Serie: Unterwegs im Harz auf dem Hexen-Stieg, Teil 9/10

Thomas Adamczak

Quedlinburg (Weltexpresso) - Heine beschließt sein »Fragment mit folgenden Worten:
»Es ist der 1. Mai, der lustigste Ladenschwengel hat heute das Recht, sentimental zu werden, und dem Dichter wolltest du es verwehren?«


Im Absatz unmittelbar davor gesteht er, dass er »nicht mehr weiß, wo die Ironie aufhört und der Himmel anfängt«. Er schwankt also zwischen »Ironie« und »Sentimentalität«, ohne sich letztlich entscheiden zu wollen, ob er in der »Harzreise« das eine oder andere präferieren sollte, was den Text insgesamt aber eher gut getan hat. Die »Harzreise«, schreibt Heine, »ist und bleibt« ein Fragment, und »die bunten Fäden, die hübsch hineingesponnen sind, um sich im Ganzen harmonisch zu verschlingen, werden plötzlich, wie von der Schere der unerbittlichen Parze, abgeschnitten.«

Heine hat offensichtlich das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, sich zu erklären. Er wollte den »Unmut, den ich in Göttingen im Allgemeinen hege«, zurücklassen, betont allerdings im Nachspann seine Verehrung für einige Menschen in Göttingen. Er will auf der »Harzreise« unbedingt positiv denken, sieht überall »die grüne Farbe, die Farbe der Hoffnung« und wünscht sich sehnlichst: »auch mein Herz will wieder blühen«.

Am letzten Tag der Wanderung hat die Sonne »kaum die Hälfte ihres Weges zurückgelegt, und mein Herz duftet schon so stark, dass es mir betäubend zu Kopfe steigt«. Diese Gestimmtheit  erklärt vielleicht, dass er hopplahopp über die (angeblich) »ergötzlichen Blocksberggeschichten« hinweggeht und ihm zu »Faust« gerade mal der »Pferdefuß« von Mephisto einfällt, der neben ihm »humoristisch Atem schöpfte«, als er den Brocken erstieg.

Ist diese Passage als Heinesche  Ironie zu verbuchen oder als Ausdruck der Sehnsucht seines Herzens, das blühen, duften und wie er selbst »zerrinnen möchte in süße Arome, in die unerschaffene Gottheit«?

Heine streift lediglich, wie angeführt, die »große, mystische, deutsche Nationaltragödie vom Doktor Faust«. Zeit und Gelegenheit also, die sich auf Harz und Brocken beziehenden Teile des »Faust«, insbesondere die »Gretchentragödie« und die »Walpurgisnacht«, in Erinnerung zu rufen und zu vergegenwärtigen.

Nach der Harzsage gilt der Blocksberg in der Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai als Herrschaftsbereich des Satans (siehe dazu: Johann Wolfgang Goethe, Faust, Texte und Kommentare, herausgegeben von Albrecht Schöne, Deutscher Klassiker Verlag, zwei Bände).

Höhepunkt des »Hexensabbat« ist die »Huldigung der Versammelten vor dem Satan, die in einem sakramentale Afterkuss gipfelt«. Häufig folgte dann eine Predigt des Satans und eine »Sabbatrunde« mit »einem ekstatischen Ringstanz, welcher übergeht in eine kollektive sexuelle Orgie, mit der sich Männer wie Weiber dem Bösen leibhaftig zu eigen geben« (Schöne, Kommentarband, 344). Goethes Plan war ursprünglich, diese Satansmesse in »Faust I« samt einer »daran anschließenden Hochgerichtserscheinung (eines phnatasmagorischen Schauprozesses gegen die »Hexe« Margarete) aufzunehmen. Dann hätte die »Walpurgisnacht« ein »Contrapunkt und Gegenstück« (Riemer 1836) zum »Prolog im Himmel« sein können.

Das Erlösungsversprechen des e i n e n Herrn hätte mit dem »Auftritt des Gegenspielers, des satanischen Gegengottes, eine dualistische Grundspannung« (.a.a. O., 344) gewonnen, welche die Faust drohende Gefahr, »leibhaftig dem Bösen zu verfallen«, hätte plausibel erscheinen lassen.

