Serie: „Allzunah“  - Unterwegs auf dem Rennsteig, Teil 2/4


Thomas Adamczak  

Eisenach (Weltexpresso) - Im Lutherhaus, einem der  der ältes­ten und schöns­ten Fach­werk­häuser Thürin­gens, wird dem Besucher das „Herzstück der Reformation“ vermittelt.  Nach einem Satz im Römerbrief seien nicht die Werke und Leistungen vor Gott entscheidend, sondern „vertrauender Glaube“.

In dem Satz findet sich  Luthers Antwort darauf, dass er fürchtete, vor Gott nicht bestehen zu können. „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ (Römer 3,28).

Um die Bedeutung Luthers zu unterstreichen, werden u.a. Aussagen von Goethe, Heine, Kierkegaard, Hegel zitiert:

„So sind denn die Deutschen ein Volk erst durch Luthern geworden.“ (Goethe)
„Wer über die deutsche Literatur reden will, muss mit Luther beginnen.“ (H. Heine)
„Ach, Luther ist doch ein Meister aller Meister.“ (Kierkegaard)
Für Hegel ist die Übersetzung der Bibel in die die deutsche Sprache (genauer: die sächsische Kanzleisprache), bei der Luther übrigens ein Team von Fachleuten half, eine „der größten Revolutionen“.

Man erfährt allerdings auch, dass Luther judenfeindliche Schriften verfasst hat, die in der  NS-Zeit gezielte Verbreitung fanden. Hitler berief sich auf diese, wenn er frech behauptete, indem er sich „des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“.

In der Sonderausstellung „Luther, Bach und die Juden“ (24.6. – 6.11.2016) im Bachhaus zu Eisenach erfährt man Näheres über diese berüchtigten „judenfeindlichen Schriften“ Luthers. „Martin Luther hatte 1543 dazu aufgerufen, die Synagogen der Juden zu verbrennen und sie aus dem Land zu treiben: „Drum immer weg mit ihnen!“. Luthers ….  Judenhass und sein Aufruf zur Gewalt an Juden blieben über Jahrhunderte in der lutherischen Kirche und in den Gebieten der Reformation wirksam. Heute hat sich die Evangelische Kirche von diesem Teil von Luthers Lehre verabschiedet und betrachtet seine antijüdischen Schriften als ´Dokumente der Schande`.“

„Dokumente der Schande“! In den antijüdischen Hetzschriften erhebt Luther gegenüber den Juden drei ungeheure, heute unfassbare Vorwürfe: Sie zeigten „giftigen Hass“ gegenüber Christen, wären „unsere täglichen Mörder und blutdürstigen Feinde“, stünden für „Ritualmorde“, „Hostienfrevel“, „Brunnenvergiftung“.


Bachs Musik verleiht, das erfährt man in der Ausstellung, „dem unaufgeklärten Luthertum des Barock … eine Stimme und macht auch dessen antijüdische Botschaften weiter hörbar, wie die Rezeptionsgeschichte besonders von Bachs Passionen beweist“. In den Passionen zeige sich  fanatischer Hass in verschiedensten Schattierungen.


Luther, ein Wegbereiter des Holocaust? Empörte bis wütende Stellungnahmen im ausliegenden Gästebuch im Bachhaus legen nahe, dass diese Schlussfolgerung nicht zu weit hergeholt ist.


Und nun zurück zu dem Einfall mit der Muslima, die  wie jeder Mensch nicht nur auf dem Lykischen Weg, sondern auch auf dem Rennsteig oder anderen Wanderwegen unbesorgt wandern können sollte.


Nach neueren Identitätstheorien wie etwa der des französischen Soziologen Jean-Claude Kaufmann muss man sich Identität als Prozess vorstellen, lese ich in der taz vom 24/25.9.2016  (D. Knipphals, „Das Europäische in uns“), der nicht von außen vorgegeben wird, „sondern in dem die einzelnen Menschen ihrem Leben immer wieder aufs Neue und teilweise auch nur versuchsweise eine Einheit geben.“ Das sei anstrengend, ermögliche aber Emanzipationsgewinne. Ein Leben ohne Kinder sei dann genauso selbstverständlich wie eins mit Kindern und man werde nicht von „vornherein auf seine Religion, seine Herkunft, seine Klasse, seine Abstammung oder seine sexuelle Orientierung festgelegt“.


Die Rennsteigwanderung hat einen eigenen Namen, den Eingeweihte gern benutzen. Sie heißt Runst.  Gegrüßt wird mit »Gut Runst«. Runst leitet sich von rennen her, wie Kunst von können kommt, erklärt mir eine Frau aus Magdeburg, die mit dem Fahrrad auf dem Rennsteig unterwegs ist.

