Serie: Reisebuchautor Thomas Bauer fährt per Liegerad durch die Türkei, Teil 2
Thomas Bauer
Unterwegs (Weltexpresso) -- Als ich Anstalten mache, Garfield am Treppengeländer festzubinden, winkt der Alte ab. ?Glaub mir, dein Rad kannst du getrost vor Hotels und Restaurants stehen lassen, ohne es abzuschließen! Wozu sollte das jemand stehlen? Um damit in der Gluthitze herumzufahren? Nein, mein Freund?, schließt er, ?so was machen doch nur Deutsche!?
Das Genie von Milas
Der Muezzin entdeckt die Sonne im Osten und ruft zum Gebet, als ich weiterfahre. Gegen Mittag verwandeln sich die Mittel- und Seitenlinie der Nationalstraße in die glühenden Fäden eines Toasters. Beidseitig werde ich gebraten: von der Sonne über mir und dem glühend heißen Asphalt unter mir. In Milas beginnt Garfields Lenker unvermittelt zu wackeln. Im nächsten Augenblick fällt er scheppernd zu Boden. Die ihn haltende Schraube ist in zwei Teile zerbrochen. So komme ich nicht weiter. Ich trete in das erstbeste Hotel der Stadt und wende mich an den adretten jungen Mann an der Rezeption. Noch bevor ich ein Wort sagen kann, wird mir klar, dass der Rezeptionist meine Situation schon erfasst hat. ?Komm mit mir?, sagt er.
Fünfzehn Minuten fahren wir auf seinem Moped kreuz und quer durch Milas, noch immer trage ich die Einzelteile meines Lenkers in den Händen. In einer heruntergekommenen Garage sägt, schleift und lötet der Rezeptionist eine halbe Stunde lang an der Schraube herum. Dann fährt er mich zurück zum Hotel. Für die Arbeit samt Anfahrt bezahle ich umgerechnet zwei Euro. Von hier an sollte ich nie wieder Probleme mit Garfields Lenker haben.
Mit der Reiseroute hingegen schon: Hinter Ka? erhebt sich die Straße dermaßen steil, dass ich am Hang klebenbleibe, als habe sich unter mir ein Laufband in die entgegengesetzte Richtung meines Fahrtziels in Bewegung gesetzt. Die Erde schwitzt aus allen Poren, von überall her riecht es nach Nässe. Die Wolken werfen sich schwarze Mäntel über und weinen sich an den Bergen aus, die ich gemeinsam mit Garfield erklimme. Im Nu bin ich bis auf die Unterhose nass. Schemenhaft erkenne ich Felswände, unscharf zeichnen sich die Spitzen des taurischen Gebirges gegen den Himmel ab, ein helleres Grau vor einem dunkleren. Es geht noch immer bergauf; zwanzig, dreißig Kilometer weit. Sechseinhalb Stunden lang keuche ich wie ein Besessener.
Das Sonntagsradeln von ?zmir ist vorbei. Das hier ist der Montagmorgen nach der Party. Doch plötzlich kippt die Straße vor mir ins Bodenlose. Ich lasse ich mich den Berg hinabfallen, der Stadt Demre entgegen. Dort gelange ich zur schokoladenbraunen Statue eines beleibten Mannes mit Rauschebart. Tatsächlich ist der Nikolauskult auf den Bischof von Demre, dem damaligen Myra, zurückzuführen – auch wenn nicht gesichert ist, dass er wirklich junge Frauen vor der Prostitution bewahrte, indem er Goldklumpen durch den Kamin in die darin zum Trocknen aufgehängten Socken warf. Mir jedenfalls gibt er die Kraft, die vor mir liegende Wegstrecke zu meistern. Und die hat es in sich.
Unterstützt von Milliardenkrediten der Weltbank begann man in den Neunzigerjahren, den Küstenstreifen um Antalya herum nachhaltig zu verändern. Wo einst gewachsene Dorfgemeinschaften vorherrschten, verfrachtet man heutzutage Schnäppchenjäger in gigantische Hotelkomplexe, die wie vom Himmel gefallen in der Landschaft stehen. Zentrum dieses Wahnsinns ist die Stadt, auf die ich in einer langgezogenen Linkskurve einen ersten Blick erhasche. Mein Gott! Fortsetzung folgt.
INFO I:
Thomas Bauers Reisebuch ?Möge Allah dir Flügel verleihen – Per Liegerad durch die Türkei? ist soeben im Drachenmond Verlag erschienen. Weitere Informationen: www.literaturnest.de
INFO II:
Route
Etwa 1.500 Kilometer sind es von ?zmir durch die Ägäis, Lykien, die ?türkische Riviera?, Kilikien, die Çucurova und das Hatay bis nach Antakya.
Liegerad
?Garfield? ist ein knapp 20 kg schweres Tricon-Liegerad aus Aluminium des tschechischen Anbieters AZUB. Mehr Informationen: www.azub.eu
Kosten
in der Nebensaison (der Autor war im November unterwegs) inklusive Flug ca. € 2.000.- für 4 Wochen
Tipps für unterwegs
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Phaselis: direkt am Meer gelegene Überreste einer antiken Stadt ca. 50 km südwestlich von Antalya, wunderschöner Blick vom Theater auf die umliegenden Berge
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Anamur: südlichster Punkt der Türkei, langgezogene Sandstrände zwischen dem antiken Anemurion und der Vorzeigeburg Mamure Kalesi
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Hamam von Antakya: Hier wird Mann für einen überaus fairen Preis ausgiebig geschrubbt, gereinigt und massiert.
Bloß nicht!
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Reisen im August: In der Hauptsaison sind Temperaturen und Preise deutlich höher als sonst.
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In ?touristischen Restaurants? essen: Wer Restaurants aufsucht, die mit ?alkoholischen Getränken? werben und blasshäutige Passanten hereinwinken, kann davon ausgehen, das Doppelte bis Dreifache des ansonsten üblichen Preises zu berappen – und der Rak? schmeckt im Einheimischen-Lokal trotzdem besser!
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Die Gastgeber beleidigen: Witze oder herabsetzende Bemerkungen über die Türkei, insbesondere über die türkische Flagge, sind tabu.