Auf dem Neckarsteig, Teil 1/3

Thomas Adamczak

Heidelberg (Weltexpresso)   -   „Wir kehrten nach Neckarsteinach zurück… aßen im Garten in aller Behaglichkeit und Muße unsere Forelle, dabei floss der schöne Neckar zu unseren Füßen dahin und der seltsame Dilsberg ragte gegenüber auf und die anmutigen Türme und Zinnen zweier mittelalterlicher Burgen betonten das zerklüftete Landschaftsbild zu unserer Rechten.“

Mark Twain notierte diesen Satz in seinen Reiseerinnerungen am 10.8.1879. Ein geeignetes Motto für den Odenwälder Fernwanderweg „Neckarsteig“?

Schön ist er, der Neckar, nach wie vor, schön schon, wie er sich durch die Hügellandschaften windet und zumal, wenn die Sonne scheint und der Wasserspiegel des Flusses Blitze wirft.

An mittelalterlichen Burgen mit „anmutigen Türme und Zinnen“ besteht auf dem 126 km langen Neckarsteig von Bad Wimpfen bis Heidelberg kein Mangel. Mir gefiel die Aussicht von den Burgen Stolzeneck und Minneburg besonders, aber solche Eindrücke sind oft von Zufällen abhängig. Das Wetter muss passen, nicht zu viele Touristen dürfen herumstehen und sollten, wenn sie schon auf die Idee kamen, genau an diesem Tag an diesem Ort zu sein, nicht permanent und schon gar nicht zu laut quasseln.
 
Rundblick von der Burgruine Stolzeneck: Der gemächlich dahin fließende Neckar, ein Spielzeugflüsschen von  oben, bewaldete Hügelketten, hier und da ein Hochsitz, der aus dem Wald herausragt. Unten, zwischen den Bäumen, lugt die Bahnlinie ab und an hervor. Unwahrscheinlich, dass gerade dann, wenn man von hier herunterschaut, ein Zug vorbei kommt. Das werden die Bewohner der Orte am Neckar anders sehen. Hier oben stört das Geräusch der Züge dagegen nicht. Husch, pfiff - schon ist er vorbei und verschwunden. Anders der Autoverkehr. Den Neckar begleiten während des gesamten Neckarsteigs Straßen, mindestens an einem Ufer, manchmal auf beiden. Unschwer vorzustellen die Folgen: ständiger Verkehrslärm, lästige Motorengeräusche.

Wieso der Dilsberg Mark Twain  „seltsam“ vorkam, verstehe ich nicht so recht, aber dafür fand ich auf den Weg von der Burgfeste Dilsberg nach Neckarsteinach seltsame Straßennamen: „Blumenstrichweg“ und „Brunnenstubenweg“.

Bemerkenswert wie immer von oberhalb der  Blick auf den Neckar und das umliegende Hügelallerlei.

Dank sei den Planern des Neckarsteigs, dass der Weg immer mal wieder den Neckar verlässt und ein Stück weit im  südlichen Odenwald verläuft. Dann endlich kehrt Stille ein, die der echte Wanderer ersehnt. Stille wird zunächst als Abwesenheit des Motorenlärms wahrgenommen. Ist der nicht mehr zu vernehmen, kann der Gehende anders hören,  besser zuhören. „Es scheint, dass unser Wesen, um die Stille richtig zu hören, etwas braucht, das schweigt.“ (Gaston Bachelard)  Das Knacken eines Astes, ein fallender Tannenzapfen, der Ruf eines Vogels bewirken die sinnliche Erfahrbarkeit der Stille. Eine tiefe Stille.

Die Logik eines Wanderwegs, der Neckarsteig heißt, bringt es mit sich, dass der Wanderweg immer wieder zum Fluss zurückkehrt. Egal, ob man sich in der Nähe des Ufers, auf halber Höhe oder vom Kamm der Hügel her dem Fluss nähert, die Folgen des Mobilisierungswahns der Moderne holen den Wanderer zwangsläufig ein. Das sollte wissen, wer sich entschließt, den Neckarsteig zu erstiefeln. Wenn man diese Nebengeräusche hinzunehmen bereit ist, sie stören ja nicht unentwegt, weil wir uns an den Geräuschpegel gewöhnen, erwartet den Wanderfreund ein eindrucksvoller, abwechslungsreicher Fernwanderweg.

