Wenn die Schienen über den Baikalsee verlaufen und sehr viel mehr als 100 km einsparen

 

Eric Fischling

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Eigentlich ist es nicht der Rede wert, aber der Hinweis im Artikel zuvor, wie die miserablen Zustände der Bahnanlagen in Bad Homburg fälschlich als „südsibirische Zustände“ bezeichnet wurden, was der Redner selbst korrigiert hat, hat die Redaktion von Weltexpresso sehr erheitert.

 

Denn immerhin waren drei Redaktionsmitglieder schon in Sibirien gewesen, wissen allerdings nicht, warum überhaupt der Begriff „südsibirische“ genommen wurden. Zwei aus der Redaktion sind mit der Transsibirischen Eisenbahn, die dort entlangführt, gefahren und einer war länger am Baikalsee. Und der ist mit der Hauptstadt Irkutsk, gelegen am Jenissei, absolut Südsibirien. Und um den Baikalsee soll es gleich gehen, denn er bietet im Sommer unglaublich explosive Natur und im Winter: Schienen!!

 

Zuvor jedoch ein wenig Erdkunde, hätte man früher gesagt. Denn wir Mitteleuropäer wissen gar wenig über die nördlichen Küsten am pazifischen Ozean, die flach sind, über das Westsibirische Tiefland, das Nordsibirische Tiefland und das Ostsibirische Tiefland, wo

sich das Ostsibirische Bergland ins Landesinnere anschließt. Aber zwischen dem westlich gelegeneren Mittelsibirischen Bergland trennt die Mitteljakutische Niederung die beiden Bergländer. Geographisch wirklich unglaublich interessant. Und dann erst der Süden, wo das Südsibirische Gebirge auch den Baikalsee umfaßt. Aha, der Festredner meinte also den Baikalsee. Da hatte er sich geschnitten. Dazu gleich.

 

Denn schaut man erst einmal auf die Karte, sind die Überraschungen groß, und man sieht auch die Insel Sachalin, die dann übrigens weit im Osten liegt, im Ochotskischem Meer. Diese, die größte Insel Rußlands, ist Grenzgebiet zum Japanischen Meer und uns als besondere russische Strafkolonie bekannt, wobei „Nach Sibirien Gehen“ grundsätzlich als Umschreibung für Verbannungen galt und Sachalin nur die Spitze des Eisbergs war. Tatsächlich sind die heutigen Bewohner Nachkommen der Verbannten, wobei wir auf die indigene Bevölkerung der altaischen und uralischen Sprachfamilie jetzt nicht weiter eingehen.

 

Die Japaner besetzten die Insel damals, im russisch-japanischen Krieg von 1904-05, der in der Literatur Rußlands seinen Niederschlag fand. Und darüber schreiben wir jetzt auch nur, weil es dort ebenfalls etwas über Schienen und Eisenbahnen zu berichten gibt. Etwas völlig anderes. Denn als Folge des Krieges Anfang des Jahrhunderts hatten sich Japaner südlich des 50. Breitengrades auf Sachalin festgesetzt, was der Vertrag von Portsmouth abgesichert hatte. Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Japaner, Verbündete Deutschlands, die Infrastruktur ihres Teils, den Süden der Insel, optimal ausgebaut, eben auch das Schienennetz. Als Alternative zu Weißrußland, wo die breiteste Spur in der alten Sowjetunion galt (und die Züge aus dem Westen immer Huckepack genommen wurden), fährt die Eisenbahn im Süden Sachalins auf den schmaleren japanischen Spurweiten, der sogenannte Kapspur.

 

Aber das war nur ein kleiner Exkurs in die Eisenbahngeschichte. Jetzt geht es um den Baikalsee. Hierzulande wissen wenig, daß dieser „reiche See“ mit 1542 Metern auf einer Höhe von 455,5 M über dem Meeresspiegel der tiefste und darum auch mit 23 615 Kubikkilometern der wasserreichste Süßwassersee der Welt ist. Zudem aber auch mit einem Alter von mehr als 25 Millionen Jahren der älteste Südwassersee der Erde. Und übrigens Weltnaturerbe der UNESCO.

 

Warum hier die Eisenbahnschienen ins Spiel kommen, hat mit der Uferlänge des Baikalsees von rund 2125 Kilometern und seiner Wasseroberfläche von 31 722 Quadratkilometern zu tun. Das ist viel, aber vom Südwesten bis zum Nordosten, der sogenannten Mittellinie des Baikalsees sind es „nur“ 673 Kilometer, die maximale Breite dann 82 Kilometer, in der Regel aber 48 Kilometer. Und da sind wir noch im März mitten über den Baikalsee mit der Eisenbahn gefahren! Denn die nötigen Schienen wurden bei Beginn der Fröste auf das Eis gelegt und froren an. Da den Winter über mindestens 20 Grad Minus garantiert ist, war nie die Gefahr des Einbrechens. Und man spart unendlich viele Kilometer ein, wenn man nicht außen herumfahren muß, sondern auf den Schienen über das Eis gleitet.

 

Das hat sich längst zu einer Verkehrsdichte auch der Autos entwickelt, die im Winter – verläßlich bis März, wir waren dort auch Anfang April noch auf dem Eis – ihre Straßen quer nüber und rüber legen und putzmunter mit dem Gefühl, viel Kraftstoff und Zeit zu sparen, unterwegs sind. Ach, wirklich putzig, daß bei dem lebendigen und kreativen, Ressourcen schonenden Umgehen mit den Eisenbahnschienen in Südsibirien, ausgerechnet ein Bad Homburger Würdenträger die miesen Bahnanlagen in der Kurstadt mit den technisch hervorragenden und variablen von Südsibirien verglichen hat. Der gute Mann wußte nicht, was den Bad Homburgern bevorstünde, würden jedes Frühjahr die dortigen Bahngleise umverlegt und im Herbst zurückverlegt. Im übrigen geben wir ihm Recht. Irgendwie ist dieser Bahnhof in Bad Homburg tote Hose.

Foto: Leider wäre das zu umständlich, aus den irgendwo vorhandenen Dias eins vom Zug auf dem Eis herauszusuchen und umzuwandeln. Deshalb hier stattdessen ein Auto auf dem Baikalsee, das wir dem blog.goethe.de entnahmen.