Serie: Reisebuchautor Thomas Bauer fährt per Liegerad durch die Türkei, Teil 3
Thomas Bauer
Unterwegs (Weltexpresso) - Antalyas Häuser ziehen sich bis zum Horizont entlang einer kilometerlangen Bucht. Im Stadtzentrum summen Mopeds wie ein Wespenschwarm. Autofahrer rufen mir Unverständliches zu, Fußgänger hechten auf die Straße. Ich muss jederzeit aufpassen wie ein Schießhund. Genauso sollte es mir mit dem Rest des A-Teams gehen, das sich an der türkischen Mittelmeerküste aufreiht: Auch in Alanya, Anamur und Adana lege ich mehr als nur eine Vollbremsung hin.
?Möge Allah dir Flügel verleihen!?
Einmal mehr brausen Jugendliche auf Motorrädern heran. ?Facebook, Facebook?, rufen sie frenetisch und richten ihre Mobiltelefone auf mich. Wahrscheinlich bin ich im türkischen Internet bereits eine Berühmtheit. Um dem Trubel zu entfliehen, biege ich zur Ovac?k-Bucht ab, einem versteckten Fleckchen mit genau einer geöffneten Pension. Dort treffe ich auf Mustafa. Zweieinhalb Jahre hat er in den Vereinigten Staaten Autos konzipiert, danach in Hamburg ein Logistikunternehmen aufgebaut. Jetzt genießt er seinen Lebensabend, blinzelt in die Sonne und streicht sich bisweilen über seinen stattlichen Bauch. Bis tief in die Nacht unterhalten wir uns bei einem wunderbaren Abendessen. Als ich Garfield tags darauf startklar mache, ruft Mustafa mir anfeuernd hinterher: ?Möge Allah dir Flügel verleihen!? Damit kann nichts mehr schiefgehen.
Das heißt, fast nichts. Eine letzte Herausforderung muss ich noch meistern – die größte von allen.
?Dreieinhalb Kilogramm, effendi. Ihr Paket ist dreieinhalb Kilogramm zu schwer.?
Der Postangestellte lässt nicht mit sich verhandeln. Also ritze ich den sorgfältig gepackten Karton wieder auf und hole Garfields Hinterrad, die Pedale und eine Satteltasche heraus. Im Laden eines Freundes des Cousins des Postbeamten packe ich die restlichen Teile in einen zweiten Karton und trotte zur Postfiliale von Antakya zurück.
?Wo soll das alles denn jetzt hingeschickt werden, effendi??
?Nach Tschechien.?
?Ein solches Land gibt es nicht. Liegt dieses Tschechien vielleicht in Deutschland??
So komme ich nicht weiter. Ich versuche, das Zielgebiet einzukreisen und verlange Papier und Stift. ?Also, hier ist Europa, in Ordnung? Dann haben wir hier Ungarn. Nordwestlich davon ist Polen. Und dazwischen liegt …?
?Çek Cumhuriyeti?
Endlich ist der Groschen gefallen.
?Oh ja, dorthin kehrt Garfield jetzt zurück!?
?Wer??
?Nicht wichtig. Bitte schicken Sie einfach die beiden Pakete dorthin.?
Wehmütig blicke ich Garfield hinterher, als er ein Etikett auf seine Kartons geklebt bekommt und anschließend in den Frachtraum des Postamts gebracht wird. Er wird schon wohlbehalten in Tschechien ankommen, in?allah. Einmal mehr ist unterwegs alles gut gegangen. Mehr noch: Ich habe mich täglich von einer Welle der Gastfreundschaft getragen gefühlt, bin mit Obst, Tee und Anfeuerungen bedacht worden und wusste, dass ich, wenn es darauf ankäme, jederzeit auf die türkische Hilfsbereitschaft zählen konnte. Die ?Marktschreier der Angst? haben Unrecht behalten. Reisen, das wusste bereits Mark Twain, ist eben tödlich für Vorurteile.
INFO I:
Thomas Bauers Reisebuch ?Möge Allah dir Flügel verleihen – Per Liegerad durch die Türkei? ist soeben im Drachenmond Verlag erschienen. Weitere Informationen: www.literaturnest.de
INFO II:
Route
Etwa 1.500 Kilometer sind es von ?zmir durch die Ägäis, Lykien, die ?türkische Riviera?, Kilikien, die Çucurova und das Hatay bis nach Antakya.
Liegerad
?Garfield? ist ein knapp 20 kg schweres Tricon-Liegerad aus Aluminium des tschechischen Anbieters AZUB. Mehr Informationen: www.azub.eu
Kosten
in der Nebensaison (der Autor war im November unterwegs) inklusive Flug ca. € 2.000.- für 4 Wochen
Tipps für unterwegs
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Phaselis: direkt am Meer gelegene Überreste einer antiken Stadt ca. 50 km südwestlich von Antalya, wunderschöner Blick vom Theater auf die umliegenden Berge
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Anamur: südlichster Punkt der Türkei, langgezogene Sandstrände zwischen dem antiken Anemurion und der Vorzeigeburg Mamure Kalesi
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Hamam von Antakya: Hier wird Mann für einen überaus fairen Preis ausgiebig geschrubbt, gereinigt und massiert.
Bloß nicht!
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Reisen im August: In der Hauptsaison sind Temperaturen und Preise deutlich höher als sonst.
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In ?touristischen Restaurants? essen: Wer Restaurants aufsucht, die mit ?alkoholischen Getränken? werben und blasshäutige Passanten hereinwinken, kann davon ausgehen, das Doppelte bis Dreifache des ansonsten üblichen Preises zu berappen – und der Rak? schmeckt im Einheimischen-Lokal trotzdem besser!
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Die Gastgeber beleidigen: Witze oder herabsetzende Bemerkungen über die Türkei, insbesondere über die türkische Flagge, sind tabu.