In der 1.8.1808 veröffentlichten und von Goethe beibehaltenen Fassung deutet er die Gefahr an, in welcher Faust schwebt, als dieser unbedingt zu sehen verlangt, was auf dem Gipfel des Brocken geschieht.

Faust:
»Dort strömt die Menge zu dem Bösen.
Da muss sich manches Rätsel lösen« (4037 f.)

Faust will bei der Satansmesse dabei sein, lässt sich aber von Mephisto von diesem Vorhaben abbringen, verzichtet  auf die »große Welt«, um sich »im Stillen« zu begnügen.
Dadurch »verläppert« sich die Szene, wie Schöne bedauernd konstatiert.

Faust und Mephisto begnügen sich mit wenig aufregenden »Feuerchen unterhalb des Gipfels« und dem »Prater des Blocksberg-Theaters«.

In einem Brief vom 8. Februar 1816 an Woltmann begründet Goethe, warum er von seiner ursprünglichen Konzeption abgewichen ist. »Übrigens will die Klugheit und die Liebe zum Frieden, daß ich ein Bändchen Paralipomena und so manches andre von der Hand sekretiere, welches alles, nach meinem seligen Hintritt, Ihnen empfohlen sein soll.«

Albrecht Schöne kommt das Verdienst zu, in seiner Faustausgabe diese »Satans-Paralipomena« unzensiert abgedruckt und in »eine Bühnenfassung der Walpurgisnacht eingebracht« zu haben, »die die ausgeführten Teile des ursprünglichen Plans untereinander und mit dem von Goethe veröffentlichten Text dieser Szene zusammenbringen könnten«.

Aus dieser »Bühnenfassung« seien hier drei erhellende Textstellen wiedergegeben:
Die ersten beiden verdeutlichen die zentrale Heilsverkündung der »satanischen Bergpredigt«: Streben nach Gold, also unbegrenztem Reichtum, und hemmungslose, tabulose Geschlechtlichkeit.


»SATAN rechts gewendet
Euch gibt es zwei Dinge
So herrlich und groß:
Das glänzende Gold
Und der weibliche Schoß.
Das eine verschaffet,
Das andre verschlingt.
Drum glücklich, wer beide
Zusammen erringt!
…..
SATAN links gewendet
Für euch sind zwei Dinge
Von köstlichem Glanz:
Das leuchtende Gold
Und ein glänzender Schwanz.
Drum wisst euch, ihr Weiber,
Am Gold zu ergötzen
Und mehr als das Gold
Noch die Schwänze zu schätzen.«

(Schöne, Textband, 747 f.)

Die nächste Textstelle enthält den Sprechchor der Franziskaner-und Dominikanerinquisitoren. Diesen beiden Orden, für Schöne »die Theoretiker und Praktiker der Hexenbekämpfung und Hexenverfolgung«, oblag die Inquisition. Goethe lässt den »BlutQuell Margarete« mit diesen gewaltigen Schlussversen »in den reißenden Blut-Strom der europäischen Hexenverfolgung« einmünden. (Schöne, Kommentarband, 941)

»Wo fließet heißes Menschenblut
Der Dunst ist allem Zauber gut.
Die grau und schwarze Brüderschaft
Sie schöpft zu neuen Werken Kraft.
Was deutet auf Blut, ist uns genehm,
Was Blut vergießt, ist uns bequem.
Um Glut und Blut umkreist den Reihn
In Glut soll Blut vergossen sein!

Der Kopf fällt ab.
Das Blut springt und löscht das Feuer.«

Nachdem Gretchens Kopf auf dem Richtblock gefallen ist, ruft die »graue und schwarze Brüderschaft« triumphierend und drohend zugleich:

»Ein Blutquell rieselt nie allein
Es laufen andre Bächlein drein
Sie wälzen sich von Ort zu Ort
Es reißt der Strom die Ströme fort!«

(Schöne, Textband, 753)

Dem Vorwurf, er erweise sich in »Faust« nicht als überzeugter Christ, entgegnet Goethe:
»Ich heidnisch? Nun, ich habe doch Gretchen hinrichten …lassen, ist denn das den Leuten nicht christlich genug? was wollen sie noch Christlicheres?«  (Kommentarband, 941) Fortsetzung folgt



Foto: Goethe über das Höchste ©Thomas Adamczak

Info: https://www.augustustours.de/de/wanderreisen/harz.html