www.siamsilk.deHistorische Berliner Straßen und Plätze in Steglitz

Harald Lutz

Frankfurt am Main / Berlin (Weltexpresso) – Die Nachfrage bei den Anwohnern ist zunächst ergebnislos, kaum einer weiß mit dem Straßennamen Filandastraße etwas anzufangen. Ein gerade vorbeispazierender Besucher aus Belgien allerdings weiß Bescheid: „Filanda, das sind italienische Garnwinden für die Seidenproduktion.“

heese2Die Wiege der Berliner Seidenproduktion

Der Berliner Fabrikant Johann Adolf Heese (1783 – 1862, rechts im Bild) ) pflanzte im Jahre 1840 an der Schloss-, Ecke Grunewaldstraße auf siebeneinhalb Hektar Maulbeerbäume an. Damit verschaffte sich der clevere Unternehmer Unabhängigkeit und war nicht mehr auf teure Importe angewiesen. Die Blätter der Bäume sind nämlich das Lieblingsfutter der kostbaren Seidenraupen.

Vereinzelt findet man noch ein Gebäude aus dieser Zeit. Auch wenn man es der renovierten Villa an der Filandastraße 33 nicht auf den ersten Blick ansieht: Der Grundstein dieses Zweifamilienhauses wurde im Jahre 1870 gelegt.  In jenen Tagen waren in diesem Steglitzer Viertel bereits ein Großbetrieb mit Plantagen, einer Raupenzucht, Zwirnerei, Kokon-Haspelei und Arbeiterwohnungen aus dem Boden gestampft worden. 550 Kilogramm Seide wurde damals pro Jahr in Steglitz gehaspelt, im naheliegenden Berlin (heute Berlin-Mitte) gefärbt und zu Soffen gewebt. Die kostbaren Tücher gingen in alle Welt. Die Heesesche Plantage war Mitte des 19. Jahrhunderts zum Mekka der preußischen Seidenindustrie avanciert.

Heute zeugen nur noch die Straßen des Viertels, Heese-, Plantagen- und Filandastraße, von diesen glorreichen Tagen. Im Jahre 1899 musste die Seidenproduktion aufgegeben werden. Eine Seuche, über Italien und Frankreich ins Land gekommen, hatte die Seidenraupen dahingerafft.


Alte Bauernfamilie stand Pate für die Steglitzer Suchlandstraße

filanda2Weiter geht es auf unserem kleinen Stadtbummel: Alt und neu müssen nicht immer als Gegensatz empfunden werden. An dem kleinen Berlin-Steglitzer Straßenzug Suchlandstraße zwischen Carmerplatz und Kurze Straße sind verschnörkelte Fassaden alter Mietshäuser, an denen schon kräftig der Zahn der Zeit genagt hat, und praktische Nüchternheit der 1950er Jahre friedlich miteinander vereint.

Von der alten Steglitzer Bauernfamilie Suchland, die seit 1938 der Straße den Namen gibt, fehlt bis auf eine weiße Emailletafel am Straßenschild allerdings jede Spur. Dabei stellte das Geschlecht der Suchlands, das an der Dorfaue jahrhundertelang den kleinsten von insgesamt vier Bauernhöfe beackerte, mit geringen Unterbrechungen mehr als 150 Jahre – bis Anfang des 19. Jahrhunderts – den Dorfschulzen. Den Anfang machte im Jahre 1645 ein gewisser Jürgen Sükelant. Dieser „stramme Junge“wurde am 9. Januar 1628 geboren. So ist es noch heute in den alten vergilbten Seiten des Steglitzer Kirchenbuches nachzulesen.

Sollten die Sükelants mit den Sykelands verwandt gewesen sein, gibt es auch Hinweise auf ihre Herkunft. Ein Kleinbauer namens Sykeland, der als einer der wenigen Steglitzer den Dreißigjährigen Krieg heil überstand, tauscht nämlich 1652 in den Notizen des Landreiters im Kreis Teltow auf. Und die Sykelands stammen nach Informationen des Bezirksamtes Zehlendof-Steglitz aus Rütersdorf bei Berlin. Vor 1938 hieß dieser links und rechts zugeparke Fahrweg, der wohl schon so manchen Anwohner bei der Suche nach einem Stellplatz für seine Blechkarosse zur Verzweiflung getrieben haben dürfte, noch Marksteinstraße.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten in Berlin viele Straßen, die von den Nationalsozialisten umbenannt worden waren, wieder ihre ursprünglichen Namen zurück. Bei Markstein war das nicht möglich. Bekannt ist nur, dass er ein Bauunternehmer war. Auch der Grund, ihn einst mit einem Straßennamen zu ehren, verbleibt vorläufig weiter im Dunkel der Geschichte.


Fotos: 
1.) Foto: In Kokons versponnene Seidenraupen
© Siamsilk
2.) Porträt Johann Adolf Heese
3.) Grafik: Seidenproduktion in Steglitz
©Steglitzer Heimatmuseum

Info:
Von ihm sind zu Berliner Straßen in WELTEXPRESSO erschienen:
https://weltexpresso.de/index.php/unterwegs/21794-perelsplatz-und-birkbuschstrasse_544
https://weltexpresso.de/index.php/unterwegs/21182-am-muehlenberg-und-kolonnenstrasse_544
https://weltexpresso.de/index.php/unterwegs/21086-elssholzstrasse-und-akazienstrasse_544

Autoreninfo: Harald Lutz lebt und arbeitet als Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.