Serie: Unterwegs im Harz auf dem Hexen-Stieg, Teil 2/10
Thomas Adamczak
Quedlinburg (Weltexpresso) - »Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen das Urgesetz des Lebens.« (Hermann Hesse)
Heines Wanderung durch den Harz dauerte vier Wochen. Start in Osterode, über Klaustal (heute: Clausthal) nach Goslar, Aufstieg zum Brocken, Abstieg zum Unterharz, der Ostseite des Brockens, den Heine im Nachwort seiner »Harzreise« folgendermaßen beschreibt:
»Ich kann nicht umhin, hier ebenfalls anzudeuten: dass der Oberharz, jener Teil des Harzes, den ich bis zum Anfang des Ilsetals beschrieben habe, bei weitem keinen so erfreulichen Anblick wie der romantisch malerische Unterharz gewährt und in seiner wildschroffen, tannendüstern Schönheit gar sehr mit demselben kontrastiert; so wie ebenfalls die drei von der Ilse, von der Bode und von der Selke gebildeten Täler des Unterharzes gar anmutig untereinander kontrastieren, wenn man den Charakter jedes Tales zu personifizieren weiß.«
Die Täler der Ilse und der Selke habe ich bei meiner Wanderung nicht gestreift, wohl aber bin ich drei Tage an der Bode entlang gewandert. Über seine Eindrücke von der Bode schreibt Heine:
»Die düstere Schöne, die Bode empfing mich nicht so gnädig, und als ich sie im schmiededunkeln Rübeland zuerst erblickte, schien sie mir gar mürrisch und verhüllte sich in einen silbergrauen Regenschleier. Aber mit rascher Liebe warf sie ihn ab, als ich auf die Höhe der Rosstrappe gelangte, ihr Antlitz leuchtete mir entgegen in sonnigster Pracht, aus allen Zügen hauchte eine kolossale Zärtlichkeit, und aus der bezwungenen Felsenbrust drang es hervor wie Sehnsuchtsseufzer und schmelzende Laute der Wehmut.«
Diese Textstelle zeigt, wie die Stimmung auf Wanderungen, abhängig von der jeweiligen Witterung und sonstigen Umständen, rapide wechseln kann.
Der Empfang an der Bode war ungnädig, der Fluss wirkte auf den Poeten »mürrisch«, um kurz danach »mit rascher Liebe« den »silbergrauen Regenschleier« abzuwerfen. Und dann bejubelt Heine die Sonnenstrahlen, empfindet »kolossale Zärtlichkeit«, hört »Sehnsuchtsseufzer und schmelzende Laute der Wehmut«.
Was‘ ne Beschreibung eines Naturerlebnisses! Heine erläutert, wie er zu solchen euphorischen Naturbeschreibungen kommt:
»Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Erscheinungswelt mit unserer Gemütswelt zusammenrinnt und grüne Bäume, Gedanken, Vögelgesang, Wehmut, Himmelsbläue, Erinnerung und Kräuterduft sich in süßen Arabesken verschlingen.«
Wenn die Welt der Erscheinungen, beispielsweise Wahrnehmung von Natur und Landschaft, mit der »Gemütswelt« übereinstimmt, Heine schreibt »zusammenrinnt«, kann der Wanderer ein Glücksgefühl verspüren, das ihn innerlich jubilieren, jauchzen lässt. Einen solch begnadeten Wanderburschen wie Heinrich Heine drängt es, seinen liebenden Blick auf Wald und Flur in Worte zu fassen.
Zur Freude für uns Leser können wir ein doppeltes Glück empfinden, wage ich zu behaupten, wenn wir vergleichbare Naturerlebnisse erfahren und zudem in ein Büchlein wie »Die Harzreise« illern können, um staunend nachzuvollziehen, wie der Dichter das, was wir sehen, in Worte, manchmal regelrechte Zauberworte (nach Eichendorff), fasst.
