Serie: Unterwegs auf dem Alemannenweg, Teil 4/4

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Einer Frau, die mir auf einem Feldweg entgegen kommt, stelle ich eine Frage. Keine Zeit! Unterhält sich, kaum ist sie vorüber, angeregt mit ihrem Hund. „Markus komm!“ Sie redet auf den Hund ein. Noch längere Zeit ist sie zu hören, ohne dass ich verstehe, was sie dem Hund predigt.

 

Eine andere Frau, sie schwingt die vermeintlich beschleunigenden und angeblich der Gesundheit förderlichen Walkingstöcke, frage ich nach dem Namen einer kleinen blauen Blume. Es könnte sich um Scilla handeln, aber ich bin mir keinesfalls sicher. „Nach Blumen und Pflanzen dürfen Sie mich nicht fragen. Das ist nicht mein Ding.“ Sie walkt drauflos. Ob sie die Blumen überhaupt sieht? Jogger und Biker getraue ich mich nicht anzusprechen, die haben’s zu eilig.

 

Zu zweit laufende Jogger unterhalten sich meist angeregt. Ich staune, dass das und wie das geht. Gespräch im Dauerlauf! Passt irgendwie in diese Zeit. Ob solche Gespräche sich unterscheiden von denen im Gehen, Stehen, Sitzen? Ich sollte sie doch mal anzusprechen versuchen. Ein Biker bereitet mich durch leichtes Hüsteln darauf vor, dass er mich gleich überholen wird, verzichtet also lobenswerter Weise darauf, sich klingelnd bemerkbar zu machen, was den gedankenverlorenen Wanderer erschreckt. Und dann grüßt er auch noch, vorbeifahrend, freundlich. Ich rufe ihm hinterher: „Moin, moin!“ Er stoppt, wartet auf mich. Ob ich aus Hamburg sei. Telegrammgespräch, bei dem ich zuhöre. Er ist in Eile. Biker haben es meist eilig. Schnellschnell.

 

In Nonrod frage ich am Ortsrand nach dem Weg zum Gasthaus Rodenstein. Übernachtung mit Frühstück bzw. Halpension sind erstaunlich günstig, das Essen ist einfach, aber prima schmackhaft. Aber zurück, noch suche ich ja den Weg dorthin und habe einen Mann gefragt. Er ist Holländer, wie sich aufgrund des leichten Akzents unschwer feststellen lässt. Seit 20 Jahren lebt er im Ort. Ob er mit den Deutschen zurecht komme? Ja, schon, weitgehend, nur auf der Baustelle, er arbeitet auf dem Bau, seien einige übergenau. Die alte deutsche Schwäche. Hinter seinem Haus liegt einiges Gerümpel herum. Ach so, das meint er mit Lässigkeit, Lockerheit, die gelegentlich fehlten.

 

Ich erinnere mich an die Bilderbuchhäuser in den Niederlanden. Liegt da Gerümpel herum? Guck an, denke ich, will ich mich etwa für seine kritische Äußerung revanchieren?

Ein älterer Herr, Rentner seit 10 Jahren, Bauingenieur war er, zeigt mir sein direkt am Wanderweg gelegenes Grundstück. Hat er vor 40 Jahren gekauft. 4000 Quadratmeter, kleiner Teich, Hütte, Bank davor. Ein idyllisches Plätzchen. Ich soll auf der Bank Platz nehmen. Er erzählt mir die Stationen seines Lebens, will mich gar nicht weiter gehen lassen, so gern blickt er erzählend auf sein Leben zurück, Dafür braucht’s den Zuhörer, mich diesmal. Die Abenddämmerung genieße er besonders gern, sitze manchmal auf dem nahe gelegenen Hochsitz. Tier beobachten. Er ist kein Jäger. Er zeigt mir Vogeleier, einigermaßen stolz. Die hat er aus Vogelnestern „geklaut“. Ich vergesse die Stirn zu runzeln.

