Serie: Reisebuchautor Thomas Bauer fährt per Liegerad durch die Türkei, Teil 1

Thomas Bauer

Unterwegs (Weltexpresso) - ?Gehst du Türkei oder gehst du Aldi?? Die Reaktionen waren gemischt, als ich von meinem Vorhaben erzählte, der türkischen Mittelmeerküste per Liegerad zu folgen. Viele warnten mich: Ich würde unterwegs von Lastwagen in Straßengräben gedrängt, von Hunden zerfetzt, von der PKK in die Luft gesprengt, von Syrern beschossen und mein geklautes Liegerad auf den Basaren suchen.


Da mich Widerspruch aber stets stärker antreibt als jeder gute Ratschlag, stehe ich jetzt im Garten eines Hotels in ?zmir und blicke auf meine Errungenschaft herab: ein windschnittiges ?Trike? der tschechischen Firma AZUB, das mir zwar nur knapp übers Knie reicht, dafür aber stolze zweieinhalb Meter lang ist und aussieht, als habe mein Vorwärtsdrang Gestalt angenommen.

Ohne allzu große Kraftanstrengung schieben meine Beine das Liegerad vorwärts. Alle fünf Minuten überholt mich ein Auto. Sein Fahrer hupt dann, lässt das Fenster herab und fotografiert mich. Bald zieht ein VW-Bus vor mir auf die Standspur. Der Fahrer reißt die Tür auf. ?Allahu akbar!?, ruft er, als er auf den Boden springt, ?Gott ist groß!? Fünf Jahre sei er auf Kreuzfahrtschiffen um die Welt gezogen, vertraut er mir in einem amerikanisch gefärbten Englisch an, ein solches Gefährt aber habe er noch nirgendwo gesehen. Wenig später entfährt ihm ein Satz, der mir fortan als Leitspruch für die Reise dient. Der Fahrer zeigt auf die Berge, die sich mir im Süden halbkreisförmig in den Weg stellen. ?Behind those mountains?, beginnt er, und ich meine den Hauch einer Genugtuung um seine Mundwinkel spielen zu sehen, als er fortfährt, ?there are more mountains?. Hinter diesen Bergen erheben sich also weitere. So sollte es von nun an immer sein.

Sollten Sie je in die Situation geraten, auf einem Liegerad zu fahren, werden Sie sich an Go-Karts auf Jahrmärkten erinnert fühlen. Nur ist alles eben viel bequemer: Ich fläze in einem geflochtenen Netz, Gegenwind kann mir wenig anhaben. Eine Kopfstütze hält meinen Nacken in der Vertikalen. Das ist altersgemäßes Radfahren für erfahrene Reisebuchautoren! Es sei denn, es geht bergauf: Dann lösen sich die Vorteile des Liegerads in Luft auf, und ich kann zusehen, wie der Tachometer einstellige Zahlen zeigt, bis er bei vier Stundenkilometern festgetackert zu sein scheint. Nach dem dritten Anstieg nenne ich mein träges Liegerad daher ?Garfield?.

Nach einer weiteren Bergtour frage ich in Söke einen Verkehrspolizisten nach dem günstigsten Hotel der Stadt. Er werde mir den Weg zum zweitgünstigsten zeigen, bedeutet er mir. Das günstigste sei Deutschen nicht zumutbar. Das zweitgünstigste Hotel von Söke heißt ?Palast von Ephesus? und scheint ungefähr zur selben Zeit wie die antike Stätte erbaut worden zu sein. Leider wurde seither nicht allzu viel investiert. Trotzdem fühle ich mich auf Anhieb pudelwohl. Warum sollte ich die Fenster auch schließen können, wenn es draußen doch warm ist? Was ist eine gemusterte Tapete gegen die Kunstwerke, die der Schimmel in grauschwarzen Farben an die Wände gemalt hat? Und was vermöge mir schon ein Fernsehprogramm zu bieten, verglichen mit den Ereignissen im Zimmer unter mir, die ich durch ein faustgroßes Loch im Boden beobachten kann?

Statt livrierten Bediensteten, die servicebeflissen im Eingangsbereich auf und ab gehen, sitzt auf der untersten Treppenstufe des ?Palasts von Ephesus? ein grauhaariger Mann. Er versteht weder Deutsch noch Englisch, weist aber ein wunderbares Lächeln auf, das seine vier Schneidezähne, die einzigen, die ihm geblieben sind, besonders gut zur Geltung bringt. Fortsetzung folgt.



INFO I:

Thomas Bauers Reisebuch ?Möge Allah dir Flügel verleihen – Per Liegerad durch die Türkei? ist soeben im Drachenmond Verlag erschienen. Weitere Informationen: www.literaturnest.de





INFO II:

Route

Etwa 1.500 Kilometer sind es von ?zmir durch die Ägäis, Lykien, die ?türkische Riviera?, Kilikien, die Çucurova und das Hatay bis nach Antakya.



Liegerad

?Garfield? ist ein knapp 20 kg schweres Tricon-Liegerad aus Aluminium des tschechischen Anbieters AZUB. Mehr Informationen: www.azub.eu



Kosten

in der Nebensaison (der Autor war im November unterwegs) inklusive Flug ca. € 2.000.- für 4 Wochen



Tipps für unterwegs

  • Phaselis: direkt am Meer gelegene Überreste einer antiken Stadt ca. 50 km südwestlich von Antalya, wunderschöner Blick vom Theater auf die umliegenden Berge

  • Anamur: südlichster Punkt der Türkei, langgezogene Sandstrände zwischen dem antiken Anemurion und der Vorzeigeburg Mamure Kalesi

  • Hamam von Antakya: Hier wird Mann für einen überaus fairen Preis ausgiebig geschrubbt, gereinigt und massiert.



Bloß nicht!

  • Reisen im August: In der Hauptsaison sind Temperaturen und Preise deutlich höher als sonst.

  • In ?touristischen Restaurants? essen: Wer Restaurants aufsucht, die mit ?alkoholischen Getränken? werben und blasshäutige Passanten hereinwinken, kann davon ausgehen, das Doppelte bis Dreifache des ansonsten üblichen Preises zu berappen – und der Rak? schmeckt im Einheimischen-Lokal trotzdem besser!

  • Die Gastgeber beleidigen: Witze oder herabsetzende Bemerkungen über die Türkei, insbesondere über die türkische Flagge, sind tabu.