David Le Breton verweist in „Lob des Gehens“ darauf, dass man Lärm dann empfindet, wenn das Geräusch „die Ausmaße einer Sinneswahrnehmung“ übersteigt“ und sich als „Angriff aufdrängt, der keine Verteidigung zulässt“. Allerdings kann sich der Gehende durch eine bestimmte Haltung gegen die Zumutungen des größten Getöses, also auch des Motorenlärms wehren. Dazu brauche es eine „willentliche Abwendung der Belästigung“ durch die Entscheidung, den Lärm zu überhören oder durch die Aktivierung der Vorstellungskraft, die die Lärmbelästigung entschärft. Ausprobieren, einfach ausprobieren, ob es so gelingt, den störenden Lärm wegzufiltern!

Auf Tafeln entlang des Steiges wird erklärt, dass diese Gegend des Odenwalds vor Jahrmillionen aus Salzsümpfen bestand. Während der Neckar in der Tiefe des Talbodens verblieb, hoben sich  die Hügel des Odenwalds aus dem ehemaligen Muschelkalkmeer heraus. Flusstalrelikte finden sich deshalb vor allem auf den Hügeln. Im Laufe der Talentwicklung sind historisch gewachsene Kulturlandschaften entstanden. Felsbänke, Steinhalden, Schaumkalkbänke, Muschelkalkspuren sind sichtbare Zeichen der Flussgeschichte.

Der Wanderer geht durch „Trockenwald“, lasse ich mich auf einer Informationstafel belehren. Zwischenrein „Streuobstwiesen“, dann Wacholderheiden und Ackerbaulandschaften. Diese Gegend zählt zu den „artenreichsten Pflanzengesellschaften Mitteleuropas“, lese ich und notiere als besondere Pflanzenarten „Küchenschelle“, „Gefranster Enzian“, „Feld-Mannstreu“, „Bocks-Riemenzunge“. Und zwischen diesen Pflanzen springen „Grünes Heupferd“, „Roesels Beißschnecke“, „Blauflügelige Ödlandschrecke“ und „Heidegrashüpfer“ herum. Ich beneide die Wanderer, die all diese Pflanzen und Tiere auf ihrer Wanderung entdecken. Ich sehe immerhin die Abbildungen auf den Tafeln.
Bei geführten Wanderungen bekäme man diese Pflanze und jenes Tier gezeigt, aber dann wären wohl kaum 20-30 km am Tag zu bewältigen.

Bei Neunkirchen sehe ich eine 400 Jahre alte Hohe Eiche, zu der vom Wanderweg ein kleiner Pfad führt. „Dieser älteste Baum der Gemarkung Neunkirchen wurde 1969 vom Verkehrsverein zugänglich gemacht.“ Ich bedanke mich mit einer knappen Verneigung und bestaune das Prachtstück. Auf der gleichen Tagesetappe von Neunkirchen nach Eberbach begegnet mir noch ein „wohl schmeckendes Stück Kulturgeschichte: Die Esskastanie“, eigentlich ein Baum des Südens.

Dieser Baum wurde vermutlich von den Römern mitgebracht, weil sich die Esskastanie im Bergstraßenklima und auf kalkarmen Buntsandsteinböden wohl fühlt. Und diese Böden bietet der Odenwald, zumindest in diesem Teil des Odenwaldes. Es gibt im Odenwald sogar eine „Interessengemeinschaft Esskastanie“, die im Neunkirchen Wald für Verbreitung und Pflege der nützlichen Baumart sorgt. Gegründet hat diese „Interessengemeinschaft“ 2004 der Revierleiter Robert Kunzmann, der sich während seiner 50-jährigen Dienstzeit in dieser Region um die Esskastanie gekümmert hat. Das und einiges mehr kann man auf solch eine Fernwanderung erfahren. Fortsetzung folgt


 
Foto:Marktplatz Mosbach © Odenwald Tourismus

    
Info:
 
Odenwald Tourismus GmbH
 www.odenwald.de
http://www.neckarsteig.de


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