Serie: Unterwegs im Harz auf dem Hexen-Stieg, Teil 3/10
Thomas Adamczak
Quedlinburg (Weltexpresso) - »Was Wald wirklich ist, wurde mir aber erst im Urwald voll bewusst.« (Hans Leibundgut)
Sonnenaufgang auf dem Brocken: »… und schweigend sahen wir, wie am Horizonte die kleine karmisinrote Kugel emporstieg, eine winterlich dämmernde Beleuchtung sich verbreitete, die Berge wie in einem weißen wallenden Meere schwammen und bloß die Spitzen derselben sichtbar hervortraten, so dass man auf einem kleinen Hügel zu stehen glaubte, mitten auf einer überschwemmten Ebene, wo nur hier und da eine trockene Erdscholle hervortritt.«
»Es ist heute der erste Mai; wie ein Meer des Lebens ergießt sich der Frühling über die Erde, der weiße Blütenschaum bleibt an den Bäumen hängen, ein weiterer, warmer Nebelglanz verbreitet sich überall; in der Stadt blitzen freudig die Fensterscheiben der Häuser, an den Dächern bauen die Spatzen wieder ihr Nestchen, auf der Straße wandeln die Leute und wundern sich, dass die Luft so angreifend und ihnen selbst so wunderlich zumute ist;.…«
»Es ist ein schöner Tag! Überall sehe ich die grüne Farbe, die Farbe der Hoffnung. Überall, wie holde Wunder, blühen hervor die Blumen, und auch mein Herz will wieder blühen. Dieses Herz ist auch eine Blume, eine gar wunderliche. Es ist kein bescheidenes Veilchen, keine lachende Rose, keine reine Lilie oder sonstiges Blümchen…. Dieses Herz gleicht mehr jener schweren, abenteuerlichen Blume aus den Wäldern Brasiliens, die der Sage nach alle hundert Jahre nur einmal blüht.«
»Es war ein schöner Abend. Die Nacht jagte auf ihrem schwarzen Rosse, und die langen Mähnen flatterten im Winde. Ich stand am Fenster und betrachtete den Mond.«
Bestätigen solche Textstellen nicht die Richtigkeit des der »Harzreise« vorangestellten Mottos von Börne? Dass die Dichtkunst gewährt, »was die Natur versagt: … einen Frühling, der nicht abblüht, wolkenloses Glück und ewige Jugend«?
Heine will in seiner »Harzreise« mitnichten nur Naturschilderungen gestalten, ihm ging es zudem um »Witz« und »Poesie«, wie er im Nachwort schreibt.
Franz Kafka soll, wenn er seine Texte sich oder im vertrauten Kreise vorlas, laut aufgelacht haben. Bestimmte Textstellen fand er witzig. Manche Leser, gewiss nicht alle, werden ihm beipflichten. Über welche Formulierungen hat Heine lachen, lächeln, sich amüsieren können? Vergnügen hat ihm gewiss bereitet, über ein Erlebnis in Goslar zu berichten, wo er aus einem am Fenster stehenden Wasserglas »weiße Glockenblümchen« stibitzte und die »artigen Blümchen« an seine Mütze steckte, ohne sich »um die aufgesperrten Mäuler, versteinerten Nasen und Glotzaugen« zu kümmern, »womit die Leute auf der Straße, besonders die Weiber, diesem qualifizierten Diebstahl zusahen«. Auch dieser Streich eine Parallele zu Kafka, der bei sonntäglichen Spaziergängen in Dörfern um Prag mit Radschlagen und Grimassenziehen versuchte, die Reaktion der Zeugen seines Übermuts zu beobachten.
Der geklaute Strauß gehörte übrigens einem »wunderschönen Lockenköpfchen«, dem Heine bei Einbrechen der Dunkelheit auflauerte. Er sprach die »Zauberformel« »Ich reise morgen fort und komme wohl nie wieder!« und konnte ihr so einen Kuss abluchsen. Er spürte den »geheimen Widerdruck der lieblichen Lippen und der kleinen Hände« und eilte »lachend … von hinnen«.