Eine der eindrucksvollsten Erfahrungen auf dem Rennsteig ist die Konfrontation mit Spuren der ehemaligen DDR-Grenze. Auf einer Tafel unmittelbar an der ehemaligen Grenze steht:
»Am 6. Oktober 1984 flüchtete hier, an der Führungsstelle der DDR-Grenzkompanie Spechtsbrunn, der Leutnant Ralf Wolter. Nach dem Mauerfall erklärte er in einem Interview folgendes: „Bei der Ausbildung hieß es: Was zählt, ist, dass man den Flüchtling aufhält. Wenn der Warnschuss später kommt als der Zielschuss, ist es auch egal. Hauptsache, die Flucht ist verhindert. Wenn einer danebengeschossen hätte - das hätte keine Folgen gehabt. Man wäre vielleicht von der Stasi verhört worden, aber sonst wäre nichts weiter passiert. Man hätte vorher auch nur sagen brauchen, dass man nicht auf Menschen schießen kann, und man wäre sofort in die Küche oder sonst wohin gekommen, weg vom Grenzdienst. Ich weiß nicht, ob die Soldaten in der Regel ein Unrechtsbewusstsein hatten - ich glaube schon. Trotzdem machten alle mit. Es war ein kollektiver Wahn.“

Diese Aussage wird unter anderem bestätigt durch den Befehl 1/84 des Sonneberger Regimentskommandeurs: Bei „Ablehnung der Anwendung der Schusswaffe“ sei die  „Versetzung aus grenzsichernden Einheiten“ notwendig. ( Roman Grave: „Die Grenze durch Deutschland“; Siedler-Verlag 2002)

Eine überraschende Pointe liefert eine ganz andere Tafelaufschrift, die älteren Datums ist: »Bist du beim Wandern ganz allein, fällt dir so manche deiner Sünden wieder ein.« Ob nun eigene »Sünden« oder Verfehlungen anderer, das Grüne Band, das die gesamte ehemalige innerdeutsche Grenze als Perlenkette von Biotopen miteinander verbindet, lädt den Wanderer zu den unterschiedlichsten Gedankenspielen ein, auch über Abgründe der deutschen Geschichte.

In den Jahren von 1961 - 1989 wurde dieses Gebiet kaum betreten. Alles hat zwei Seiten, sagt eine schlichte, oft zutreffende Volksweisheit. Während eine mit viel politischen Querelen und menschlichen Leiden verbundene waffenstrotzende Grenze völlig willkürlich bis dahin zusammengehörende Regionen zerriss, gab es in der Abgeschiedenheit wild lebender Tiere und wild lebender Pflanzen, denen die Anwesenheit der Menschen nicht gut tut, eine jahrelange Erholungspause von den Zumutungen der Moderne.

Neben natürlich wachsenden Bergmischwäldern finden sich Quellfluren oder Bergbäche, die ohne das erzwungene Moratorium kaum noch vorzufinden wären.

Zu entdecken sind zudem wertvolle Biotope, die vormals durch menschliches Wirken entstanden sind: Flussteiche - Zeugen von Flößerei, eine früher im Frankenwald gängige Art des Holztransports - sowie kleine erhaltene Steinbrüche. »All diese Biotope sind das Zuhause von Tieren und Pflanzen, die ohne die hier gegebenen besonderen Bedingungen nicht auskommen und deshalb anderswo keinen geeigneten Platz zum Leben mehr finden. Hierzu gehören gefährdete Arten wie beispielsweise Baummarder, Hohltaube und Sperlingskauz.« (Auszug aus einem Informationstext am Grünen Band auf dem Rennsteig).

Was’n Unterschied, diese Redundanz sei mir gestattet, das Wandern innerhalb des Grünen Bandes und das Gehen neben einer relativ verkehrsreichen Hauptstraße!
Überhaupt die Wege: auf einigen, allerdings kurzen Strecken ist der Rennsteig breit wie eine Autobahn, so dass Wandergruppen von 8 bis  10 Teilnehmern locker nebeneinander laufen könnten. Zudem gibt es  enervierende Schotterwege, welche die  Wanderschuhe, die Füße darin und die dazugehörenden Menschen aufstöhnen lassen. Dann wieder herrliche Pfade und Waldwege, wie man sie sich durchgängig für solch eine Wanderung wünscht.



Foto: Rennsteig ©Thomas.Adamczak

Info: https://www.thueringen-entdecken.de/urlaub-hotel-reisen/index.html
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