Serie, Teil 3, WOANDERS GELESEN, hier Hessische Lehrerzeitung (HLZ) 7/8 2014: LERNORT MUSEUM

 

Martina Spies-Gehrig

 

Neu-Anspach im Taunus (Weltexpresso) – Das Freilichtmuseum Hessenpark bietet mit seiner Darstellung der ländlichen Kultur vergangener Zeiten vielfältige thematische Anknüpfungspunkte für den Besuch von Schulklassen. Das reicht von den Tieren auf dem Bauernhof über ländliches Arbeiten und altes Handwerk, den Fachwerk- und Lehmbau bis zu den Frauen auf dem Land.

 

Ein Ausflug kann aber auch ohne spezielle Lehrplananbindung eine spannende Sache werden. Das Motto heißt: Lernen mit allen Sinnen schafft Zugänge zur Geschichte.  Für Kinder gibt es viel Neues, nämlich Altes zu entdecken, was mittlerweile auch die Großeltern nicht mehr aus eigenem Erleben kennen. Kinder erhalten hier Antworten auf grundlegende Fragen: Wie wird Butter gemacht? Wo kommt das Stroh eigentlich her? Aus welchen Stoffen ist unsere Kleidung hergestellt?

 

Im Museum können wir fächerübergreifend und projektorientiert arbeiten, spezielle Themen vertiefen und verschiedene Methoden anwenden. Unsere Projekte ermöglichen den Schülerinnen und Schüler nicht nur eigene Erfahrungen mit Objekten, Materialien und Arbeitstechniken, sondern auch den Zugang zu früher verbreiteten Verhaltensweisen. Dieser Ansatz appelliert gleichzeitig an Kopf, Hand und Herz. Einerseits wird das Geschichtsbewusstsein gefördert, andererseits das soziale Lernen in Gruppenarbeit. Selbstverständlich wirkt der Besuch im Museum besonders nachhaltig, wenn sich die Gruppe inhaltlich vorbereitet und die gewonnenen Erfahrungen hinterher im Unterricht noch vertieft.

Museumspädagogik arbeitet zielgruppenorientiert und entwickelt für jede Altersgruppe passende Programme. Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Museumsbesuch zu gestalten. Die Lehrkräfte können eine Führung buchen oder mit Schülerarbeitsbögen, die wir im Internet zur Verfügung stellen, den Museumsbesuch selbst anleiten. Die Erfahrungen wirken am nachhaltigsten, wenn die Schülerinnen und Schüler an einem Projekt teilnehmen und sich so handlungsorientiert intensiver mit einem Thema beschäftigen.



Zum Beispiel: Bauen mit Lehm

Das Projekt „Lehmbau“ beginnt immer mit einem Rundgang. In diesem Fall sehen die Kinder verschiedene Fachwerkhäuser und erfahren, aus welchen Materialien sie gebaut wurden und wo diese Materialien herkamen. In der Regel verwendete man Baustoffe, die in der unmittelbaren Umgebung vorhanden waren. Wichtig ist auch, wer welche Arbeiten beim Hausbau verrichtete. Natürlich sollen die Schülerinnen und Schüler auch das Innere eines Bauernhauses kennen lernen.

Der praktische Teil erfolgt in Gruppenarbeit. Hier sind Lehm, Sand, Stroh und Wasser im richtigen Verhältnis anzumischen, und zwar mit den Füßen. Das kostet manche Kinder einige Überwindung. Ganz Unerschrockene fragen auch schon mal nach dem Kuhmist, der eigentlich in die Mischung gehört. Schließlich erhöht er die Bindekraft und verhindert die Schimmelbildung. Eine zweite Gruppe hat die Aufgabe, die bereits mit Staken versehenen Gefache mit Weidenruten auszuflechten. Wenn alle sich in den verschiedenen Arbeitsgängen versucht haben und der Lehm gut genug vermischt ist, strebt das Projekt seinem Höhepunkt entgegen: Jeder darf eine Handvoll Lehm ins Gefach einschlagen (nicht werfen!), eindrücken und fast durchdrücken. Jetzt heißt es aufpassen, denn der Lehm ist von zwei Seiten von unten nach oben aufzubringen.

Die Kinder haben oft so großen Spaß, dass der Lehm dann doch durch das Flechtwerk fliegt. Bevor das Projekt in blindem Aktionismus endet, wird es Zeit für die Abschlussrunde. Wir sprechen über die Vor- und Nachteile des Bauens mit Lehm, über Kosten, Energieverbrauch und die Wohnatmosphäre. Die Kinder machen die Erfahrung, dass für den Lehmbau viele Hände nötig sind. Man war früher – nicht nur beim Hausbau – auf die Dorfnachbarn angewiesen. Der Lehmbau vermittelt den Kindern außerdem viele andere erlebenswerte Erfahrungen: das Bauen mit eigenen Händen, die Formbarkeit des Lehms, den „Kontakt zur Erde“ und die Erkenntnis, dass der Lehm gar nicht so schwer zu verarbeiten ist, wenn man das Rezept kennt. Auch der individuellen Gestaltung mit Initialen oder Datum sind keine Grenzen gesetzt.



Abrufangebote und Projektwochen

Neben den Abrufangeboten soll Raum bleiben für Anfragen nach besonderen Themen, beispielsweise in Projektwochen. So hatten wir schon Schülergruppen, die sich mit der Problematik der Geschlechterverhältnisse auseinandergesetzt hatten und mit folgenden Fragen an das Museum herantraten: War die Kindererziehung Frauensache? Mussten die Frauen wegen der Kinder zu Hause bleiben? Haben Männer früher im Haushalt mitgeholfen? Waren die Frauen nur im Haushalt tätig? Wer war früher religiöser: Männer oder Frauen? Gab es früher bestimmte Arbeiten für Frauen? Wie kam es, dass der Mann arbeiten ging und die Frau zu Hause blieb? Zunächst scheint es schwierig zu sein, in einem Freilichtmuseum Antworten auf diese Fragen zu finden. Doch da ich mir ähnliche Fragen bereits gestellt und erforscht hatte (1), freute ich mich über die ungewöhnliche Anfrage. Der Rundgang für die interessierten Schüler thematisierte die Arbeit und Stellung von Frauen, das Geschlechterverhältnis sowie Lebensgeschichten ehemaliger Hausbewohnerinnen. Fortsetzung folgt.



Anmerkung:

(1) Martina Spies, „…Und Seine Eliche haus frau“. Ein Beitrag zur Geschichte von Frauen auf dem Land, Neu-Anspach 2000 (kleine reihe Museumspädagogik Heft 7).



INFO I:

Alle Informationen über Öffnungszeiten, Eintrittspreise und das gesamte Bildungsangebot findet man unter www.hessenpark.de



Hintergrundinfo:

Die Autorin Dr. Martina Spies-Gehrig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Museumspädagogik & Museumstheater des Freilichtmuseums Hessenpark in Neu-Anspach im Taunus.

 

 

INFO II:

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der HLZ aus HLZ 7/8 Seite 10/11