Serie: Unterwegs im Harz auf dem Hexen-Stieg, Teil 4/10
Thomas Adamczak
Quedlinburg(Weltexpresso) - »Weißt du, was ein Wald ist? Ist ein Wald etwa nur zehntausend Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude? (Bert Brecht)
In der Wirtsstube im »Brockenhaus« findet Heine »lauter Leben und Bewegung, Studenten von verschiedenen Universitäten«, die von den Hausmädchen Brockenssträuße überreicht bekommen. » … da wird in die Wangen gekniffen, gesungen, gesprungen, gejubelt, man fragt, man antwortet, gut Wetter, Fußweg, Prosit, Adieu. Einige der Abgehenden sind auch etwas angesoffen, und diese haben von der schönen Aussicht einen doppelten Genuss, da ein Betrunkener alles doppelt sieht.«
Immerhin räumt Heine ein, selber mitgetrunken zu haben. Erst nachdem er sich »ziemlich rekreiert«, konnte er den Turm besteigen. »An unserem Tisch wurde es immer lauter und traulicher, der Wein verdrängte das Bier, die Punschbowlen dampften, es wurde getrunken, schmolliert und gesungen.« Und etwas später: »Ich kann viel vertragen - die Bescheidenheit erlaubt mir nicht, die Bouteillenzahl zu nennen - und ziemlich gut konditioniert gelangte ich nach meinem Schlafzimmer.«
Auf dem Weg von Osterode nach Clausthal trifft Heine auf einen Schneidergesellen. Ein »niedlicher, kleiner, junger Mensch, so dünn, dass die Sterne durchschimmern konnten«, für Heine eine »volkstümlich barocke Mischung von Laune und Wehmut«, die sich »in der drollig rührenden Weise« äußerte, womit er »das wunderbare Volkslied sang: Ein Käfer auf dem Zaune saß; summ, summ!« Genüsslich schildert Heine diese Begegnung mit dem »Ritter von der Nadel«, der voller Inbrunst noch »Leidvoll und freudvoll, Gedanken sind frei« und »Lottchen bei dem Grabe ihres Werthers« trällert und anschließend bramarbasiert: »Jetzt will ich den Weg zwischen die Beine nehmen!«
Dieser Schneidergeselle singt, wie er frohgemut herausposaunt, »ein Lied mit der doppelten Poesie!«. Heines Neugier ist geweckt. Er möchte vom Schneider wissen, was mit »doppelter Poesie« gemeint sei. Dieser belehrt unseren Poeten: »Die doppelte Poesie ist die doppelte Poesie!« Heine lässt nicht locker und vermutet, dass dieser singende Schneider doppelt gereimte Gedichte, »namentlich Stanzen«, gemeint haben könnte.
Heines Nachfragen scheint den »Ritter der Nadel« ermüdet zu haben, denn »bei einem Baumstamme ließ er sich sachte niedersinken, bewegte sein zartes Häuptlein wie ein betrübtes Lämmerschwänzchen, und wehmütig lächelnd rief er: ´Da bin ich armes Schindluderchen schon wieder marode!`« Er hat sich nämlich Blasen gelaufen. Die beiden trennen sich, und Heine versäumt es nicht, unmittelbar danach eine kleine Kostprobe wahrer Poesie anzufügen:
»Die Berge wurden hier noch steiler, die Tannenwälder wogten unten wie ein grünes Meer, und am blauen Himmel oben schifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichsam gezähmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine schroffen Übergänge. Die Wolken, so bizarr gestaltet sie auch zuweilen erscheinen, tragen ein weißes oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und der grünen Erde harmonisch korrespondierendes Kolorit, so dass alle Farben einer Gegend wie leise Musik ineinander schmelzen und jeder Naturanblick krampfstillend und gemütberuhigend wirkt.«
Heine schwankt bei der Begegnung mit dem singenden Schneider zwischen Ironie und einem Anflug von Rührung, doch es überwiegt die Lust an der spöttischen Bemerkung. Der »Schneider zerfloss vor Sentimentalität bei den Worten: ´Einsam wein ich an der Rosenstelle, wo uns oft der späte Mond belauscht! Jammernd irr ich an der Silberquelle, die uns lieblich Wonne zugerauscht`.«
Im Kontrast dazu das andere Kaliber Heines:
»Auf die Berge will ich steigen,
Wo die frommen Hütten stehen,
wo die Brust sich frei erschließet,
Und die freien Lüfte wehen.