 

Ach, dann noch der Sonnengesang des Heiligen Franziskus auf einer Tafel bei Rehbach, was zu Michelstadt gehört. „Gelobt seist Du, mein Herr, für den Bruder Mond und die Sterne, am Himmel hast du sie geformt, klar und kostbar und schön.“ Einen netten Kontrast dazu bietet der Bahnhof von Zwingenberg, wo ich mir am Ende des Fernwegs die Fahrkarte kaufe. Der Fahrkartenautomat steht in dem Raum des Bahnhofs, wo sich früher der Schalter befand. In diesem Raum riecht es wie in einem Pissoir. Fahrgäste halten sich Tücher vor das Gesicht, während sie den Automaten bedienen. Ein ältere Dame aus Zwingenberg, die mich bittet, ihr beim Einsteigen in den Regionalzug behilflich zu sein, stößt sich trotz meiner Hilfe das Schienbein blutig, als sie einzusteigen versucht. So weit oben liegt die Stufe zum Einsteigen. Für ältere Leute eine Zumutung.

 

Monumental das OKW (Odenwaldklub) Ehrenmal: „Unseren Gefallenen und Verstorbenen“. Über der Inschrift goldfarbenes Eichenlaub. Ein paar hundert Meter weiter bei Bensheim/Hochstädten das in seiner Gestaltung und wegen der großartigen Weitsicht beeindruckende „Friedensmal/ Wendepunkt“. Ich notiere auf die Schnelle das Gandhi-Wort, das ich dort neben etlichen anderen Anregungen finde: „Sei du die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest.“ Kein unpassender Schlusspunkt meiner Wanderung auf dem Alemannenweg, und, nebenhin bemerkt, auch sonst nicht. Die Hölle Odenwald habe ich nicht gefunden, am „Galgen“ höchstens gestreift, aber immerhin auf etlichen T-Shirts in Michelstadt gesehen. Die jungen Leute aus dem Odenwald tragen Hemden mit dieser Aufschrift ganz gern, ohne damit, so mein Eindruck, der Redakteurin der FAZ, die Kindheit und Jugend im Odenwald metaphorisch als Leben in der Hölle beschrieb, damit Recht geben zu wollen.

 

Zusätzliche Information :

 

Auf der Höhe südöstlich von Ober-Kainsbach finden Sie die Reste einer alten Richtstätte. Auf einer Tafel in der Schutzhütte steht: Richtstätte der ehemaligen Zent Ober-Kainsbach. Die ehemalige Grafschaft Erbach und die Herrschaft Breuberg waren in Zentbezirke mit eigener Gerichtsbarkeit eingeteilt. Ober-Kainsbach wurde 1551 von der breubergischen Zent Kirch-Brombach abgetrennt und im Hoheitsbereich der Grafen von Erbach zu eigenständigen Zent erklärt. Die zugehörige Richtstätte, sprich Galgen, ist erstmals 1577 urkundlich erwähnt. 1623 war der Galgen zusammengebrochen. Die Neuerstellung kostete mit dem Reichelsheimer zusammen 14 Gulden. Beim zugehörigen Richtfest gab man für Essen und Trinken 99 Gulden und 7 Albus aus. 1743 hat man den Holzgerüstgalgen zu einem 'dreischläfrigen' Steinsäulengalgen umgerüstet. Nach 1806 wurde die Gerichtsbarkeit der Zenten aufgehoben und der Galgen abgebaut. Erhalten blieb das abgesteinte, gemeindeeigene Grundstück und insgesamt neun Säulensteine, von denen einer nachträglich wieder in diese Anlage eingebaut wurde.“

(Anmerkung: Albus ist eine alte deutsche Münze, Weißpfennig)

 

Foto:

Zentrum von Zwingenberg mit Blick in den Odenwald (c) Odenwald Tourismus

 

Info:

Odenwald Tourismus GmbH

Marktplatz 1  i

 

64720 Michelstadt

 

Tel. 06061-96597-13

Fax 06061-96597-23