Serie: „Allzunah“ - Unterwegs auf dem Rennsteig, Teil 1/4
Thomas Adamczak
Eisenach (Weltexpresso) - Das vorweg; das vor allem. Sie waren noch nicht auf dem Rennsteig? Nein? Wirklich? Dann haben Sie noch ein wunderbares Ziel vor sich. Eine Rennsteigwanderung lohnt sich allemal, allein wegen der vielfältigen Eindrücke von Land und Leuten.
Es gibt Erlebnisse, die sich einprägen. Das ist bei einer mehrtägigen Fernwanderung nicht anders zu erwarten.
Beim Rennsteig ist ein in meiner Erinnerung haftender Eindruck, um mit dem einzigen störenden Eindruck wie mit der Tür ins Haus zu fallen, dass die ausgeschilderte Wanderroute mehr, als es dem Wanderer lieb sein kann, direkt an Hauptstraßen liegt. Folge: unangenehmer Verkehrslärm der - nicht etwa wie man sich das wünscht: vorbeihuschenden - Autos, Lastwagen, Motorräder.
Fernwanderungen erfreuen sich ja gerade deshalb zunehmender Beliebtheit, weil viele Mitmenschen dem ausufernden Mobilitätswahn wenigstens für eine Weile entkommen möchten. Mein zeitweiliger Groll wegen der Wegeführung erreichte beim Örtchen Allzunah, das zwischen Stützerbach (bekannt wegen eines Goethemuseums) und Frauenwalde (sehenswert: Bunkermuseum) liegt, den Höhepunkt, durch den verblüffenden Ortsnamen trefflich auf den Punkt gebracht. Der Rennsteig verläuft häufig allzunah an Hauptstraßen. Zwar gibt es ausgewiesene Alternativrouten, aber insgesamt noch zu wenige.
Wikipedia informiert folgendermaßen über den Ort Allzunah: »Allzunah ist eine der jüngsten Siedlungen am Rennsteig. Der Ursprung des Ortes war eine Glashütte. … 1710 findet sich die Bezeichnung ´Glashütte zu Allzunahe`.« Die Besitzer einer Glashütte in Stützerbach waren offensichtlich der Meinung, die benachbarte Glashütte liege zu nahe an der eigenen. So soll der Ortsname entstanden sein.
Warum nur warum, fragt sich der aus idyllischer Waldeinsamkeit heraustretende Wanderer, führt denn der Wanderweg schon wieder an einer dieser verflixten Hauptstraßen entlang?
Dieser Bericht über die Wanderung auf dem Rennsteig soll ja, wie bereits gesagt, für diesen Weitwanderweg Deutschlands werben. Also will ich anfügen, wie sich mein Groll besänftigen ließ.
Wer sich auf die Rennsteigtour begibt, erfährt auf Informationstafeln, dass dieser Wanderweg nicht künstlich oder gar neu angelegt wurde. »Er war Grenz-, Kurier-und Handelsweg - ein mit historischen Grenzsteinen markiertes Zeugnis deutscher Geschichte.« Dieser älteste und bekannteste Fernwanderweg in Deutschland führt auf 169,3 km von Hörschel bei Eisenach bis nach Blankenstein.
In Hörschel, dort ist der Beginn der Wanderung, tauchen Wanderer nach alter Tradition den Wanderstock in das Wasser der Werra und nehmen, weil dies Glück bringen soll, einen Kieselstein mit, der am Ende der Wanderung in die Selbitz geworfen wird.
Entstehung und ursprüngliche Bedeutung des Rennsteigs ließen sich bis heute nicht eindeutig klären. Er ist vermutlich ein Steig eines uralten, weitverbreiteten Wegnetzes, auf dem »eilige Nachrichten von Boten und Reitern überbracht wurden«.