Auf die Berge will ich steigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauschen, Vögel singen,
Und die stolzen Wolken jagen.«
In der »Krone« (heute: »Goldene Krone«) zu Clausthal speist Heine zu Mittag. Es gibt »frühlingsgrüne Petersiliensuppe, veilchenblauen Kohl, einen Kalbsbraten, groß wie der Chimborasso in Miniatur, sowie auch eine Art geräucherter Heringe, die Bückinge heißen, nach dem Namen ihres Erfinders, Wilhelm Bücking, der 1447 gestorben….« Vermutlich meint Heine Willem Beukelsz (Bökel), der im 14. Jahrhundert in Flandern lebte und angeblich Erfinder des Einsalzens (Pökelns) war. An dieser Stelle übertreibt es Heine mal wieder mit der Ironie, wenn er Bücking als „großen Mann“ preist und sich ob seines Kenntnisreichtums lobend auf die Schulter klopft. »Wie herrlich schmeckt doch solch ein Gericht, wenn man die historischen Notizen dazu weiß und es selbst verzehrt!« Nachdem er es sich hat bestens schmecken lassen, ärgert er sich über einen jungen Menschen, »der sich diskursierend zu mir setzte und so entsetzlich schwadronierte, dass die Milch auf dem Tische sauer wurde.«
Es handelt sich um einen »Handlungbeflissenen« mit fünfundzwanzig »bunten Westen und ebensoviel goldenen Petschaften, Ringen, Brustnadeln usw. Er sah aus wie ein Affe, der eine rote Jacke angezogen hat und nun zu sich selber sagt: Kleider machen Leute«.
Der Mann fragt Heine nach Neuigkeiten aus Göttingen, worauf Heine ihm eine abstruse Geschichte eines Dekrets des akademischen Senats auf die Nase bindet, wonach »bei drei Taler Strafe verboten wird, den Hunden die Schwänze abzuschneiden, indem die tollen Hunde in den Hundstagen die Schwänze zwischen den Beinen tragen, und man sie dadurch von den nichttollen unterscheidet, was doch nicht geschehen könnte, wenn sie gar keine Schwänze haben«.
Über die Reaktion des Gegenübers erfahren wir leider nichts. Während Heine also mit den Bekanntschaften, die er unterwegs macht, ziemlich ruppig verfährt, indem er die Leute zumindest schreibend veräppelt, findet er die Besuche in den »vorzüglichsten Klaustaler Gruben, der >Dorothea< und >Karolina<, …. sehr interessant« und berichtet darüber ausführlich.
Heine besichtigt mehrere Bergwerke in „Klaustal“ und dem „Bergstädtchen Zellerfeld“. Er verschafft sich ein genaues Bild von der häuslichen Einrichtung der Bergarbeiter, hört sich deren gängige Lieder an, lässt sich alte Märchen erzählen und auch die in der Gegend üblichen Gebete aufsagen. Er hält das Leben der Bergleute für »stillstehend ruhig«, relativiert diesen Eindruck aber gleich darauf, indem er ihnen ein »lebendiges Leben« zuspricht.
Keine Ironie, kein Spott gegenüber solchen einfachen Leuten, vor deren Arbeit und Lebensweise er größten Respekt hat, Leute aber, die wie er wandernd unterwegs sind, als Handwerksleute, Studenten oder sonstige Reisende, sind Zielscheibe seiner Spottlust. Fortsetzung folgt
Foto: Blick auf Altenau©Augustus Tours
Info: https://www.augustustours.de/de/wanderreisen/harz.html