Erstaunen lässt, wie herablassend Heine mehrere der Begegnungen auf seiner Wanderung beschreibt, für ihn Gelegenheit, sich in „Witz“ und Ironie zu üben. Das Mittagessen im Gasthof zu Goslar nahe dem Markt hätte ihm noch besser geschmeckt, wenn »sich nur nicht der Herr Wirt mit seinem langen, überflüssigen Gesichte und seinen langweiligen Fragen zu mir hingesetzt« hätte. Glücklicherweise sei er durch die Ankunft eines anderen Reisenden »erlöst« worden, der dieselben Fragen in derselben Ordnung aushalten musste. »quis? quid? ubi? quibus? auxiliis? cur? quomodo? quando?« (Wer? Was? Wo? Wodurch? Warum? Wie? Wann?).
Heutzutage wird der Reisende selten, wenn überhaupt mit solchen routinierten Fragen bombardiert. Im Zeichen des Massentourismus können sich im Service tätige Menschen eine solche stereotype Befragung rein zeitlich gar nicht mehr leisten.
Unweit der Harzburg stößt Heine auf einen »wohlgenährten Bürger von Goslar«, dem er »ein glänzend wampiges, dummkluges Gesicht« bescheinigt. Das genügt unserem jungen Dichter aber nicht, sondern er fügt hinzu, der Mann habe ausgesehen, »als habe er die Viehseuche erfunden«. Wahrlich ein starkes Stück für eine flüchtige Begegnung auf einer Wanderung, doch solcherart Freiheiten nimmt Heinrich Heine sich. Der Mann hatte sich seinen Zorn zugezogen, weil er ihn, als sie eine Strecke zusammen gingen, mit »allerlei Spukgeschichten« behelligte, »die hübsch klingen konnten, wenn sie nicht alle darauf hinausliefen, dass es doch kein wirklicher Spuk gewesen, sondern dass die weiße Gestalt ein Wilddieb war, und dass die wimmernden Stimmen von den eben geworfenen Jungen einer Bache (wilden Sau), und das Geräusch auf dem Boden von der Hauskatze herrührte«.
Eine gewisse Erklärung für seinen übertrieben wirkenden Zorn findet sich ein paar Zeilen später: »Solange er neben mir ging, war gleichsam die ganze Natur entzaubert, sobald er aber fort war, fingen die Bäume wieder an zu sprechen, und die Sonnenstrahlen erklangen, und die Wiesenblümchen tanzten, und der blaue Himmel umarmte die grüne Erde.« Danach folgt der erstaunliche Satz: »Ja, ich weiß es besser: Gott hat den Menschen erschaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere. Jeder Autor, und sei er noch so groß, wünscht, dass sein Werk gelobt werde.« In Gottes Memoiren, der Bibel, stehe »ausdrücklich: dass er die Menschen erschaffen zu seinem Ruhm und Preis«.
Ein verblüffender, aber letztlich naheliegender Gedanke. Gott zu sehen als einen Autor, vergleichbar einem Dichter: Gelobt werden wollen beide ob ihrer Schöpfungen! Auch Heine möchte Anerkennung, Lob, Beifall. Er bejubelt die »Herrlichkeit der Welt«, die er auf der Wanderung erfährt. Aber bitte, legt er nahe, der Leser möge auch die »Harzreise« und alles, was er sonst noch schreiben wird, lobpreisen.
Gern, Heine, notiere ich flugs. Und: Ob mein Geschreibsel bei dir Augenblinzeln oder Stirnrunzeln hervorgelockt hätte? Wer weiß!
Als Heine auf dem Brocken »in Andacht versunken« steht, hört er, dass neben ihm jemand ausruft: »Wie ist die Natur doch im Allgemeinen so schön!«
Diese Worte kommen »aus der gefühlvollen Brust« seines »Zimmergenossen«. Heine reagiert wieder einigermaßen ungnädig. Er gelangt nämlich »dadurch wieder zu meiner Werkeltagsstimmung«, war immerhin noch »imstande, über den Sonnenuntergang recht viel Artiges zu sagen«.
Ja, es ist schon so: Leute, die wie er im Harz unterwegs sind und sich auf ihre jeweilige Art freuen und ihrer Freude Ausdruck verleihen, trifft Heines Ironie unbarmherzig.
Foto: Blick vom Brocken©Augustus Tours
Info: https://www.augustustours.de/de/wanderreisen/harz.html