Serie: 900-Jahr-Jubiläum 2014 Stift Klosterneuburg vor den Toren Wiens, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Wien (Weltexpresso) – Wir sagen immer lieber Klosterneuburger Altar, weil außerhalb der Kunstgeschichte der Begriff 'Verdun' eher mit der lothringischen Stadt verbunden wird, deren Felder im Ersten Weltkrieg zu Schlachtfeldern geworden waren, in denen die Soldaten ausbluteten. Dabei hat der Schöpfers des Altars von 1181, Nikolaus von Verdun, dem Altar seinen Namen gegeben. Dies ist völlig unüblich für eine Zeit, als Gotteswerke noch anonym geschaffen wurden, denn sie galten als Handwerk, nicht als individuelle Kunst.

 

Nikolaus von Verdun kam tatsächlich aus dem lothringischen Verdun, denn die mittelalterlichen Künstler waren problemlos in ganz Europa unterwegs, wobei der Zug von Westen nach Osten ging, denn die neue Kunst, die Gotik, einst als urdeutsch bezeichnet, hatte sich im Westen entwickelt. Nikolaus von Verdun ist übrigens auch der Schöpfer des Dreikönigsschreins im Kölner Dom, dort so zugehörig, wie sein Altar in Klosterneuburg. Man weiß heute, daß es sich bei den vielen Emailtafeln ursprünglich um keinen Altar, sondern wohl um die Verkleidung der Kanzel in der noch romanischen Stiftskirche von Klosterneuburg handelte.

 

Email war seit dem Jahr 1000 ein bevorzugter Arbeitsstoff der Goldschmiede, die in Mitteleuropa nachbildeten, was ihnen die byzantinische Kunst vorgemacht hatte, wofür die von den Venezianern 1204 aus Byzanz geraubte Pala d'Oro ein Paradebeispiel ist, die allerdings in Venedig neu zusammengesetzt wurde.. Das Schmelzverfahren auf jeden Fall trat einen Siegeszug an, war aber auf wenige hochspezialisierte Künstler beschränkt. Eine solche Ausnahme war Nikolaus von Verdun, denn man muß sich eine Tafel von der Nähe ansehen, um wirklich zu begreifen, welche Kunstfertigkeit ihre Hervorbringung bedeutet. Hier ging es von Anfang an auch um Masse, denn rund zehn Jahre (1171-1181) lang wurden die insgesamt 45 Emailtafeln, die aus feuervergoldeten Kupferplatten mit Grubenschmelz gearbeitet wurden, auf Holzträger befestigt.

 

Das, was sie darstellen, war nun vorgeschriebene Auftragsarbeit für den Künstler, denn sie folgen einem strengen theologischen Programm. Heute geht man davon aus, daß die Tafeln laut Widmungsinschrift zwar von Propst Wernher (1168-1185) in Auftrag gegeben wurden, aber inhaltlich auf seinem Vorgänger beruhen, der sich mit Kirchenreformern beschäftigt hatte. Denn die Tafeln sollen die Abhängigkeit des Neuen Testaments vom Alten versinnbildlichen. Konkreter ausgedrückt sollen sie sinnlich in Szenen aufzeigen, wie außerordentlich unser Verständnis des Neuen Testaments vom Wissen um das Alte Testament bestimmt ist. Die Einteilung der Heilsgeschichte in drei Zeitalter folgt dabei gängigen Mustern, die lauten: ante legem-sub lege- sub gratia. Vor dem Gesetz besagt vor der Übergabe der 10 Gebote an Moses; unter dem Gesetz ist die Zeit danach; unter der Gnade Gottes befinden sich die Menschen seit dem Wirken Christi.

 

Die 45 Tafeln wurden erst 1330/31 zum heutigen Altar zusammengesetzt, wobei sechs Tafeln neu im Stil der anderen gefertigt wurden, damit ein Flügelaltar von 51 Tafeln entstand, dessen Rückseite mit Malerei verziert ist. Entscheidend ist erst einmal der Gesamteindruck des Verduner Altars in der Leopoldskapelle im Stift. Das Material sieht so kostbar aus, wie es ist und das Email schimmert und glänzt, wobei sowohl die Farben einen anstrahlen, das kostbare Blau ist allgegenwärtig, aber dennoch vom allgegenwärtigen Gold überstrahlt werden. Für den Besucher, das ist ganz klar, ist das Entscheidende die ästhetische Wirkung, die das Gesamtgefüge erzeugt, denn der sakralen Empfindung, die der Altar ausstrahlt, kann man sich kaum entziehen. Muß man ja auch nicht, sollte man auf jeden Fall nicht.

 

Dennoch ist das eigentliche Geheimnis, diesen Altar auch buchstäblich über seine Bilder lesen zu können. Das aber erfordert das Wissen um die biblische Geschichte, damit man die Tafeln einander zuordnen kann. Dabei ist grundsätzlich in Reihen und Spalten zu denken. Die obere Reihe zeigt Szenen des Alten Testaments bis zur Gesetzgebung durch Moses, die unterste aus der Zeit danach. Die mittlere Reihe besteht nun aus inhaltlichen Szenen aus dem Leben Jesu und bei diesen muß man beim Sichten und Verstehen ansetzen. Denn die Zuordnung der oberen und unteren Tafeln auf die mittlere, unterliegt dem, was man als Typologie bezeichnet, was bedeutet, daß eine Szene von Jesu Christ ihre Entsprechung in der Zeit ante legem, bzw. sub lege hat. Man wendet dafür auch die Bezeichnung Vorläufer an.

