Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Finanzkapitalismus ist der unerklärte Feind der Altwelt der Menschheit, die durch Achtsamkeit und mitunter heilsames Wirken geprägt war, besonders nochmal als die jugendpolitische Bewegung der 68er eine Wendung gegen das Establishment organsierte. Davon ist einiges geblieben, aber es bleibt zu wenig.
Es gibt Ausflügler in den Finanzkapitalismus – er ermöglicht schnelles Geld ohne jegliche Wertschöpfung, man braucht nicht mal welches zu haben -, die sich, nachdem in ihnen wieder Vernunft eingezogen war, vom Moloch abgekehrt haben und die Sache jetzt kritisch sehen. Diese seltenere Art kommt im Film System Error auch vor.
Stewart Cowley war beim ‚Tanz der Geier‘ (Titel eines anderen Films) dabei. „Es war wie der Wilde Westen“, es war die Ära von Thatcher, dem Big Bang und Ronald Reagan. Die Devise war „Let the Money flow and see what happens“. Cowley bedient spätestens seit 2016 lieber die Gitarre, statt noch in der Londoner City als Fondmanager tätig zu sein. Die 80er waren eine Zeit des Backlash gegen die sanfte Zeit der Hippies und studentischen Rebellen. Die Kreditaufnahme explodierte, sie zog nicht nur die Bewegten des Finanzsektors in ihren Bann, auch das einfachere Volk entdeckte die Kreditkarte, nutzte die Möglichkeit der Überziehungs- und Konsumentenkredite, wie es auch in den USA heute dem Lifestile gemäß ist. Niemand habe mehr gesagt: heute habe ich kein Geld, um ins Kino oder essen zu gehen. Die Finanztransaktion hat inzwischen aber den Ruch des Pokers und Glücksspiels nicht mehr, es wird fieberhaft nach Wahrscheinlichkeiten gehandelt, die Hochleistungscomputer scheinen es möglich zu machen.
Rundweg Erstaunen erzeugt der unvermittelte Filmausschnitt mit einem viel jüngeren Donald Trump, der angibt, er habe stets nur versucht, zu bekommen, was er wollte. Trump hat zur damaligen Zeit heruntergekommene Grundstücke erworben und auf diesen Luxusappartements und Hotels gebaut. Und eben dies läuft heute besser denn je, um eine Immobilienblase aus himmelstürmenden Hochhäusern zu generieren, mit Bauten, die eine Konzession an den neuen Adel der Geldproleten sind. Trump damals: „Incredible Place – Manhattan!“. So geriet der Geist aus der Flasche und damit auch die Illusion der Sicherheit, es gehe immer so weiter. Dies eben schließt der Wachstumsbegriff auch ein. Er könnte sich als die letzte der Illusionen erweisen.
Nicht ohne aufklärerischen Reiz sind auch Standpunktabgaben aus dem Kreis des Hauses Bloomberg, dem bedeutenden Informationsdienstleister, um die Person Simon Kennedy etwa, Chairman von Evidera. Die Weltgeschichte habe doch immer ‚hinbekommen‘. Eine zeitlang steigen Manien auf und stürzen dann ab (was auch Marx in Studien nachzeichnete). Es gilt die simple Formel: Je mehr Geld im Finanzsystem, umso mehr auch Wachstum in diesem. Kritiker Jackson moniert: und Reiche wurden ‚immer schneller immer reicher‘. Die Verzinsung drängt noch in die letzten Winkel der Erde, die Welt wird für den Kapitalismus zu klein (Marx: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen“).
Problem nur: Die Hetzjagd nach dem Profit wird mit Krediten und Schuldtürmen des künstlich geschöpften Geldes am Leben gehalten. Dieses Konglomerat bildet eine Blase jenseits der Realitäten eigentlichen Lebens. 2008 stürzte das Kartenhaus ein. Marx: „Nach uns die Sintflut, ist der Wahlspruch jedes Kapitalisten“. 2008 fühlten sich die Trader und Sekundenhändler beschissen, sie mussten aus den Türmen ausziehen (man sieht das noch einmal). Zwar wurde das Geschäft auf Kosten der Allgemeinheit, die die Helden retten musste, etwas eingeschränkt, aber bald wurden wieder gefährliche Geschäfte gemacht. Die Chance auf Veränderung wurde vertan. Auch unser Schäuble hat sich, was Regulierungstaten angeht, nicht mit Ruhm bekleckert. Schlimmer kam’s hingegen noch: Die Schulden und das Versagen des Privatsektors wurde in eine Schuldenkrise der Staaten umdefiniert – also eine Fälschung begangen.
