Serie: Unterwegs im Harz auf dem Hexen-Stieg, Teil 8

Thomas Adamczak

Quedlinburg (Weltexpresso) - Im Brockenmuseum stößt man neben den Erklärungen zur Hexenverfolgung auf außerordentlich eindrucksvolle Zitate zu Naturphänomenen von ganz unterschiedlichen Autorinnen und Autoren. Einige dieser Zitate wurden den einzelnen Abschnitte dieses Berichts vorangestellt. Sie wurden dem Autor vom Brockenmuseum freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

 

Im Museum finden sich diese Zitate auf der Folie eindrucksvoller Waldansichten (siehe Foto ).

 

Mit den Erklärungsansätzen zur Hexenverfolgung folgt das Brockenmuseum vermutlich den Thesen der Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, die einen „unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Hexenverfolgung und dem Wissen um die Möglichkeiten und Praktiken von Geburtskontrolle durch Empfängnisverhütung und Abtreibung“ konstruieren. Sie meinen ein „Wissen, das bei den weisen Frauen, den Heilerinnen, vor allem den Hebammen, konzentriert gewesen und angeblich durch die Hexenverfolgung beseitigt worden sei“ (Franz Irsigler, Historisches Museum, Berlin – Ausstellung Hexenwahn – Ängste der Neuzeit). Franz Irsigler hält das für „abstruse Thesen“. Die Bremer Soziologen könne man „als Historiker … vergessen“, als „Demagogen“ dagegen müssten sie „weiterhin ernst“ genommen werden.

 

Trotz der „vernichtenden Kritik, die von Heinsohn und Steiger wütend zurückgewiesen, aber in keiner Weise widerlegt“ worden sei, fänden „ihre Thesen bei unkritischen oder militant-feministischen Leserinnen und Lesern immer noch Gefallen und Zustimmung“ (a.a.O.).

 

Nach Irsigler belasten die Thesen der Bremer Soziologen „den notwendigen und sinnvollen Dialog zwischen seriöser wissenschaftlicher Forschung und einem an den Themen Hexen und Hexenwahn tief interessierten Publikum“. Der massenpsychologisch zu deutende Hexenwahn sei „Symptom und gleichzeitig Ventil in einer absoluten Krisensituation auf wirtschaftlich-sozialer, religiöser und mentaler Ebene“, aber nicht Ergebnis eines „kühl-rationalen Komplotts von eindeutig männlich bestimmten Eliten im religiösen und politischen Bereich“, die die schwache Position von Frauen in der Gesellschaft „zementieren wollten“.

 Na, da knallt’s ganz schön im Wissenschaftsbetrieb, denkt man sich als Wanderer, der gewillt ist, sich dem Phänomen „Hexenverfolgung“ ein wenig zu nähern.

 

Ich hatte mich, gestehe ich frank und frei, bei meiner Wanderung hauptsächlich auf Heines »Harzreise« eingelassen und eingestellt. Die Hexenthematik begleitete mich zwar während der ganzen Wanderung, schließlich heißt der Weg »Hexen-Stieg«, da Hexen aber in Heines »Fragment« eine untergeordnete Rolle spielen, meinte ich sie vernachlässigen zu können. Ein Irrtum! Nach dem Besuch des Brockenmuseums habe ich der Hexenthematik Gewicht beigemessen. Bei der Wanderung verwundert den konsumskritisch eingestellten Wanderer irgendwann die zugemutete Infantilisierung des Phänomens. Dutzende von klitzekleinen, mittelgroßen oder größeren Hexen nebeneinander hängen zu sehen, irritiert. Wenn dann auch noch lebensgroße Hexenpuppen von Bäumen herunter grinsen, auf Dächern hocken, in den Gassen vor jedem soundsovielten Haus stehen, wird eine Grenze überschritten. Übermaß tut selten gut, haben schon die Eltern gepredigt.

