150 Jahre Erstbesteigung des Matterhorns
Notker Blechner
Zermatt (Weltexpresso) - Was wäre die Schweiz ohne ihren berühmtesten Berg, das Matterhorn? Der steile Berg ist zu einem nationalen Symbol der Eidgenossen geworden. Und auch im Ausland gilt das Matterhorn als Mythos. Dementsprechend groß wird das 150-jährige Jubiläum der Erstbesteigung gefeiert -
mit Events, einer Ausstellung und dem höchstgelegenen Theaterstück Europas. Dort wird erzählt, wie sich das Drama wirklich zugetragen haben könnte…
Welch ein Postkarten-Motiv! Am Gornergrat in windiger 2200 Meter Höhe führen allabendlich (bis Ende August) Laien- und Profidarsteller "The Matterhorn Story" auf - vor der imposanten Kulisse des Matterhorns. Nichts außer Wolken oder Nebel trübt den Blick auf den "Hore", wie die Einheimischen den Berg ehrfürchtig nennen.
Die 38 Darsteller spielen mit einer wilden Mischung aus Hochdeutsch, Walliser Dialekt und Englisch das Drama vom 14. Juli 1865 nach, als beim Abstieg vier der sieben Bergsteiger abstürzten. Dabei wird nicht die Klettertour und die eigentliche Katastrophe gezeigt. Regisseurin Livia Anne Richard konzentriert sich in ihrem Stück auf das, was im Dorf passiert: die Vorbereitungen zur Erstbesteigung, der Abschied, die tragische Rückkehr und schließlich der Gerichtsprozess. Es geht um Religion, Aberglaube, Klassenunterschiede, Liebe, Rache und Eifersucht.
Wer war schuld am Absturz der vier Erstbesteiger?
Richards Theater-Stück rollt die Schuldfrage neu auf und stellt die jahrzehntelang gültige Version des einflussreichen Briten Edward Whymper in Frage. Dieser hatte dem Bergführer Taugwalder senior vorgeworfen, mit Absicht ein schwächeres Seil verwendet zu haben, um im Falle eines Sturzes der Vorangehenden sich selbst und seinen Sohn zu schützen. Schlimmer noch: Taugwalder habe das Seil durchgeschnitten, als die vier Bergsteiger vor ihm abrutschten.
Tatsächlich aber soll Taugwalder senior alles versucht haben, um die vier Abstürzenden zu retten, belegen historische Dokumente. Er soll das Hilfsseil zwischen ihn und dem stürzenden Quartett mit allerletzter Kraft so lange gehalten haben, bis es wegen des zu starken Gewichts riss. Das Seil, das ihn mit seinem Sohn und Whymper verband, hatte er zuvor blitzschnell um einen Felszacken gelegt. Damit rettete er Whymper das Leben.
Theaterstück rehabilitiert Taugwalder
Eher sei Whymper Schuld am Tod seiner Berggefährten gewesen, meint Sohn Taugwalder in dem Stück. Denn der reiche Brite hätte kurz vor dem Erreichen des Matterhorn-Gipfels das große Seil zerschnitten, um noch schneller an sein Ziel zu gelingen. Für den Abstieg hätte dann das dicke große Seil nicht mehr ausgereicht. Ein dünnes Hilfsseil musste herhalten.
Insofern versucht "The Matterhorn Story" die Taugwalders zu rehabilitieren. "Ich wollte bezüglich der Taugwalders etwas Fairness reinbringen", sagt Regisseurin Richard.
Damals - vor 150 Jahren - glaubten die Einheimischen der Version von Taugwalder Senior nicht. Taugwalder zerbrach an den Vorwürfen und wanderte resigniert in die USA aus. Stattdessen wurde Whymper als Held gefeiert. Kein Wunder, brachte seine Geschichte viele andere reiche Briten in das kleine Walliser Dorf und machte Zermatt zu einer Touristen-Attraktion. Noch heute gibt es in einem der heimischen Restaurants zu Ehren des Briten einen "Whymper-Teller".
Ein Seil als Museumsattraktion
Die Frage, ob das Seil nun zerschnitten wurde oder ob es riss, wurde bis heute nicht definitiv beantwortet. Im kleinen Museum von Zermatt am Kirchplatz kann man sich sein eigenes Bild machen. Dort sind die Seile der Erstbesteiger ausgestellt. Das dünne Seil, an dem die vier Abgestürzten hingen, liegt wie eine Reliquie unter einer Glas-Vitrine auf rotem Samt.
Eigens für das Jubiläum wurde die Ausstellung "Auf der Suche nach der Wahrheit" mit Original-Briefen, Fotos und historischen Dokumenten konzipiert. Es soll nicht nur bei der Suche bleiben. Ziel ist, die Wahrheit herauszufinden. Ein Team von Historikern, Glaziologen und anderen Experten soll endlich die Ursache für den Unfall klären. Man werde verschiedene Thesen prüfen und am Berg testen, heißt es. Bis Herbst soll dann ein Ergebnis vorliegen. 40.000 bis 50.000 Franken lässt sich Zermatt die Suche nach der Wahrheit kosten.
Hörnlihütte zum modernen "Base Camp" umgebaut
Geld genug ist da - schließlich pilgern jährlich zwei Millionen Menschen in das kleine romantische autofreie Bergdorf. Einige von ihnen fahren für gut 70 Franken hinauf zum Matterhorn-Gletscher, um Fotos von den zahlreichen 4000er-Gipfeln zu machen. Oder sie machen Halt am Schwarzsee und wandern einen nicht all zu schwierigen Weg hinauf zur Hörnlihütte in 3.260 Meter Höhe. Diese wurde passend zum Jubiläum für acht Millionen Franken umgebaut und ist nun ultramodern mit Wifi und allerlei Komfort ausgestattet.
Matterhorn-Bezwinger verbringen hier im "Base Camp" die kurze Nacht, bevor es gegen vier Uhr morgens in der Früh hinauf auf den Berg geht. Gut 3.000 Alpinisten bezwingen jährlich den berühmten Berg. Doch nicht alle kommen heil an - oder runter. Seit 1875 verloren 500 Bergsteiger am Matterhorn ihr Leben - trotz besserer Seile als Whymper & Co damals hatten.
Internet:
The Matterhorn Story
http://www.zermatt.ch/Media/Pauschalen/The-Matterhorn-Story
Hörnlihütte Zermatt
http://www.hoernlihuette.ch/home.html