i© Bergith.Heydekamp
Terrassen © Bergith.Heydekamp
Info:
Harald Pittracher; Wandern auf Madeira, Dumont aktiv, 2010
Susanne Lipps; Madeira, Was hier alles wächst; Oliver Breda Verlag, 2012
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