Marmor, Stein und Eisen bricht - aber unser Kanu nicht!


Hanswerner Kruse


Fulda (Weltexpresso) - Einige Singles und Familien von Schlüchtern bis Fulda organisieren seit mehr als 25 Jahren an Fronleichnam gemeinsame Kanufahrten. Zum festen Kern kommen alljährlich weitere Passagiere; die befahrenen Flüsse wechseln, übernachtet wird jeweils auf einem Campingplatz.


Als Hannah nachmittags Rimbach erreicht, ist die zwanzigköpfige Gruppe im Alter von sieben bis siebzig Jahren bereits in eigenen oder geliehenen Booten auf der Fulda unterwegs. Doch zu ihrer Überraschung tummeln sich einige junge Mütter mit vielen kleinen Kindern auf dem Platz. Die neuen Besucherinnen sind mit Jana (36) gekommen, die, solange sie denken kann, beim alljährlichen Paddeln dabei war. Ihr achtjähriger Sohn ist mit auf dem Wasser, ebenso die Männer der weiblichen Gäste und deren größere Kinder. Die Begeisterung der Debütanten ist groß, sie wollen im nächsten Jahr wieder kommen.


Als Jana ein Teeny war, rebellierte ihr Bruder, als an einem Wehr die Boote umgetragen werden sollten. „Da kann man nicht runterfahren“, behauptete ein Erwachsener. „Wieso nicht?“, fragte der Aufmüpfige und setzte durch, es erfolgreich zu probieren. In den folgenden Jahren begannen die großen Jugendlichen, die Kanutransporte zu übernehmen. Oft brachten sie ihre Mitschüler mit, die das Abenteuer in der altersgemischten Gruppe „cool“ fanden. Später kamen manche sogar alleine, als ihre Freunde in der Ferne studierten. Mittlerweile fahren nun auch die Enkel mit.


Hannah (58) bedeckt die rustikalen Tische mit langen Papierbahnen, verteilt darauf frisch gepflückte Blumen und macht sich ans Kochen. Als die Bootsfahrer eintreffen, serviert sie Nudeln mit und ohne Fleischsauce sowie Salat. Obwohl alle erst morgens ankamen, paddelten sie noch einige Stunden auf dem recht ruhigen Fluss.


Nach dem Essen helfen die größeren Kids beim Lagerfeuer. Sie lernen von Jürgen (52), wie man Holz hackt und „ein gutes Feuer“ aufschichtet. Die Tanzschülerin Lena (10) gibt derweil den kleineren Mädchen in Gummistiefeln Ballettunterricht. Bis in die Nacht hinein spielen einige Musiker der osthessischen Band „Gibsies“. Cellist Gerwin (70) und Gitarrist Heino (63) sind die Gründer des Kanurudels und haben auch diese Tour organisiert. Bisher brachten sie noch jeden zum Mitsingen, wenn sie Drafi Deutschers „Marmor, Stein und Eisen bricht / Aber unser Kanu nicht“ anstimmten. In den Booten auf dem Wasser grölen besonders die Kinder ständig mit Begeisterung garstige Räuber- und Fresslieder (siehe Kasten).


In all den Jahren haben die Argonauten die Flüsse Fulda und Werra, Fränkische Saale, auch Jagst, Unstrut und Regen befahren. Oft waren die Gewässer wilder als die Fulda, dadurch gab es zahllose Havarien - aber nie Verletzte. Doch das Bootfahren ist kein Spaziergang und sogar anstrengend, wenn die Flüsse lahm sind oder die Kleinen die Alten antreiben, „Erster!“ zu werden.


Das Rudel ist zwar völlig resistent gegen straffe Organisation, doch davon ist nur selten jemand genervt, obwohl immer irgendetwas fehlt. „Weißt Du noch?“ Die Alten und Jungen erzählen Jahre später mit glänzenden Augen von gefährlichen Stromschnellen oder dreimaligem Kentern. An Fronleichnam ist das Wetter oft nicht stabil, doch durch Regen lässt sich die gute Laune der Kanuten nicht aufweichen. Einmal ist die Truppe einen Tag lang ins Erlebnisbad gegangen, während ein Pärchen die gesamten nassen Sachen in einem Waschsalon trocknete.


Kinderbetreuung, Abwasch oder andere Jobs brauchen nicht groß geregelt zu werden, (fast) jeder bringt sich unaufgefordert ein. Durch die Herausforderungen auf dem Wasser und im Camping-Alltag bildet sich der soziale und positive Gruppengeist immer wieder neu, der auch Kinder mit Handikap oder von frisch getrennten Eltern trägt. Das steckt an - es saß auch schon mal eine grimmige Rockergruppe ganz friedlich am gemeinsamen Lagerfeuer.


Das Fresslied
wird solange gesungen, bis alle Mitfahrenden „aufgefressen“ sind:
„Komm wir fressen unsere Paula / Du die Brust und ich das Bein / Oh welch herrliches Aroma / Unsre Paula die schmeckt fein. / Irgendwann ist Paula alle / große Frage was kommt dann? / Und wir bauen eine Falle / dann ist der Heino dran...“

Fotos:  Hanswerner Kruse