Was steckt in dem Wörtchen sehen? Lassen wir den Dichter sprechen:
»Eben wie ein großer Dichter weiß die Natur auch mit den wenigsten Mitteln die größten Effekte hervorzubringen. Da sind nur eine Sonne, Bäume, Blumen, Wasser und Liebe. Freilich, fehlt Letztere im Herzen des Beschauers, so mag das Ganze wohl einen schlichten Anblick gewähren, und die Sonne hat dann bloß soundso viel Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfäden klassifiziert, und das Wasser ist nass.«
An Liebe fehlt‘s dem jungen Dichter gewiss nicht. Den Groll auf Göttingen hat er hinter sich gelassen, wenigstens tagsüber. In nächtlichen Träumen quälen ihn einige Erinnerungen an die dortige »Juristenhölle«, während seiner Wanderung aber kann er frei atmen, die Natureindrücke in vollen Zügen genießen.
An seinen Berliner Freund Moser schreibt Heine nach der Rückkehr von der Wanderung: »Ich habe zu Fuß und meistens allein den ganzen Harz durchwandert, über schöne Berge, durch schöne Wälder und Thäler bin ich gekommen und habe wieder mahl frey geathmet. Ueber Eisleben, Halle, Jena, Weimar, Ehrfurt, Gotha, Eisenach, und Kassel bin ich wieder zurückgereist, ebenfalls immer zu Fuß. Ich habe viel herrliches und Liebes erlebt, und wenn nicht die Jurisprudenz gespenstisch mit mir gewandert wäre, so hätte ich wohl die Welt sehr schön gefunden. Auch die Sorgen krochen mir nach.« (HSA 20,187 ; HSA ist die Abkürzung der Säkularausgabe: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse, Berlin/Paris 1970 ff.)
Am besten wäre es, liebe Leserin, lieber Leser, Sie würden jetzt selber die »Harzreise« zur Hand nehmen, um zu entdecken, wie Heinrich Heine in seiner Reisebeschreibung Natureindrücke schildert. Doch wenn Sie die Lektüre gerade nicht griffbereit haben und Sie sich mit einigen wenigen Beispielen begnügen wollen, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, wenn Sie die folgenden Textstellen lesen oder gar jemandem, der ein Ohr für solche Beschreibungen hat, vorlesen.
Sie sollten diese Textstellen allerdings ohne zu zögern überspringen, wenn Sie gar nicht gerne wandern, Naturphänomene doof finden oder was Besseres zu tun haben.
Heine kam nach Goslar, »ohne zu wissen wie. Nur so viel kann ich mich erinnern: ich schlenderte wieder bergauf, bergab; schaute hinunter in manches hübsche Wiesental, silberne Wasser brausten, süße Waldvögel zwitscherten, die herben Glöckchen läuteten, die mannigfaltig grünen Bäume wurden von der lieben Sonne goldig angestrahlt, und oben war die blauseidene Decke des Himmels so durchsichtig, dass man tief hineinschauen konnte bis ins Allerheiligste, wo die Engel zu den Füßen Gottes sitzen und in den Zügen seines Antlitzes den Generalbass studieren.«
»Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Gespenster beim dritten Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und vor mir schwebte die schöne Sonne, immer neue Schönheiten beleuchtend. Der Geist des Gebirges begünstigte mich ganz offenbar; er wusste wohl, dass so ein Dichtermensch viel Hübsches wiedererzählen kann, und der ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiss nicht jeder sah.«
»Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Überall schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schönsten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern, bewachsen. Liebliche Kühle und träumerisches Quellengemurmel.«
»An manchen Orten sprudelt das Wasser aus den Steinen und Wurzeln stärker hervor und bildet kleine Kaskaden. Da lässt sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar, die Vögel singen abgebrochene Sehnsuchtslaute, die Bäume flüstern wie mit tausend Mädchenzungen, wie mit tausend Mädchenaugen schauen uns an die seltsamen Bergblumen, sie strecken nach uns aus die wundersam breiten, drollig gezackten Blätter, spielend flimmern hin und her die lustigen Sonnenstrahlen, die sinnigen Kräuzlein erzählen sich grüne Märchen, es ist alles wie verzaubert, es wird immer heimlicher und heimlicher, ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erscheint - ach, dass sie so schnell wieder verschwindet.« Fortsetzung folgt
Foto: Ausblick am Harzer Hexen-Stieg©Augustus Tours
Info: https://www.augustustours.de/de/wanderreisen/harz.html