Für die Beibehaltung des Verlaufs des historischen Wanderweges spricht, dass am Rennsteig einst 1.007 Länder-und Ämtergrenzsteine standen. Derzeitig sind wohl nur noch 799 dieser Steine vorhanden. Darunter befinden sich zahlreiche Wappensteine, in besonders hoher Konzentration zwischen dem Großen Dreiherrenstein (Kilometer 84,5) und dem Kurfürstenstein (Kilometer 146,0). Die Grenzsteine stehen wie der gesamte Rennsteig unter Denkmalschutz. Bei Konzeption und Bau der Straßenverbindungen orientierte man sich offensichtlich an den Grenzsteinen des alten Handelsweges. Deswegen also immer mal wieder die Nähe des Steigs zur Haupstraße!
Seit dem 28. April 1990 kann dieser imposante Höhenweg wieder in der gesamten Länge abgewandert werden. Zur Zeit der deutschen Teilung war der Rennsteig auf thüringischer Seite (nur ein kleiner Teil liegt auf bayerischem Gebiet) nicht zugänglich. Zur Eröffnung des Rennsteigs kamen 3000 Wanderer nach Brennersgrün, um aus voller Brust das Rennsteiglied zu schmettern und festlich zu begehen, dass der Mythos Rennsteig nach über vierzig Jahren wieder auflebte, der ehemalige Handelsweg zwischen Werra und Saale endlich wieder begehbar war.
Im Jahre 1896 wurde der Rennsteigverein gegründet. Zu Ehren der zweiten Wanderung des Rennsteigvereins von Blankenstein nach Hörschel im Jahre 1898 hatten Forstleute an einer mächtigen Buche eine Bank für einen Rastplatz gezimmert und eine Tafel mit folgender Aufschrift angebracht:
Hier rastet ihr Renner!
Auf der Bank Euch geweiht,
Doch bedenkt Ihr Männer s‘ ist Frühschoppen Zeit!
Am Rennsteig, an der Rodacher Quell,
Winkt frischer Anstrich, kühl, goldig und hell!
28. Mai 1898
Ein dekuvrierender Text! Offenkundig waren damals nur männliche Wanderer vorstellbar. Frauen waren nach dem Verständnis der trinkfreudigen Wandergesellen nicht erwähnenswert. Das ist heutzutage - zum Glück, muss ich einfach einfügen - anders.
Es gibt sehr wohl Frauen, die allein auf dem Rennsteig unterwegs sind, auch etliche Frauen, die zu zweit oder in Gruppen den Rennsteig abwandern. Allerdings habe ich keine einzige verschleierte Frau gesehen.
Ob es dauert noch einmal einhundert Jahre dauern wird, bis sich das ändert? Vielleicht tragen muslimische Frauen dann keine oder kaum noch Kopftücher. In einem Interview mit Klaus Theweleit (»Männerfantasien«, »Das Lachen der Täter«) lese ich über den Einzug der »Nationen« ins Olympiastadion in Rio: »Fast keine der muslimischen Frauen aus einhundert muslimischen Ländern zeigte sich mit Kopftuch, außer den Frauen aus Iran.« (ak 618, August 2016)
Es besteht also Hoffnung!
In der Türkei gibt es den berühmten Lykischen Weg, der zu den schönsten Langstreckenwanderungen der Welt zählt. So selbstverständlich, wie dort Frauen aus allen möglichen Ländern unterwegs sind, sollten irgendwann Frauen aus muslimischen Ländern –wenn sie mögen, allein gehend - den Rennsteig für sich erkunden können, was voraussetzt, dass sich auch (!) diese patriarchalischen Gesellschaften grundlegend verändern.
Wie um alles in der Welt kommt der Autor dieser Zeilen denn in einem Bericht über den Rennsteig auf den Islam zu sprechen? Ist doch an den Haaren herbeigezogen, denken sich Leser*innen. Tja warum?
Wahrscheinlich bin ich durch den Besuch im Luther- und Bachmuseum in Eisenach auf diesen vielleicht doch nicht haarsträubenden Einfall gekommen.
Fortsetzung folgt
Foto: Impression vom Rennsteig ©Thomas.Adamczak
Info: https://www.thueringen-entdecken.de/urlaub-hotel-reisen/index.html
https://www.thueringer-wald.com/urlaub-wandern-winter/wandern-110237.html