 

In der lesenswerten Fachzeitschrift „Geschichte lernen“ Nr. 107/2005 »Hexenverfolgung« stoße ich auf die Information, dass der Quedlinburger Stadtsyndikus Gottfried Christian Voigt errechnet hat, insgesamt seien »neun Millionen Hexen« Opfer des Verfolgungswahns geworden. Der Stadtsyndikus hat diese Zahl aufgrund falscher Grundlagen ermittelt. Dennoch wird er immer wieder zitiert. In der Nazizeit sahen Arthur Rosenberg und Mathilde Ludendorff in der römisch-katholischen Kirche die Ursache der angeblichen Ermordung von »neun Millionen Menschen germanischen Blutes« in der Zeit der Hexenverfolgung. Heinrich Himmler rief einen »H(exen)-Sonderauftrag ins Leben«, um nachweisen zu lassen, dass außer der katholischen Kirche auch das Judentum den Tod von neun Millionen Hexen zu verantworten hätte.

 

Die Zahl neun Millionen ist unhaltbar, möchte ich nochmals betonen, aber sie ist offensichtlich nicht totzukriegen. Gibt es überhaupt gesicherte Erkenntnisse, wie viele Menschen der menschenverachtenden Hexenjagd zum Opfer fielen? Franziska Conrad spricht in ihrem informationsreichen Aufsatz »…daß Hexen nicht allein zu meiden, sondern auch zu töten seien« von 40.000-50.000 Opfern des Hexenwahns (in: »Geschichte lernen«, s.o.).

 

Angesichts dieser unfassbar hohen Zahl von Opfern verspürt man ob der Bezeichnung »Hexen-Stieg« durchaus zwiespältige Gefühle.

 

Der Forschungsstand zur abendländischen Hexenverfolgung ist, schreibt Conrad, mittlerweile kaum noch »überschaubar«. Die Gründe für die Verfolgung von Menschen als Hexen seien höchst komplex. Es gibt dazu harsche wissenschaftliche Kontroversen (siehe oben). Divergierende Ergebnisse müssten zur Kenntnis genommen werden. Immerhin gilt wohl als gesichert, folgt man Franziska Conrad, dass als Folge der „Kleinen Eiszeit“ im sechzehnten Jahrhundert Krisen als Auslöser der Verfolgungswelle angenommen werden können. Es kam zu Überschwemmungen, und es herrschten widrige Witterungsverhältnisse: So gilt 1628 als »Jahr ohne Sommer«, der Mai 1628 war durch Hagel und Frost geprägt.

 

Daraus resultierten Knappheitskrisen und damit verbunden Teuerungswellen. Epidemien, Seuchen häuften sich. Die Existenzangst der durch Reformation und Gegenreformation sowie Kriege verunsicherten Menschen stieg. Höhepunkt der Hexenverfolgung sind die Jahre 1625-1630.

 

Allein im Jahre 1628 sind im Hochstift Bamberg 600 und im Hochstift Nürnberg 9000 Hexenverbrennungen nachgewiesen. In dieser für viele Menschen bedrückenden, Affekte freisetzenden Situation ließen sich verstärkt Verfolgungswünsche mobilisieren, wurden Sündenböcke gesucht, kam es zu quasi fundamentalistischen und hysterischen Reaktionsweisen.

 

Beispiele für Formulierungen in der propagierten Hexenjagd: gefordert wurde von den potentiellen Tätern »Vernichtung des Ungeziefers«, »Ausrottung des Unkrauts mit Stumpf und Stiel«.

 

Zeitgenössische Gegenstimmen, die sich für »Unschuldige« oder »schuldlose Menschen«, für die »Beachtung der christlichen Nächstenliebe« einsetzten, gingen in einer Atmosphäre des Irrationalismus und der Massenhysterie unter. Fortsetzung folgt

 

 Foto: Rilkegedicht©Brockenmuseum

 

Info: https://www.augustustours.de/de/wanderreisen/harz.html