23 Melusine entdeckt Guillebert de Mets um 1410Serie: DURBACH – JAZZ-FESTIVAL UND DAS HOTEL RITTER, Teil 2/5

Wolfgang Mielke

Durbach (Weltexpresso) - Mann und Weib sind also verschieden. Das ist nichts Neues. Und wo die eine Seite vor allem das gemeinsame Erlebnis sucht, strebt die andere, auch unbewusst, danach, das Gegenüber zur Grundlage zu machen. Schutz und Geborgenheit und sichere Anlaufstelle ...

Die Fabel erhöht die Verschiedenartigkeit zwischen den Geschlechtern noch dadurch, dass die eine Seite halb tierischen oder in Varianten auch halb-göttlichen Ursprungs ist. Immer schiefe Verhältnisse. Vielleicht gibt es gar keine Liebe ohne schiefe Verhältnisse?? Das oft im Dunkel liegende Ziel ... die Selbst-Erkenntnis, der nicht zu entgehen ist ... Ob der Gott, etwa Zeus, sich in ein fremdes Wesen verwandelt, um zu seinem Liebesabenteuer zu kommen, oder ob ein Ritter sich in eine Meerjungfrau verliebt, wie es auch Melusine ist, bleibt sich letztlich gleich; gleich meist auch in Bezug auf das mit der Beziehung automatisch miteingekaufte Tabu.

Denn Melusine ist eine Nixe, eine Meerjungfrau, die aber auch aus dem Süßwasser kommen kann. Sie vermählt sich einem Ritter. Und ihre Bedingung dabei ist, dass er sie jeden Sonnabend freigeben müsse. An jedem Sonnabend (oder süddeutsch Samstag) nimmt sie ein Bad, begibt sich also wieder in das ihr angestammte Element zurück, und auch ihr Fischschwanz ist an diesen Bade-Tagen wieder sichtbar vorhanden.

Die anderen Tage darf er nicht vorhanden sein, denn selbst im Dunkeln ist der Tastsinn nicht aufgehoben. Die physischen Einzelheiten der jeweiligen Verwandlung bleiben in der Sage unerwähnt.  Eine solche schiefe Verbindung nennt man Mahrten-Ehe. Der Ausdruck stammt (wie man nachlesen kann) von dem Germanistik-Professor Friedrich Panzer (1870 – 1956). Grundlage des Begriffs ist das Wort 'Mahr' oder 'Mahrt' (= Albtraum), das wiederum mit 'Mar', 'Mahrte', 'Maere', 'Märchen' in Beziehung stehen kann, also in jedem Fall etwas Wunderbares oder Verwunderliches beschreibt, teils auch etwas Bedrohliches. Im Englischen gibt es das Wort 'nightmare', - 'Nachtmahr' im Deutschen -, was letztlich wieder auf 'Albtraum' hinausläuft, also das Unheimliche betont, das Unberechenbare, auch wohl Unstete, das jedem weiblichen Wesen für einen Mann innewohnt; der unberechenbare Unterleib! Damit verbunden auch die Sorge um Untreue, die sich bis zu Eifersucht und Selbstverzweiflung steigern kann. Natürlich von beiden Seiten aus. Und immer wieder der andere Körper als zusätzlich eigener Besitz, der Körper, der aber einem eigenen Denken, Fühlen, Wollen unterliegt, der lebenslange Versuch der Fesselung, der letztlich immer mißlingt. Letztlich ist #jede# Ehe eine Mahrtenehe ... Das Märchen macht sie nur sinnfälliger.

Der Verdacht der Untreue, der dem Ritter Raimund von seinem Bruder eingeredet wird, sorgt auch dafür, dass er das Tabu seiner geliebten Ehefrau Melusine mißachtet – und sie also mit Fischschwanz ausgestattet im Badehaus entdeckt. - Der Tabu-Bruch beendet – sofort! - oder mit Aufschub! – doch jedenfalls die Verbindung!

Im Französischen findet sich neben 'Melusina' auch die Bezeichnung 'Merlusigna' – als eine Zusammensetzung aus 'Mer' = Mutter und 'Lusigna' = als ein Hinweis auf die Familie Lusignan, die zwar nicht aus Südfrankreich stammt, aber doch immerhin schon aus Mittelfrankreich, nämlich aus dem Poitou. - Der Romanist Professor Jean Firges (1934 – 2014), dessen wissenschaftliche Forschungen nicht nur in dieser Richtung interessant sind, meinte, dass die zweite Worthälfte in 'Melusine' von dem Wort 'lusen' = bretonisch für Schlange, herkomme. - Das würde die geografische Bezugsbreite noch erweitern. - Denn die ersten nachweisbaren Ursprünge der Melusinen-Sage stammen zwar aus dem 12 Jahrhundert; doch im 13./14. Jahrhundert wurde diese Sage erst mit der Familie Lusignan in Verbindung gebracht, die ein Wappen mit einem Schlangenweib geführt haben soll. Ein mythisches Fabelwesen sollte die Herkunft und die daraus abzuleitenden Ansprüche der damaligen Gegenwart dieser Familie begründen oder auch steigern. 

Die Familie Lusignan und damit möglicherweise auch die Melusinensage greift aber noch viel weiter aus - nämlich bis in den Nahen Osten, bis in das Gebiet der Kreuzzüge, und nach Zypern. Guido (oder französisch Guy) de Lusignan gelangte während der 1170er Jahre ins Heilige Land. Anfang der 1180er Jahre wurde Guy de Lusignan König von Jerusalem. Zu seinem Gegenspieler wurde der – nicht zuletzt durch Lessings (1729 – 1781) Theaterstück "Nathan der Weise" (1779) - berühmt gewordene Sultan Saladin (1137/38 – 1193), - hier auf einem Historien-Film-Plakat von 1963. - Ein Großteil der Kreuzzugsfahrer und ihrer Nachkommen war an einem Frieden mit Saladin interessiert, der über den Nahen Osten herrschte. Guy de Lusignan aber wollte davon nichts wissen und provozierte Saladin immer wieder, indem er seine Handelskarawanen überfiel und ausraubte. Die nach dem ersten Kreuzzug (1095-1099) gegründeten Kreuzfahrerstaaten, durchweg entlang dem Mittelmeer, gerieten dadurch in Gefahr. Um die Lage zu wenden, unternahm Guy de Lusignan entgegen allem militärischen Rat mitten im Hochsommer 1187 einen Feldzug gegen das überlegene Heer Saladins – und führte damit in der Schlacht bei Hattin, bei der ihm auf dem Bild symbolisch das Kreuz von Saladin entrissen wird, die entscheidende Niederlage der Kreuzritter herbei, die letztlich in der Folge den Verlust der Kreuzzugsstaaten und die völlige Niederlage der Kreuzritter auslöste.

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Melusine entdeckt Guillebert de Mets um 1410