Die Lage wird schöngeredet und gesundgebetet
Aber der Film deutet mit gegebenen Aussagen auch an, dass doch Talfahrt ist, es sei weniger geworden. George Bush wiegelte in einem Ausschnitt zwar noch ab, aber Passagen mit Markus Koch, dem deutschen Börsengesicht, geben den Hinweis, dass die großen Konzerne keine Ertragssteigerungen mehr haben, gleichzeitig aber steigen die Kurse und wir haben kein solides Wachstum nach Art eines Rheinischen Kapitalismus der Rekonstruktionsära. Die Finanzwirtschaft hat sich von der Realwirtschaft abgekoppelt. Die Manager schauen bloß auf die Kapitalrendite und gieren nach der Börsenkapitalisierung – handeln danach: Arbeiter und Ingenieure sind ihnen egal. Wie der Fall Siemens belegt.
Marx wusste: „Die Maschinerie wirft unaufhörlich Erwachsene aus der Fabrik heraus“. Wie recht er doch hatte! – Wie treffend ist auch der im Kommunistischen Manifest verwendete Begriff der Maschinerie, d.h. Marx wusste von der Blödigkeit der Mechanik als andere sie zu bejubeln begannen.
Selbstlernende Systeme in der Smart Factory
Dirk Heitmann von IMB sagt, „das System lernt autark“, unter Beihilfe der Algorithmen. Die Halle braucht immer weniger Menschen, der Mensch kann sich jetzt (endlich) nur noch um das Wesentliche kümmern. Mit den gegen Ende des Films gezeigten Beiträgen und Szenen kommt die Frage auf: Ist das Navigationssystem ausgefallen, haben wir es noch unter Kontrolle oder kontrolliert es uns?
Eine Reihe von Softwareexperten aus der Welt des Echtzeithandels kommen zu Wort. Bob Lang hat Algorithmen für den Handel in der Einmillionstelsekunde entwickelt. Der Flash-Crash von 2010 war ‚ein Vorfall‘ von 40 Minuten. Der Markt stürzte ab, alle Programme wurden immer panischer. Schaltet ab! hieß es. Jegliche Kaufgesuche und Verkaufsangebote waren verschwunden. Jeder Computer reagierte gleich. Der Flash-Crash blieb aber folgenlos. Man gibt zu, dass die Modelle aus den Pferdewetten stammen.
Es heißt: Wir können nicht alles verstehen. Es ist überschätzt ('overrated'). Es passiert zu viel. Marx: „Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos“. Die Finanzmärkte sind außer Kontrolle, gelöst von der realen Welt. Kritiker Jackson sagt: es herrscht kollektive Schizophrenie, das verstehen sogar meine Kinder.
Darf man einen überhaupt als Heuschrecke bezeichnen?
Ein Schlimmer vor dem Herrn ist schließlich Antony Scaramucci, Hedgefondbesitzer und ehemaliger Berater von Donald Trump. Er war 10 Tage Kommunikationschef im Weißen Haus. Er ist ein unverstellter Gierhals, redet ungehemmt breit wie ein Monstrum von Ami, ganz wie es im Buche steht, er ist rein selbstbezüglich, eine Karikatur seiner selbst. Er redet Fracking in die höchsten Höhen, das Kapital drängte in die Energy, das war eine innovative Idee, obwohl Umweltschützer es nicht wollten.
Foto:
©systemerror-film.de
Info:
Der Film liefert begleitend auch Schulmaterial, z.Zt. unter: http://www.systemerror-film.de/assets/content/material/system-error_kc.pdf
Info:
Einführend:https://www.ardmediathek.de/tv/ttt-titel-thesen-temperamente/System-Error/Das-Erste/Video?bcastId=431902&documentId=52034190
http://www.systemerror-film.de/
Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:
1. Der Film, der in Bann schlägt
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13026-der-film-der-in-bann-schlaegt
Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:
1. Der Film, der in Bann schlägt
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13026-der-film-der-in-bann-schlaegt
2. Der Finanzkapitalismus ist eine Gefahr für Mensch und Umwelt
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13027-der-finanzkapitalismus-ist-eine-gefahr-fuer-mensch-und-umwelt
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13027-der-finanzkapitalismus-ist-eine-gefahr-fuer-mensch-und-umwelt