Begegnungen auf dem Kammweg vom Erzgebirge nach Thüringen, Teil 2

 

Thomas Adamczak

 

Erfurt (Weltexpresso) - Grob geschätzt bleibe ich auf dieser Fernwanderung vor 200 bis 250 Informationstafeln stehen, lese sie mehr oder weniger aufmerksam, mache mir bei einigen Notizen. Am Tag zwischen 14 und 20 Tafeln! Ne ganze Menge. Zu viele? Na, aufpassen müssen sie schon, die Organisatoren von solchen Fernwanderungen, dass dem harmlosen Wanderer nicht zu viel vorgegoogelt wird.

 

Jede Informationstafel ist für sich genommen durchaus lesenswert, aber was zu viel ist, ist zu viel. Schließlich droht dem Wanderer am Ende der Wanderung keine Prüfung: Motto: „Was haben Sie unterwegs gelernt? Wir testen nicht nur Ihre Lesekompetenz, sondern auch, was Sie behalten haben? Zielsetzung: Deutschland soll schlauer werden.“

 

Witzig das Schild, das sich an „Entschilderer“ wendet: „Liebe Entschilderer, bitte gebt Bescheid, wenn ihr auch diesen Hinweis wieder abgerissen habt. Danke.“

 

Auf dem Teilstück der Wanderung vom Hirtstein zum Bärenstein stoße ich im Wald auf ein Schild mit dem Namen „Christian Langer“, der an dieser Stelle im Jahre 1700 bei Waldarbeiten verunglückte. Im Totenbuch von Kühnheide steht: im Dezember „in dem Wald, da er eine Buche wollte umhauen, von einem argen Püchel … am Kopfe getroffen, dergestalt, dass er …drei Stunden darauf verschieden.“ Auf einer weiteren Tafel, allerdings ein paar Wandertage danach, wird Johann Gottlieb Reuschels gedacht. Im Kirchenbuch von Schwand ist vermerkt, dass J. G. Reuschel am 23.3.1869 verstarb: „Schädelbruch infolge Scheuwerdens seines Gespannes in der Nähe der Kienmühle“. Und weiter: Reuschel sei ein „begüterter Einwohner“ gewesen, habe 4 verheiratete, 2 unverheiratete Söhne, eine unverheiratete Tochter und die trauernde Witwe zurück gelassen.

 

Oder, ungleich wichtiger natürlich, die vielen Tafeln, die auf die ehemalige Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik verweisen.

 

Dieser Grenze verdanken wir das Grüne Band. 3 % des ehemaligen Grenzstreifens zwischen beiden deutschen Ländern liegen in Sachsen. Das sind 42 km von 1378 km Gesamtlänge.

 

Schon einen Monat nach Öffnung der Grenze trafen sich 406 Naturschützer aus Ost und West, um ein grenzübergreifendes Naturschutzabkommen vorzubereiten. Diese Leute verdienen das Bundesverdienstkreuz oder ne vergleichbare Auszeichnung, rufe ich aus, als ich das lese. Und bin zeitweise auf dem „Kammweg“ so euphorisch, dass ich die Organisatoren dieses Kammweges am liebsten auch dafür vorschlagen würde.

 

Stichwort Euphorie beim Wandern. Wenn alles passt, das Wetter, die Tagesform, die Einzigartigkeit der Landschaft, die Faszination durch die Pflanzenwelt, z.B. als ich Pfaffenhütchen entdecke, und wirkliche Begegnungen mit Menschen, dann, siehe oben!

 

So ein Anflug von Euphorie verschwindet von ganz allein, als die Route für etliche Kilometer auf dem „Kolonnenweg“ weiter führt. Die Kolonnenwege wurden entlang der DDR-Grenze angelegt, um von Militärfahrzeugen aus die Grenzanlagen kontrollieren und überwachen zu können. Auf diesen Wegen liegen Betonplatten, die eingestanzte Löcher enthalten. Das zwischen den Betonplatten sprießende Gras gibt sich alle erdenkliche Mühe, den Beton zu überwuchern. Noch vergebens, was das Laufen auf diesen Kolonnenwegen beschwerlich macht.

 

Welch Unterschied zum Waldboden! Jeder Schritt erinnert eindrücklich daran, wofür diese Betonplatten verlegt wurden. Ein im Sinne des Wortes geschichtsträchtiger Weg. Die Härte des Bodens weckt Assoziationen an schwere Zeiten der jüngsten Vergangenheit.

 

Ich notiere mir bei einer Informationstafel die „Maßnahmen“, die ergriffen wurden, um die innerdeutsche Grenze zu „sichern“, wie es hieß: „Signalzaunstreifen, Kolonnenweg, Spurensicherungsstreifen, , KFZ-Sperrgraben, Streckmetallzaun, Minenstreifen“. Und dazu noch 600 Wachtürme, 1000 Erdbunker, 95 Lichtsperren, und jede Menge Selbstschussanlagen entlang der gesamten Grenze.

 

Das ernüchternde Realitätsprizip dominiert vollends, als ich Mödlareuth erreiche, von den Amerikanern „Little Berlin“ genannt. Mödlareuth, ein 50-Einwohnerdorf, berühmt und berüchtigt als Symbol der deutschen Trennung, wurde 1966 mit einer 3.40 Meter hohen Betonmauer zweigeteilt: Das thüringische Mödlareuth-Ost gehörte zum Territorium der DDR, das bayrische Mödlareuth-West zur Bundesrepublik. Im Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth sehe ich einen Film zur Geschichte des Ortes. Heute erinnern Museum und Gedenkstätte an die Geschichte der deutschen Teilung. In der Ausstellung „Erinnerung als Auftrag“ wird des DDR-Volksaufstandes vom 16. Juni 1953 gedacht.

 

An der ehemaligen innerdeutschen Grenze und in Mödlareuth trifft der Wanderer auf die großen Linien der Geschichte. Es gibt aber auch genügend Beispiele für folgenreiche Ereignisse der Lokalgeschichte. Beispiele sind das Städtchen Preßnitz und der Ort Ramoldsreuth, die beide Stauseen weichen mussten.

 

An Ramoldsreuth erinnert gerade mal ein Schild „Abbruch 1967“. Die Reste verschwanden im Stausee Dröda. Zu Preßnitz entdecke ich in der „Hirtsteinbaude“ (Baujahr 1927) den faszinierenden Bildband „Preßnitz, versunken, aber nicht vergessen“, der die alltägliche Lebendigkeit dieses sudentendeutschen Städtchens an der ehemaligen sächsisch-böhmischen, heute deutsch-tschechischen Grenze in Bild und Text zeigt. Die deutsche Bevölkerung wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ausgewiesen. Danach zerfiel die Stadt, bevor sie 1973 endgültig in der Talsperre Preßnitz verschwand.

 

Der Kammweg führt bei 289 km Länge zu drei Viertel durch den Naturpark Erzgebirge-Vogtland. 183 km des Kammwegs gehören zum Erzgebirge , 80 km zum Vogtland und 26 km zu Thüringen. Der Kammweg existiert seit Main 2011 und zählt seit Juni 2011 „zu den besten Weitwanderwegen Deutschlands“. Die Mitgliedschaft in den „Top Trials of Germany“ unterstreicht das. Hoffentlich finden sich etliche Wanderer, die sich von der Berechtigung dieser Behauptung überzeugen wollen. Fortsetzung folgt.