 

Die Verkündigung Christi als erste christliche Szene in der Mitte, hat also die Verkündigung Isaaks über sich und die Verkündigung Samsons unter sich. Von oben nach unten gelesen, bilden diese drei Tafeln die erste Spalte. So kann man also einmal horizontal die Geschichte in Fortsetzungen erkennen, aber die eigentliche Aussage findet vertikal statt. Das muß man ausdrücklich sagen, denn unser Leseverhalten ist durch die sonst vorhandenen Zeilen von links nach rechts gelenkt. Hier sollten wir aber von oben nach unten schauen, um den Sinn des Vergleichs zu erkennen. Versteht man das Prinzip, macht es geradezu Vergnügen, die Typologien zu entschlüsseln, wie die Taufe Christi ihren Vorläufer im Durchzug durch das Rote Meer hat oder nach der Übergabe der 10 Gebote das Eherne Meer.

 

Nicht alles ist uns so gegenwärtig wie die Kreuzigung Christi mit der Opferung Isaaks und dem Kundschafter mit der Traube. Schwierig zum Beispiel die Grablegung Christi schon vorhergedacht im Joseph im Brunnen und später im Vorläufer Jonas im Bauch des Wals.

Nein, wir können nicht alle Spalten so durchgehen, wollen nur das Interesse, ja die Lust daran wecken. Was dennoch bei Worten immer zu kurz kommt, ist der Kunsteindruck, den der Altar bietet, wobei wir uns jetzt auf die einzelnen Tafeln beziehen. Denn schaut man sie sich genau an, dann erkennt auch das heutige Auge nach und nach, worin sie sich von ihren byzantinischen Vorbildern unterscheiden.

 

Diese bleiben immer einer gewissen Flächigkeit verbunden, in der die Linie ausschlaggebend für den Gesamteindruck ist. Das, worin hier der Meister von Verdun anders verfährt, ist sozusagen das, was Giotto in die Freskenmalerei einführte, eine gewisse Körperlichkeit, ein Volumen der Figuren, was eindeutig in die Antike weist, denkt man beispielsweise an die antiken Sarkophage oder auch an den Pergamon Altar. Was hinzukommt ist die den byzantinischen Vorbildern fehlende Emotionalität, die auch die europäische Romanik nicht andeutet. Hier jedoch glaubt man, den Figuren ihre Gefühle ansehen zu können.

 

Das alles bedeutet, daß Sie so dicht wie es nur geht, an den Altar herantreten sollten, wenn Sie sich wieder einmal mit dem Alten und dem Neuen Testament beschäftigen. Wer gläubig ist, dem wird dies sowieso naheliegen. Aber dieser Altar stellt kein Glaubenswerk dar, auch, wenn er gegen Bezahlung zur Ehre Gottes gefertigt wurde . Für unsere säkulare Welt ist der Verduner Altar ein ideales Beispiel für das Erfassen der Komplexität, der biblischen Geschichte, die man an seinen Tafeln auf einfache Weise nachvollziehen kann.

 

Völlig ungerecht, daß wir von der gotischen Tafelmalerei auf der Rückseite nicht weiter berichteten, denn diese gehört mit dem Datum von 1330 zu den frühesten Beispielen von Tafelmalerei (im Gegensatz zum Fresko) nördlich der Alpen und zeigt mit dem Marientod, der Koimesis der byzantinischen Ostkirche, ein im Westen weniger geläufigeres Motiv, das aber bis heute an den Ausgangsseiten, der Westseite der byzantinischen Basiliken gemalt ist, weil Maria diejenige Figur ist, deren Hilfe die Menschen beim Übergang von der irdischen in die himmlische Welt besonders bedürfen. Ach, wenn man erst anfängt, unsere Welt mit den christlichen Symbolen anzuschauen, gehen einem die Augen über. Fortsetzung folgt.

 

INFO:

 

Allgemeines:
Das Stift Klosterneuburg wurde 1114 gegründet und 1133 den Augustiner Chorherren übergeben, um ein religiöses, soziales und kulturelles Zentrum zu bilden. Das Stift ist heute ein wichtiges kulturtouristisches Ziel, eine religiöse und soziale Institution und ein bedeutender Wirtschaftsbetrieb. Es besitzt unter anderem das älteste und eines der renommiertesten Weingüter Österreichs.
Internet: www.stift-klosterneuburg.at

 

Information:
Stift Klosterneuburg, Stiftsplatz 1, 3400 Klosterneuburg (Niederösterreich)
Tel.: +43 (2243) 411-212
Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.stift-klosterneuburg.at



Anreise:
Öffentliche Anreise: U4, ab Heiligenstadt: Buslinien 238 und 239 bis Klosterneuburg-Stift, von dort kurzer Fußweg (ca. 5 Minuten) oder S 40 (S-Bahn) bis Klosterneuburg-Kierling, von dort kurzer Fußweg (ca. 15 Minuten)
Vienna Sightseeing Tours Hop on Hop off zum Stift Klosterneuburg: Abfahrt Burgtheater/Rathaus, grüne Linie bis 4. Okt. 2014.
Auto:
B 14, Parkgarage und Parkplätze im Stiftsbereich.